Hartmut Reuter, CEO Rieter Holding AG
von Radovan Milanovic
2008 war bei Rieter sowohl das Textilmaschinen- als auch das Autozuliefergeschäft von einem massiven Einbruch betroffen, so dass der Umsatz um 20% und der Bestellungseingang gar um 37% auf 2,562 Mrd. CHF einbrach. Wie hat sich der Bestellungseingang seit Anfang Jahr entwickelt?
Wir haben seit Anfang Jahr weiterhin einen niedrigen Bestellungseingang bei Textile Systems und aufgrund der tiefen Produktionszahlen der Autohersteller auch eine geringe Nachfrage bei Automotive Systems.
Wie hoch schätzen Sie die Kosten der Restrukturierungsmassnahmen wie der Kurzarbeit, dem weltweiten Stellenabbau von 16%, den Werkschliessungen und Strukturanpassungen in den USA und in Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich? Wie werden Sie diese Kosten finanzieren?
Wir gehen von Restrukturierungskosten von insgesamt CHF 250 Mio. aus, wobei CHF 238 Mio. CHF bereits im Abschluss 2008 berücksichtigt worden sind. Wir haben die Finanzierung des laufenden Geschäftes und der Restrukturierungsprojekte durch die mit einer Gruppe von Banken unterzeichneten Kreditverträge gesichert. Zudem haben wir durch interne Massnahmen, wie Verringerung der Investitionen und des Umlaufvermögens zusätzliche Mittel freigesetzt.
«Wir haben die Finanzierung des laufenden Geschäftes und der Restrukturierungsprojekte durch die mit einer Gruppe von Banken unterzeichneten Kreditverträge gesichert.»
Sind für Rieter Produktionsauslagerungen in billigere Lohnkostenländer eine Ergänzung zu den Restrukturierungsmassnahmen?
Durchaus, diesen Trend haben wir aber schon seit mehr als zehn Jahren. 2008 ist der Personalanteil in den Niedrigkostenländern weiter angestiegen, nämlich von 37 auf 38%. Dieser Anteil wird sich mittelfristig weiter erhöhen.
Da Sie im laufenden Jahr noch keine Erholung erwarten, gehen Sie wiederum von einem operativen Verlust aus. Anderseits setzen Sie auf eine solide Bilanz mit ausreichender Liquidität. Per Ende 2008 wiesen Sie eine Eigenkapitalquote von 36% aus, verglichen mit 48% im Vorjahr. Welche Ratios peilen Sie an?
Langfristig wollen wir die Eigenkapitalquote wieder deutlich erhöhen. Kurzfristig kann sie allerdings nochmals absinken.
Mit der Unterzeichnung des Kreditvertrages konnte auch der am 16. Februar 2009 angekündigte Verkauf von 420’000 Rieter-Aktien an die PCS Holding AG, Weinigen (Schweiz), die zu 100% Peter Spuhler gehört, vollzogen werden. In welchem Zusammenhang stehen die beiden Transaktionen? Per Jahresende hatten Sie 223.743 Aktien als Treasury Bestand. Stammen die restlichen rund 200.000 Aktien aus Aktienrückkaufprogrammen?
Beide Transaktionen waren Bestandteil des Finanzierungskonzeptes. Die PCS Holding hat einerseits Treasury Aktien erworben als auch sogenannte Rieter-Vorratsaktien.
Zur Konzentration auf das Kerngeschäft und zur Liquiditätsverbesserung hat Rieter per 31. März 2009 die Rieter Immobilien AG in Winterthur, eine 100%-Tochtergesellschaft des Rieter-Konzerns, an drei institutionelle Investoren verkauft. Sie bilanzieren nicht betrieblich genutzte Immobilien zu den Anschaffungskosten und schreiben diese über die geschätzte Nutzungsdauer ab. Wie hoch war der realisierte Immobiliengewinn?
Die Rieter Immobilien AG verwaltet nicht betriebsnotwendige Liegenschaften, vor allem im Grossraum Winterthur. Die betrieblichen Immobilien haben wir nicht veräussert.
Was erwarten Sie von den kürzlich neu in den Verwaltungsrat gewählten Investoren Peter Spuhler, Michael Pieper und This E. Schneider von Forbo?
Wir sind der Meinung, dass die neuen Mitglieder im VR mit ihrer umfangreichen, vielfältigen Erfahrung einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung unseres Unternehmens leisten können.
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Rieter ist in ausgesprochen zyklischen Industriesparten tätig, die in 2008 stark geschrumpft sind: Automotive Systems um 14% und Textile Systems um 28%. Wäre eine Diversifikation oder die bereits in 2008 gerüchteweise verbreitete Abspaltung des Textilbereiches nicht die Lösung des Problems?
