Kunsthaus Zürich: Sigmar Polke
Es ist die erste gemeinsame Präsentation des fotografischen und malerischen Werkes dieses bedeutenden zeitgenössischen Künstlers in einer Ausstellung.
Virtuoses Spiel mit Frabe, Form und Inhalt
Die im grossen Ausstellungssaal des Kunsthaus Zürich auf 1200 qm eingerichtete Präsentation stellt den weitgehend unerforschten Aspekt einer «abstrakten», alchemistischen Malerei in den Mittelpunkt, mit der sich der Praemium Imperiale- und Erasmus-Preisträger Polke seit den frühen 80er Jahren beschäftigt.
Seit vier Jahrzehnten experimentiert der 1941 in Schlesien geborene und im Rheinland aufgewachsene Künstler mit Stilen, Themen, Materialien und einer Haltung, welche die Rolle der Kunst und des Künstlers mit ins Betrachtungsfeld hebt und damit Wesentliches zur Erneuerung der Malerei beigetragen hat.
Die grosse Konstante in seinem Werk ist das gerasterte Zeitungsbild, das er seit den frühen sechziger Jahren in allen möglichen Erscheinungs-, Degenerations- und Verflüchtigungsformen untersucht. Seine fotografischen Experimente in den 70er Jahren führten geradewegs zu erstaunlichen malerischen Fotoarbeiten und der Beherrschung einer Technik, die auch seine jüngste Malerei beeinflusst.
Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich zeigt, dass der «Raster»-Polke auch ein Alchemist ist und welche Funktion den Naturfarben und -mineralien, den Giften, Lacken und Metallen als Bedeutungsträger zukommen.
Vom Raster zur Alchemie
Um 1980 vollzieht sich in Polkes Werk ein Wandel zum malerisch-experimentell Expansiven. Nach einer Weltreise in den fernen Osten, nach Australien und Neuguinea, präsentierte er 1982 an der Documenta 7 rätselhafte, dunkel und violett schimmernde Werke von wilder Schönheit. Es ist diese Bildserie mit dem Titel «Negativwerte», die in der Kunsthaus-Ausstellung am Anfang steht. Hier verwendet Polke moderne, künstliche Pigmente, die er «gegen den Strich» einsetzt. Spätere Arbeiten zeugen von seiner eingehenden Beschäftigung mit antiker Farbherstellung, z.B. mit dem aus dem 8. Jahrhundert stammenden «Book of Kells».
In «Goldklumpen» (1982) verwendet er die heute vom Markt genommenen, hochgiftigen Farben wie das arsenhaltige Schweinfurter Grün und das Auripigment. Polke agiert mit grosser, universalistischer Sachkenntnis ? und gilt fortan als «Alchemist».
Alltagsstoff statt weltfremder Mystik
Zentraler Bestandteil des Ausstellungskonzepts im Kunsthaus Zürich ist der vierteilige Zyklus der mythischen Gestalt des «Hermes Trismegistos» (1995).
Doch zeigen Polkes Werke in aller Klarheit, dass seine geistige und künstlerische Spaziergänge in der Alchemie, der uralten, geheimnisumwitterten Naturphilosophie und Wissenschaftspraxis, nicht von weltferner Mystik getragen sind. Vielmehr überträgt Polke die analysierten althergebrachten Verfahrensweisen in die grosse Geste, die gleichzeitig unexpressiv, künstlerisch aber von grossem Freiheits- und Wissensdrang geprägt ist. In den turbulenten Pigmentwolken oder den so genannten Schüttbildern und den in Lack «eingefrorenen» Erscheinungen werden Vorstellungen von reiner Malerei, reiner Natur oder Romantik spektakulär evoziert und gleichzeitig kühl hinterfragt.
Handfester Abstraktionsbegriff
Der Prozess des Entstehens, das Beobachten und Freisetzen eines Eigenlebens des Materials ist in allen ausgestellten Werken gegenwärtig. Der Einsatz von Lacken, Pigmenten, von «geladenen» Stoffen aus der Fotochemie, aber auch von Gold, Silber sowie den gifthaltigen Farben oder von kostbaren Mineralien wie Lapislazuli und Malachit zeigt wie erfindungsreich und weit gefasst die Ambitionen dieses Künstlers sind. Damit etablierte Sigmar Polke auch einen neuen «handfesten» Abstraktionsbegriff, der das Materielle als Zentrum und Durchgangsstation ins Visier nimmt sowie den Akt des Malens einer nie da gewesenen Vorstellung von Interaktion unterwirft.
Mit dieser exklusiv im Kunsthaus Zürich zu sehenden Ausstellung jüngerer und neuer Werke stellt Bice Curiger, die seit 1976 regelmässig über Polke publiziert und Ausstellungen mit ihm kuratiert hat, die Aktualität und das verwegen Schöne dieser Malerei zur Diskussion. Sie dokumentiert die Weiterentwicklung des «Rasterbild»-Polkes zum Alchemisten. (kh/mc/th)
Biographie Sigmar Polke 1941& Geboren am 13. Februar in Oels/Schlesien (Ost- Sigmar Polke lebt und arbeitet in Köln. |
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