Peter Schifferle, CEO sia Abrasives: «Wir sehen eine zunehmende Verlagerung von gebundnen zu flexiblen Schleifmitteln»
Von André Schäppi
Herr Schifferle, die kürzlich publizierten guten Resultate sind auf Steigerungen im Servicegrad zurückzuführen. Heisst das, dass die Kunden ihre Lager abgebaut haben und dementsprechend kurzfristiger einkaufen?
PeterSchifferle: sia Abrasives investierte bis 2004 CHF 36 Mio. in den Ausbau und die Modernisierung der Grundproduktion und der Konfektion in Frauenfeld. Damit wurden die Voraussetzungen für die Erfüllung der veränderten Bestell- und Lieferbedingungen der Kunden geschaffen. Denn zunehmend kommt es zu häufigeren Bestellungen in kleineren Losgrössen, denen nur mit höherer Flexibilität begegnet werden kann. Es ging also darum, in der Grundproduktion die Kapazitäten zu erhöhen, die Qualität durch Automatisierung und Modularisierung weiter zu verbessern sowie die Kosten, das Umlaufvermögen und die Durchlaufzeit zu reduzieren. In der Konfektion und der Spedition optimierten und rationalisierten wir die Prozesse durch neue Anlagen. Dies führte zu wesentlichen Qualitätsverbesserungen sowie einer Reduktion der Durchlaufzeiten von zweieinhalb auf eine Woche. Gleichzeitig können wir erhebliche Kosten einsparen. Diese Investition griff 2005 erstmals spürbar und ist noch weiter ausbaubar. Der Servicegrad ist in der Zwischenzeit auf 97% gestiegen. Das heisst, dass der Kunde hat seine Lager abgebaut. Unsere Kundenbeziehungen sind dadurch auch intensiver geworden.
«Neue Anwendungen geben uns Wachstumsimpulse in neuen Märkten»
Peter Schifferle, CEO sia Abrasives
Führt diese Entwicklung zu höheren Preisen der Produkte?
Nein, nicht unbedingt. Durch das Auf und Ab bei den Rohstoffen wäre ein derartiger Schritt auch nicht gerechtfertigt gewesen. Wichtiger in der heutigen Zeit ist für uns, dass wir die Preise nicht reduzieren mussten. Bei Innovationen konnten wir die Preise dagegen zum Teil erhöhen.
Wie haben sich die einzelnen Märkte entwickelt?
Europa West ist insgesamt eher flau. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die Lokomotive Deutschland einfach noch keinen Dampf drauf hat. Aber wir sind optimistisch, dass Europa West sich positiv entwickelt. Ost, das sind Russland, Polen und die Tschechei, zeigt ein zweistelliges Umsatzwachstum. In Amerika haben wir 3-5%, während Brasilien und Australien eine gesunde Belebung vorweisen und zweistellig zulegen. China zeigt ein Wachstum von etwas mehr als 8%, während Asien etwas weniger hoch ist.
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Vietnam ist gemäss einer von Ihnen früher gemachten Aussage als attraktiver Markt einzuschätzen. Welches Potenzial erwarten Sie hier?
Vietnam hat eine Belebung gezeigt und hat ein grosses Potenzial, zum Beispiel im Bau- Maschinen- und Fahrzeugsektor, das für uns bei etwa 20-30 Mio. CHF liegt. Im Bereich Qualitätsanforderung ist Vietnam allerdings noch nicht mit unserem Standard zu vergleichen. Auf der anderen Seite sind Investitionen mit einem gewissen Aufwand und Risiko verbunden. Deshalb rechnen wir eher mit einem langsameren Wachstum. Für uns rechnen wir dieses Jahr mit einem Transferpreis von 2.5. Mio. CHF.
Man will weiter organisch wachsen. Welche geografischen Regionen wollen Sie verstärkt anpeilen?
In den Märkten Brasilien, Russland, Indien und China sowie Osteuropa. In diesen Märkten werden wir uns verstärkt bewegen und es ist nicht auszuschliessen, dass wir die eine oder andere Vertriebsorganisation gründen. In Asien und China werden wir zusätzliche Konfektionen vor Ort installieren, damit wir uns dynamischer im Markt bewegen können.
Welches Umsatzwachstum erwarten Sie beispielsweise für Indien?
Der für uns in Indien relevante Markt beträgt 2-300 Mio. CHF, ist zurzeit bei etwa 10-15 Mio. CHF, da die Qualität, ähnlich wie in Vietnam, noch nicht unseren Standard erfordert. Wir haben in Indien einen Partner, zu dem unsere Produkte komplementär sind. Dieses Familienunternehmen stellt unter anderem auch Schleifkörner her und wird in Zukunft für uns eine neue Ressource darstellen. Damit können wir uns von dem in Europa vorherrschenden Monopolstatus im Schleifkörnerbereich lösen.
Frage zu Abrasive Foam Limited, die jetzt unter Sia Abrafoam Limited firmiert: Wie weit ist die Integration vorgeschritten, wann soll sie abgeschlossen sein?
Die Integration sollte spätestens in zwei Jahren soweit sein, dass wir teilweise die Technologie auch für konventionelle Schleifmittel einsetzen können, die Marktbearbeitung wo nötig gemeinsam betreiben und die Rechnungslegung auch unserem Standard entspricht.
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Überdies plant Sia Abrasives, die strategische Zusammenarbeit mit Schlüssellieferanten (wie z.B. Cilander) in Bezug auf die Rohmaterialversorgung auszubauen. Damit will das Unternehmen die Rentabilität und die Konkurrenzfähigkeit sichern. Zielt das auf verstärkte Prozessverlagerungen zu einem Lieferanten? Und wenn ja, gibt man dadurch nicht Schlüssel-Know-how aus den Händen?