Nur weil nach mehr als 20 Jahren erfolgreicher Umsetzung der Dualstrategie erstmals beide Divisionen mit Problemen zu kämpfen haben, muss man nicht gleich alles über den Haufen werfen. Die regelmässige Überprüfung der Strategie gehört zu den Aufgaben jedes Verwaltungsrates; momentan haben wir jedoch mit dem Restrukturierungsprogramm ohnehin andere Prioritäten.
«Wir konzentrieren uns auf unsere Kunden, Produkte und Märkte sowie darauf, Rieter so rasch als möglich wieder zum Erfolg zu führen.»
China ist ein grosser Markt für Textilmaschinen. Soeben hat die chinesische Regierung ihr Wirtschaftsstimulierungspaket nochmals erheblich, auf 856 Mrd. USD erhöht. Neben der Infrastruktur setzt die chinesische Regierung auch auf die Exportwirtschaft und mit ihr die Textilindustrie. Sehen Sie bereits erste Hinweise darauf?&
Eine gewisse Belebung ist festzustellen. Die Nachfrage nach Offerten nimmt zu und es wird wieder vermehrt über Projekte gesprochen. Offen bleibt, ob diese auch finanziert werden können. Wir bleiben mit unseren Einschätzungen vorsichtig. Es gelten weiterhin die Prognosen der Bilanzmedienkonferenz von Ende März 2009.
Rieter hat neben OC Oerlikon über den Industrieverband Swissmem beim Bund beantragt, die Bezugsdauer für Kurzarbeit von 12 auf 18 Monate auszudehnen. Was verspricht sich Rieter von dieser Massnahme?
Wir hoffen, möglichst viele unserer Mitarbeiter mit Kurzarbeit so lange bei uns halten zu können, bis die Nachfrage nach unseren Produkten wieder ansteigt.
Wann erwarten Sie eine Erholung Ihrer Geschäftstätigkeiten?
Es sind immer noch zu viele Unsicherheiten im Markt, so dass sich momentan noch keine Prognosen lassen machen.
Welches sind Rieters Visionen für die Zukunft?
Nach der Bewältigung der Wirtschaftskrise und des markanten Nachfrageeinbruchs wird Rieter wieder profitabel arbeiten und auch wieder wachsen.
Rieter-Aktien haben seit ihrem Tief in 2009 rund 40% zugelegt. Finden Sie Ihre Aktien fair bewertet?
Wir konzentrieren uns auf unsere Kunden, Produkte und Märkte sowie darauf, Rieter so rasch als möglich wieder zum Erfolg zu führen. Das wird sich auch positiv auf den Aktienkurs auswirken.
Der Interviewpartner:
1978 ? 1980 war Hartmut Reuter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stromrichter und Antriebsregelung der Technischen Universität Darmstadt 1981 erlangte er das Diplom als Wirtschaftsingenieur (Elektrotechnik) ebenfalls an der Technischen Universität Darmstadt. Von 1981 bis 1986 übernahm er bei Robert Bosch GmbH, Stuttgart den Geschäftsbereich Metallerzeugnisse/Gießerei und von 1986 bis 1987 den Geschäftsbereich Benzineinspritzsysteme. 1987 bis 1991 wurde er in die Konzernzentrale (Strategische Planung, Unternehmensrewerb) berufen und amtete von 1991 bis 1995 bei MotoPeter GmbH, einer Bosch-Tochtergesellschaft, als kaufmännischer Leiter und Geschäftsführer. 1995 ? 1997 war Herr Hartmut Reuter in der Konzernzentrale als Mitglied der Direktion (Planung und Controlling) tätig. 1997 wechselte Herr Hartmut Reuter zur Rieter Holding AG, Winterthur, als Leiter des Controlling und Mitglied der Geschäftsleitung. Bis 2002 war er Leiter des Corporate Centers und Mitglied der Geschäftsleitung. Schliesslich wurde er 2002 zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung (CEO) bei Rieter Holding AG ernannt. Daneben ist Herr Hartmut Reuter Mitglied des Verwaltungsrats der Geberit AG, Jona.
Das Unternehmen:&
Rieter ist ein global tätiger Industriekonzern mit Hauptsitz in Winterthur, Schweiz. Das 1795 gegründete Unternehmen ist ein führender Anbieter für die Textil- und die Automobilindustrie. Rieter ist mit rund 70 Produktionsstandorten in 21 Ländern vertreten und beschäftigt weltweit rund 14 000 Mitarbeitende, davon rund 14 Prozent in der Schweiz.
Rieter Textile Systems entwickelt und fertigt Maschinen und Anlagen zur Herstellung von Garnen und Vliesstoffen. Das Kerngeschäft sind Maschinen und Komponenten für die Verarbeitung von Naturfasern und synthetischen Fasern sowie deren Mischung zu Garnen.
Rieter Automotive Systems entwickelt und fertigt als Partner und Zulieferer der Automobilhersteller Komponenten, Module und Gesamtsysteme für akustischen Komfort und Hitzeschutz in Motorfahrzeugen.