G8 stellt sich in Frage – Obama bietet Putin die Hand
«Ich glaube, dass der internationale Zug sich in diese Richtung entwickelt hat», sagte Merkel in Berlin. Faktisch haben die G20 schon das Ruder in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren übernommen. Beim Treffen der G8-Staats- und Regierungschefs von diesem Mittwoch bis Freitag in der Abruzzenstadt L’Aquila sind die meisten Mitglieder der G20 ohnehin schon mit Spitzenpolitikern vertreten.
«Echte politische Weltautorität»
Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage in vielen Staaten der Erde mahnt Papst Benedikt XVI. auch die G8-Staats- und Regierungschefs, sich für eine «echte politische Weltautorität» einzusetzen. Die Idee gehört zur am Dienstag in Rom veröffentlichten ersten Sozialenzyklika des Papstes.
Annäherung zwischen den USA und Russland
Besonderes Augenmerk geniesst US-Präsident Barack Obama bei seinem ersten G8-Gipfel. Obama und die russische Führung räumten am Montag und Dienstag in Moskau zumindest einige der Streitpunkte zwischen ihren Ländern aus und wollen bei der atomaren Abrüstung sowie im Kampf gegen die illegale Verbreitung von nuklearen Material vorankommen. Das dürfte auch die Linie des G8-Gipfels gegenüber Nordkorea und dem Iran massgeblich bestimmen, die beide offensichtlich nach der Atombombe streben.
Gute Atmosphäre
Der respektvolle Umgang Obamas mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew sowie dessen Vorgänger und jetzigen russischen Premierministers Wladimir Putin dürfte zumindest helfen, für eine gute Atmosphäre in L’Aquila zu sorgen.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte seine Kollegen aus den USA, Russland, Kanada, Japan, Frankreich, Grossbritannien und Deutschland kurzfristig von Sardinien in die Abruzzen umdirigiert. L’Aquila war am 6. April von einem schweren Erdbeben erschüttert worden. Zehntausende waren obdachlos geworden, fast 300 Menschen waren getötet worden. Die Spuren der Zerstörung sind in der Region weiter sichtbar.
Chaotische Organisation
Berlusconi, der wegen Frauengeschichten unter politischem Druck steht, hofft mit dem Glanz des Gipfels sein Image wieder aufpolieren zu können. Allerdings gab es schon vor Beginn Kritik an der chaotischen Organisation.
Tauziehen um konkrete langfristige Klimaziele
Für politischen Streit wird die Abschlusserklärung zum Klimaschutz sorgen. Umstritten war eine präzise Angabe zur Erderwärmung. Die Europäer pochen darauf, dass sie im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung auf maximal zwei Grad Celsius begrenzt wird, berichteten Diplomaten am Dienstag in L’Aquila. Widerstand dagegen gibt es unter anderem aus Russland oder Kanada. Ein Tauziehen gibt es auch um konkrete langfristige Klimaziele. Der Schadstoffausstoss soll bis 2050 weltweit um 50 Prozent verringert werden. Basis für dieses Ziel soll das Jahr 1990 sein. Es sei hingegen kaum zu erwarten, dass konkrete Ziele auf mittlere Sicht festgeschrieben werden, berichteten Diplomaten.
Treibhausgas-Emissionen reduzieren
Die EU will ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent verringern – verglichen mit 1990. Die Weltgemeinschaft will im Dezember in Kopenhagen ein neues wirksames Klimaschutzabkommen aushandeln. Der G8 könnte zumindest Weichen für einen Erfolg stellen. Angesichts des Einbruchs im Welthandel pochen die Europäer auf konkrete Vereinbarungen, um die Gespräche der sogenannten Doha-Runde im kommenden Jahr abzuschliessen. Dieses Ziel soll in der Gipfelerklärung festgeschrieben werden, sagten Diplomaten in L’Aquila. Die Doha-Runde läuft seit 2001 und soll weltweit Handelsschranken abbauen.
Proteste in Xinjiang werden zum Thema
Aussenpolitisch könnten neben dem Iran und Nordkorea auch die Unruhen in China in den Blickpunkt des Gipfels rücken. Zu einem Treffen mit Chinas Staatspräsident Hu Jintao wird es allerdings nicht kommen. Wegen der Unruhen in der chinesischen Uiguren-Provinz Xinjiang ist Hu noch vor Gipfelbeginn wieder nach Hause gereist. Trotz eines massiven Polizeiaufgebots und der Festnahme Hunderter Menschen gingen die Proteste für mehr Unabhängigkeit der Provinzweiter.
Vorrang für soziale Folgen der Wirtschaftskrise
Frankreich und Brasilien forderten, die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise vorrangig anzugehen. Ausserdem müsse der UN-Sicherheitsrat um Länder wie Deutschland, Brasilien und Indien erweitert werden, schrieben die Präsidenten Nicolas Sarkozy und Luiz Inácio Lula da Silva in der Zeitung «Libération».
Erste Protestaktionen
In der mittelitalienischen Erdbebenregion Abruzzen begannen erste Protestaktionen von Globalisierungsgegnern. In Rom blockierten Demonstranten zeitweise die Auffahrt auf die Autobahn A24 in Richtung des Gipfelortes L’Aquila. Andere setzten im Zentrum der italienischen Hauptstadt Autoreifen in Brand. 36 Menschen wurden von der Polizei vorläufig festgenommen, wie italienische Medien berichteten. In ganz Italien sind mehr als 15.000 Polizei- und Militärkräfte im Einsatz, um den Gipfel zu sichern. Beim letzten G8-Gipfel in Italien, 2001 in Genua, war die Polizei mit aller Härte gegen Demonstranten vorgegangen. Brutal prügelnde Polizisten organisierten nächtliche Überfälle auf Quartiere der G8-Gegner. Es gab hunderte Verletzte und einen toten Demonstranten. (awp/mc/pg/34)