Nicht die Unterlage allein, sondern erst das Beschicken mit Körnern und das Aufbringen von Bindern sowie die Produktion und Konfektion stellen das Schlüssel-Know-how dar. Damit wir mehr Unabhängigkeit haben, beziehen wir von Cilander appretierte Unterlagen exklusiv. Zusammen mit Cilander gründen wir eine Verkaufsgesellschaft und werden die Produkte auch an Dritte verkaufen, sofern sie uns nicht spezifisch im Know-how konkurrenzieren.
Wie sind die in F&E investierten Mittel im Vergleich zu Mitbewerber zu beurteilen? Die Aufwendungen von weniger als 3% des Umsatzes scheinen doch eher bescheiden.
Wir haben sehr gute Vergleiche bei unseren Konkurrenten. Saint Gobain, immerhin Nummer 1 im Markt, aber auch andere weisen nur Investitionen im Bereich von 1.5% auf, womit wir also rund doppelt so viel aufwenden. Dazu kommt, dass wir F&E-Kosten mit unseren Partnern teilen, wodurch wir die Kosten senken können. Bei positiven Resultaten profitieren wir gesamthaft aber wesentlich mehr, weil es sich um Systementwicklungen handelt.
In welche Richtung entwickeln sich die Anwendungen?
Wir stellen fest, dass eine zunehmende Verlagerung von gebundenen zu flexiblen Schleifmitteln stattfindet. Und dafür haben wir eine ganze Reihe von Neuentwicklungen oder Erfindungen, etwa für die Oberflächenreinigung in der Lebensmittelchemie oder zur Reinigung von Rohren in der chemischen Industrie oder Pharmaindustrie. Diese neuen Anwendungen geben uns Wachstumsimpulse in neuen Märkten wie etwa bei Glas und Stein.
Gemeinsam mit dem Partner SIKA kann die sia-Gruppe im ART-Bereich aus einer Hand «one stop shop Lösungen» anbieten und dem Kunden einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. In welche Richtung entwickelt sich diese Zusammenarbeit und welche Erwartungen haben Sie für die Zukunft?
Im April werden wir eine gemeinsam Firma gründen, die im Bereich Automobil und Crash-Bereich tätig sein wird und später auch auf Aerospace ausgeweitet werden kann. Für Sia Abrasives sollte dies bis 2008 für uns rund 10-15 Mio. CHF Zusatzumsatz bringen.
Geplant sind weitere Partnerschaften, um die Marktdurchdringung zu erhöhen. In welchen Bereichen sind diese geplant?
Ein Beispiel dafür sind neuartige Diamantschleifbänder, die auf speziellen, neu entwickelten Schleifautomaten für das Oberflächenfinishing von keramischen Platten verwendet werden. Oder wir haben mit einem Partner einen Faden mit Diamant entwickelt, der für die Trennung etwa von Wafern in der Halbleiterherstellung oder zum Schneiden von Saphir verwendet werden kann. Auch damit können wir uns ganz neue Märkte erschliesen.
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Ihre Zielvorstellung bis 2010: ein Umsatz von CHF 400 Mio. erreichen. Aktuell ist man für das Geschäftsjahr bei einem Umsatz von CHF 261 Mio. bei einem Wachstum von 3.7% gegenüber Vorjahr. Wenn Sie dieses Ziel avisieren, müsste Sia Abrasives mit einem Wachstum von rund 10% pro Jahr aufwarten können. Eine Aufgabe, die ohne Akquisitionen zu lösen ist?
Ich rechne damit, dass wir dieses Jahr die Schwelle von 300 Mio. CHF überschreiten werden, auch dank neuer Produkte. Diese könnten teilweise ein Wachstum von über 10% aufweisen. Dann gehe ich weiter davon aus, dass noch eine Akquisition in der Grössenordnung von 20-30 Mio. CHF dazukommt, die uns komplementär ergänzt. Insgesamt ist dieses Ziel also durchaus erreichbar.
Herr Schifferle, Sie haben Jahrgang 1944. Andere CEO?s planen in diesem Alter bereits die Nachfolge. Wie sieht es damit bei Sia Abrasives aus?
Damit beschäftigen wir uns auch. Wir sehen eine Lösung, die darin liegen wird, dass ich im Sinne der Nachhaltigkeit im Verwaltungsrat verbleibe. Damit kann ich meinem Nachfolger als CEO beratend zur Seite stehen und das Know-how, welches aus den verschiedenen Bereichen stammt, weitergeben.
Zur Person
Peter A. Schifferle, Schweizer (geb. 1944), leitet seit 1991 die sia-Gruppe als CEO. Seit 1997 ist er Delegierter des Verwaltungsrates. Von 1970 bis 1987 war er bei der HIAG-Gruppe tätig, zuletzt als Mitglied der Gruppenleitung. In dieser Funktion hatte er diverse Verwaltungsratsmandate inne. 1988 stiess er zur LISTA AG. Dort war er bis zu seinem Wechsel in die sia-Gruppe als Vorsitzender der Geschäftsleitung des Stammhauses und des Unternehmensbereiches Lager- und Betriebseinrichtungen sowie als Mitglied der LISTA-Gruppenleitung aktiv. Seit 1995 steht er als Präsident der Industrie- und Handelskammer Thurgau vor. Zusätzlich zu seiner Funktion als CEO der sia-Gruppe übernahm er im Januar 2004 die Geschäftsführung der sia Abrasives Industries AG. Peter A. Schifferle erlangte 1963 die eidg. Handelsmatur, später folgten Studien der Betriebswirtschaftslehre. 2002 wurde er als Unternehmer des Jahres ausgezeichnet.
Das Unternehmen