Ralf C. Schlaepfer, Leiter des Branchensektors Energie, Versorgung und Bergbau, PricewaterhouseCoopers

von Patrick Gunti


Herr Schlaepfer, nach Inkrafttreten des Stromversorgungsgesetzes Anfang Jahr steht der liberalisierte Energiemarkt vor einem grossen Strukturwandel. PricewaterhouseCoopers hat dazu eine Studie erstellt – was sind zusammengefasst gesagt die Folgen dieses Wandels für die Energie-Versorgungsunternehmen in der Schweiz?


Die schweizerischen Energieversorgungsunternehmen (EVU) werden in Zukunft in ihrer Leistungserstellung transparenter und mit einem härteren Wettbewerb konfrontiert sein. Die Unternehmen, die ihre Strategien, Strukturen und Prozesse nicht den neuen Anforderungen anpassen, werden langfristig von der Schweizer Stromlandkarte verschwinden. Es werden nur die wettbewerbfähigsten Unternehmen im Strukturwandel selbständig bleiben. Die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen stellt insbesondere für kleinere Unternehmen einen bedeutenden Kraftakt dar.


Die für die Studie befragten Unternehmen sind sich einig: der liberalisierte Strommarkt führt zu höheren Preisen. Was sind die Ursachen und in welchem Rahmen sind die Preissteigerungen zu erwarten?


Die erwarteten Preiserhöhungen stehen vermutlich nur bedingt in einem kausalen Zusammenhang mit der Marktliberalisierung. Zwar wird die durch das StromVG veranlasste Entflechtung der Netze von den übrigen Unternehmensbereichen zu einer erhöhten Kostentransparenz führen und – im Falle von nicht kostendeckenden Preisen – möglicherweise zu einer Preiserhöhung. Wichtiger für die Preisentwicklung dürfte jedoch die sich verschärfende Knappheit an Rohstoffen sein. Die steigenden Kosten in der Produktion bzw. Beschaffung werden zumindest teilweise auf die Endkonsumenten weitergegeben. Im Bereich der Durchleitung werden Quersubventionierungen aus langfristigen alten und günstigen Lieferverträgen verschwinden.


Knapp zwei Drittel (63%) der befragten EVU erwarten bereits für das erste Jahr nach der Liberalisierung einen Anstieg der Strompreise. Weitet man den Betrachtungshorizont auf vier bis fünf Jahre aus, rechnen praktisch alle Unternehmen (92%) mit Preissteigerungen. 41% der EVU erwarten sogar Preiserhöhungen von über 20%.


Welche Bedeutung auf die Unternehmen und den Energiemarkt hat der zunehmende Einfluss des Staates?


Obwohl die Bedeutung des Staates als zukünftige regulatorische Instanz erkannt ist, verfügt eine Vielzahl der EVU noch über keine klare Strategie, um alle Anforderungen der neuen Gesetze/Verordnungen zu erfüllen. Mittelfristig werden die EVU gezwungen sein, zwecks Umsetzung der staatlichen Vorschriften ein professionelles Regulierungsmanagement im Unternehmen zu implementieren. Beispiele bereits erfolgter Liberalisierungsgesetzgebungen anderer Länder zeigen hier die Richtung.


Über ¾ der Unternehmen glauben, dass es in den nächsten 10 Jahren zu Fortschritten bei der Energieeinsparung und -effizienz kommen wird. Wie gross ist das Potenzial?


Eine exakte Höhe des Potenzials ist nur schwer abzuschätzen und hängt stark von der zukünftigen technologischen Entwicklung ab. Wichtig scheint jedoch eine bewusste Unterscheidung zwischen «Energieeinsparung» und «Energieeffizienz» zu sein. Letzterer Begriff hat eine wesentlich umfassendere Bedeutung. Während Energieeinsparung auf die direkte Verminderung von Energie abzielt, versteht man unter Energieeffizienz im Allgemeinen vier verschiedene Aspekte:

1) den optimalen Einsatz der diversen Energieträger
2) eine möglichst hohe Reduktion des Energieverbrauchs ohne Komforteinbusse
3) den Einsatz von modernster Technologie mit bestem Wirkungsgrad sowie
4) eine Optimierung entlang der ganzen Energiewertschöpfungskette von der Energiegewinnung bis hin zum Energieverbrauch.

Wir erwarten im Bereich neuer Technologien gerade aus Ländern wie China, welche heute die stärksten Defizite aufweisen, die stärksten Entwicklungsschübe; der Leidensdruck, die finanziellen Mittel und auch das Humankapital ist dort am grössten.


