Giacometti, der Ägypter im Kunsthaus Zürich
Die Analogien zwischen dem Werk des bedeutendsten Schweizer Künstlers des 20. Jahrhunderts, Alberto Giacometti (1901-1966), und der altägyptischen Kunst werden zum ersten Mal in einer Ausstellung zur Anschauung gebracht. Dafür wechseln wertvolle Leihgaben aus dem Ägyptischen Museum von Berlin ins Kunsthaus Zürich. Für den Besucher wird überraschend nachvollziehbar, wie Giacometti sich am ägyptischen «Stil» orientiert: in der Konzentration auf das Menschenbild, im Verhältnis von Figur und Raum und der künstlerischen Intention, dem Individuum ewige Gegenwart zu verleihen.
Prägende Bilder
Giacometti war noch Schüler, als Berliner Archäologen Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst des Echnaton in Amarna ausgruben. Von der Überlegenheit der ägyptischen Kultur über alle späteren war der angehende Künstler schon damals überzeugt. Die erste Begegnung mit den ägyptischen Originalen ereignete sich 1920 in Florenz. Dort fand Giacometti verwirklicht, was ihm als Ziel seiner Kunst vorschwebte: die Erfassung der Wirklichkeit, die lebendige Präsenz des Menschen in einer Stilform. Eine lebenslange Auseinandersetzung setzte ein.
Beeindruckende Strenge des Ägyptischen
Zurück aus Italien vollendete Alberto seine Ausbildung beim Vater Giovanni mit einem anspruchsvollen, ganzfigurigen Selbstbildnis, in welchem er seine Züge nach dem hager überlängten Gesicht des Echnaton stilisiert. Eine Büste des Pharaos und dieses Gemälde werden in der Ausstellung nebeneinander stehen. In Paris versuchte Giacometti als Schüler Bourdelles lebende Modelle zu erfassen. Er studierte im Louvre ägyptische Originale und kopierte Abbildungen aus Büchern. In den Überlegungen des Surrealisten-Kreises, in dem sich Giacometti damals bewegt, spielten ägyptische Ideen eine Rolle; und als der Vater 1933 stirbt, traten Vorstellungen über Tod und Jenseits in den Vordergrund. |
«Phänomenologischer Realismus»
Die intensivste Phase der Auseinandersetzung mit altägyptischer Kunst beginnt 1934, als sich Alberto Giacometti als «Schreiber» zeichnet. In einem Dialog von Selbstbildnis-Zeichnungen und kristallinen Kopien ägyptischer Meisterwerke, wie dem «Grünen Kopf», der in Zürich zu sehen sein wird, entwickelt sich sein sogenannter «phänomenologischer Realismus», der Versuch die erscheinende Wirklichkeit im Vorgang des Sehens zu erfassen. Um 1942 zeichnete er zahlreiche Kopien nach dem Fresko des Gartens des Ipy, mehr als von irgendeinem anderen Kunstwerk. Blickt man auf seine davon offensichtlich inspirierten Gemälde in der Ausstellung, begreift man, dass ihn die rhythmischen Schwingungen der Bäume und Büsche faszinierten, das vibrierende Netz gespannter Linienstrukturen, in dem sich das bewegte Leben, die Wirkkräfte der Natur erfassen liessen.
Möglichkeit der Bewegung
Giacometti wurde bewusst: der Inbegriff des Lebens ist die Bewegung. Diese Möglichkeit der Bewegung gestaltet die ägyptische Kunst geradezu paradigmatisch in der Stand-Schreit-Figur: sie wird zum Ausgangspunkt für die schreitenden Männer Giacomettis. Die uralte Typologie bietet das Essentielle, das der modernen subjektiven Nervosität der Wahrnehmung Halt gibt. Die Latenz der Bewegung manifestiert sich in den Sockeln und der durch die übergrossen Füsse evozierten Spannung der Figur zu dem hier vorgegebenen Raum. Beruht die Belebtheit der ägyptischen Skulptur auf dem ihr innewohnenden Ka der Seele, so baut sie sich bei Giacometti in dem rastlosen Blick des Wahrnehmenden, zunächst des Künstlers selbst, dann des Betrachters auf.
Immer wieder neu versucht
Die Orientierung an der Typologie der ägyptischen Werke wird wegweisend für die Arbeiten der Nachkriegszeit. In den Büsten der 1950er und 60er Jahre erhöht Giacometti den Kontrast zwischen dem Chaos der unteren Partien und dem sich im Blick manifestierenden Leben dramatisch. Der Rückgriff auf ägyptische Kniefiguren ermöglicht die letzte Steigerung im «Diego assis» und im «Lotar III». Darin bleibt erlebbar, was viele Zeugen der Arbeitsweise Albertos belegen: das immer wieder neue Ansetzen des schöpferischen Prozesses, in dem er sich der Lebendigkeit versicherte und das der Betrachter in der parallelen Bewegung der Wahrnehmung nachvollzieht. Man erinnert sich der ägyptischen Vorstellung, dass der Sonnengott jeden Morgen die Kosmogenie im Aufstieg aus dem Urwasser neu vollzieht und so den Fortgang des Lebens sichert. (kh/mc/th)
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