Martin Zenhäusern: Erwartungen
Dabei ist er mit schier grenzenlosen Erwartungen konfrontiert, so dass wir beinahe davon ausgehen müssen, dass er scheitern wird. Die Fragen, die sich Obama bei seinen gewaltigen Aufgaben stellen, stellen sich auch der einzelnen Führungskraft, die weniger fast unlösbare Aufgaben zu erfüllen hat: Wie kann ich sie bewältigen? Welche Erwartungen sind überhaupt realistisch?
Warum wird der neue amerikanische Präsident vieles bewegen und vieles lösen können, was heute noch starr und ungelöst ist? Weil er eine starke Persönlichkeit ist, die sich durch einen starken Willen und ein hohes Mass an Energie und Begeisterung auszeichnet. Er verfügt über ein beachtliches Selbst-Vertrauen und Selbst-Bewusstsein. Wer sich selbst vertraut, sich also etwas Grosses zutraut, der kennt keine Angst. Wenn sich jemand seiner Selbst bewusst ist, dann kennt er sich und weiss, dass er sich auf sich selbst verlassen kann. Er wird seinen Weg unbeirrt gehen, auch gegen die grössten Widerstände, die sich vor ihm aufbauen.
Es gibt eine Bezeichnung für diese Einstellung: Das Stockdale-Paradox. Jim Stockdale war der ranghöchste amerikanische Offizier im Kriegsgefangenenlager Hanoi Hilton. In achtjähriger Gefangenschaft wurde er mehrmals gefoltert, und er wusste nicht, ob er seine Familie jemals wieder sehen würde. Er übernahm das Kommando im Lager und tat alles, was in seiner Macht stand, damit die Soldaten nicht als gebrochene Menschen nach Hause gehen würden. Das Stockdale-Paradox lautet: «Den Glauben behalten, dass man am Ende siegt – egal, wie schwierig es wird. Und gleichzeitig sich den brutalen Tatsachen der momentanen Situation stellen – egal, wie unerfreulich sie sind.» Genau dies wird Obama tun. Da die Stimmung derart gedrückt ist, wird er vielen Menschen als Orientierung dienen, als Leuchtturm in stürmischer See. Sollte er rasch erste Erfolge feiern können, dann werden sich viele aufraffen, Mut bekommen und ihr Schicksal wieder in die eigene Hand nehmen. Wer die USA jetzt schon abschreibt, dürfte sich bald wundern.
Was heisst das für Führungskräfte? Wenn wir uns grosse Ziele setzen, dann können wir die Erwartungen übertreffen. Auch die Erwartungen, die wir an uns selbst gestellt haben. Der Aufwand, grosse Ziele zu setzen und zu erreichen, ist gleich gross wie für kleine Ziele. Wenn wir uns grosse Ziele setzen, uns mit unserer Aufgabe identifizieren und dabei etwas Gutes bewirken wollen, dann finden wir plötzlich von überall her Unterstützung. Und im Rückblick war es dann viel einfacher, die Erwartungen zu übertreffen und die Ziele zu erreichen, als wir es uns beim Start vorgestellt haben. Es wäre wohl uns allen dienlich, wenn wir nach acht Jahren Amtszeit dasselbe von Barack Obama sagen könnten.
Noch etwas: Unbeirrt seinen Weg gehen, führt ans Ziel. Denn, wie es der amerikanische Erfinder Charles F. Kettering treffend gesagt hat: «Niemand hätte jemals den Ozean überquert, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, bei Sturm das Schiff zu verlassen.»
Martin Zenhäusern
Martin Zenhäusern ist Gründer und Inhaber der Zenhäusern & Partner AG, welche Unternehmen in allen Fragen der Kommunikation berät sowie Inhaber der Zenhäusern Akademie AG, welche Führungskräfte in Führung und Krisen-Management ausbildet. Persönlicher Ratgeber mehrerer CEOs, u.a. persönlicher Berater des VR-Präsidenten beim grössten Schweizer Börsengang. Autor der Publikationen «Der erfolgreiche Unternehmer» und «Chef aus Passion», beide 2008 im Orell Füssli-Verlag erschienen.