Die Unternehmen sehen das Einsparpotenzial eher beim Endverbraucher als bei sich selber. Wird sich das längerfristig ändern?


Grundsätzlich sehen die EVU auch in Zukunft das meiste Potenzial beim Verbraucher. Mit den heute bekannten und bewährten Technologien lassen sich nur beschränkt Potenziale bei Erzeugung sowie Übertragung und Verteilung identifizieren. Je nach oben angesprochener technologischer Entwicklung insbesondere im Bereich der neuen erneuerbaren Energien kann sich dies jedoch fundamental ändern.


Wie bedeutend wird das Umweltbewusstsein für die Energieversorgungs- Unternehmen? Sehen sie die Umweltpolitik eher als Chance oder als Herausforderung?


Es stellt für sie beides zugleich dar. Der erhöhten gesellschaftlichen Sensibilität für Umwelt- und Klimafragen begegnen die EVU mit dem Angebot von Ökostromprodukten. Die Energieunternehmen sind bereit, den «Öko-Trend» als Geschäftschance zu nutzen. Die Erfüllung der Anforderungen der Umweltpolitik ist für sie natürlich auch eine Herausforderung die vor allem die Frage der Erzeugung betrifft. Welche Investitionen zur Sicherung der Versorgung ihrer Kunden sind anzugehen? Welche Planungen sind wann einzuleiten und welches sind die Chancen zur Umsetzung der Projekte? Wie sieht die Rentabilität der Projekte und Produkte aus? Diese Fragen beinhalten wesentliche Planungsunsicherheiten, die nur finanzkräftige Unternehmen (oder Unternehmensverbünde) angehen können.


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Die Entwicklung geht hin zu einer Konsolidierung des Energiemarktes. Die Grossen «fressen» die Kleinen – oder wie wird diese Konsolidierung vor sich gehen?


Wer die Kostenstrukturen beherrscht wird überleben. Kleinste Unternehmen können dabei mit «ehrenamtlichen» Mitarbeitern weiter bestehen, solange sie die gesetzlichen Anforderungen erfüllen können. Die grössten Unternehmen in der Schweiz haben Dank ihrer Handelsplattformen, der Sondersituation Wasserkraftwerke mit ihrer Fähigkeit der Speicherung und nutzen der Abdeckung von Spitzenlast eine gute Ausgangslage. Dies obwohl international Fusionen und Akquisitionen immer grössere Unternehmen erfasst.


Den schwierigsten Stand werden Unternehmen im mittleren und kleinen Bereich haben, welche keine Kosteneinsparungspotentiale frei machen können oder keine wirkliche Mehrwerte schöpfen.

Vergleicht man mit dem deutschen Markt, in welchem die Konsolidierung immer noch nicht am Ende ist, so zählt man dort heute in einem rund zehn Mal grösseren Markt in etwa die gleiche Anzahl Versorgungsunternehmen. Deutschland ist in Europa immer noch der Markt mit der weitaus grössten Zahl Versorgungsunternehmen im Verhältnis zur Einwohnerzahl!  Die vielen Gemeinwesen, welche heute noch Versorgungsunternehmen betreiben, müssen sich zunehmend Gedanken machen, ob dies längerfristig Kernauftrag seitens ihrer Bevölkerung ist.


Welchen Einfluss werden ausländische Bewerber auf den Schweizer Markt und die hiesigen Anbieter haben?


Die Schweizerischen EVU erwarten zwar einen starken Einfluss der ausländischen Unternehmen auf die zukünftige Wettbewerbssituation in der Schweiz. Der direkte Einfluss auf die Marktstruktur bzw. die erwartete Konsolidierung der hiesigen EVU wird aufgrund der oben aufgeführten Eigenheit des Schweizer Marktes weniger stark erwartet.


«Den schwierigsten Stand werden Unternehmen im mittleren und kleinen Bereich haben, welche keine Kosteneinsparungspotentiale frei machen können oder keine wirkliche Mehrwerte schöpfen.» (Dr. Ralph C. Schlaepfer)


Decken sich die Resultate der Studie mit den Erfahrungen, die im Ausland gemacht werden konnten?


Die Ergebnisse der Studie decken sich wie erwähnt grundsätzlich mit den Erfahrungen im Ausland, namentlich dem Europäischen Umfeld. So decken sich beispielsweise die erwarteten Entwicklungen in der Schweiz mit der Situation in Deutschland oder der nordischen Länder vor der Marktliberalisierung. Dort wurde mit einem immer wichtiger werdenden Regulierungsmanagement sowie mit einer Konsolidierung und Internationalisierung des Energiemarktes gerechnet. Dies ist eingetreten.


Welche zentralen Herausforderungen bringen diese Entwicklungen für die Energieversorger mit sich?


Im Zentrum steht die Frage nach der künftigen Strategie. Ausgestaltung des zukünftigen Geschäftsmodells, Positionierung in der Wertschöpfungskette, Möglichkeiten zukünftigen Wachstums (Kundenakquisition, Diversifikation, «Öko-Trend» etc.) sowie zur Sicherstellung der erforderlichen Ressourcen (Produktionskapazität und qualifizierte Arbeitskräfte), Effizienzgewinne sind nur einige der Herausforderungen die analytisch und konzeptionell erarbeiten werden müssen.

Wie werden die Anbieter die grösser werdende Herausforderung der Strombeschaffung in Zukunft bewältigen?


Kleinere EVU – auch aus Mangel an finanzierbaren Alternativen – setzen in der Strombeschaffung auf langfristige Kooperationen mit ihren Lieferanten. Mittlere Unternehmen werden sich gemeinschaftlich an Produktionskapazitäten beteiligen – sei es auch nur an eine «Kraftwerksscheibe». Grosse Energieversorger investieren heute im In- und Ausland in Produktionsanlagen. Dies können dabei auch Joint Ventures sein. Der direkte Zugang zu Produktion ist heute wieder ein wichtigen Faktor im Wetbewerb.


Auf Grund der Resultate der PwC-Studie: Wie wird sich der Strommarkt in der Schweiz im Jahr 2018 präsentieren?


Wir rechnen damit, dass im Strommarkt Schweiz bis dann rund 100 bis 150 EVU bestehen werden, die einerseits den Anforderungen des liberalisierten Marktes gerecht werden und andererseits auch die lokalen Gegebenheiten im schweizerischen Umfeld gebührend berücksichtigen können. Einige davon werden sich auf spezifische Elemente von Wertschöpfung und Technologie spezialisiert haben.


Herr Schlaepfer, besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.





Zur Studie:
Zwischen Dezember 2007 und Januar 2008 hat PricewaterhouseCoopers die Energieversorgungsunternehmen (EVU) eingeladen, sich an der landesweiten Studie mit dem Titel «Wie verändert sich das Klima im schweizerischen Energiemarkt?» zu beteiligen. 102 Führungskräfte äusserten ihre Meinung zu Entwicklungen und Herausforderungen des Energiemarktes. Die teilnehmenden EVU erwirtschafteten im letzten Geschäftsjahr Umsätze zwischen CHF 350’000 und CHF 13 Mrd. und lassen sich in drei ungefähr gleich grosse Gruppen einteilen. Nebst allen grossen Akteuren der Schweizer Energiebranche beteiligten sich auch viele kleinere und mittlere EVU an der Umfrage. Knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen beschäftigen weniger als 100 Mitarbeiter und mehr als die Hälfte bedient weniger als 10’000 Endkunden. Die Zusammensetzung der Studienteilnehmer stellt somit ein repräsentatives Bild des Schweizer Energiemarktes dar.


Zur Person:
Dr. Ralf C. Schlaepfer berät seit Mitte 90er Jahre Versorgungsunternehmen in sich liberalisierenden Märkten. Er leitet heute als verantwortlicher Partner Schweizweit alle Aktivitäten von PricewaterhouseCoopers für Energie- und Versorgungsunternehmen. Zudem führt er die den Bereich Strategy & Operations mit rund 100 Mitarbeitern in den Offices Zürich, Genf und Basel.
Seine Projektschwerpunkte liegen im Bereich strategischer und organisatorischer Neuausrichtungen, Wachstumsstrategien sowie von Unternehmenskäufen, -verkäufen und Fusionen. Er leitet häufig Integrations- und Geschäftsprozessoptimierungsprojekte.
Nach dem Doktorat in Rechtswissenschaft an der Universität Zürich, erwarb er das Anwaltspatent und am INSEAD in Fontainebleau den Master of Business Administration.


Zu PricewaterhouseCoopers:
Mit dem vernetzten Know-how und der Erfahrung von mehr als 146’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 150 Ländern bietet PricewaterhouseCoopers ein umfassendes Angebot von Prüfungs- und Beratungsdienstleistungen für internationale und lokal führende Unternehmen sowie für den öffentlichen Sektor. Die Spezialisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Schweiz auf verschiedene Branchen und Märkte gestattet die spezifische Anpassung der Beratung und Unterstützung an jeden individuellen Kundenwunsch; gerade auch für mittelständische Unternehmen. Die Dienstleistungen umfassen Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Rechtsberatung und Wirtschaftsberatung.

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