Peter Zumthor: Ich bin ein ausgeprägter Autoren-Architekt
Peter Zumthor gehört zu den arrivierten Schweizer Architekten. Bekannt wurde er vor allem durch die Therme Vals, das Kunsthaus Bregenz und den Schweizer Pavillon an der Expo 2000 in Hannover. Im Interview gewährt Zumthor Einblicke in sein Schaffen.
Peter Zumthor, Architekt
Moneycab: Herr Zumthor, Sie lassen sich Zeit, Ihre Projekte «richtig» zu machen. Ist das eine Ihrer Tugenden?
Peter Zumthor: Gründlichkeit, sich Zeit nehmen, das klingt gut für mich. Ich bin ein leidenschaftlicher Erfinder und Bauer von guten Häusern. Ein stimmiges Bauwerk, bei dem alles passt, nicht nur die Fassade, dafür nehme ich auch viel in Kauf: nicht reich zu werden, schwierig zu sein für Bauherren. Ich gebe auch nichts aus der Hand, bevor ich nicht das Gefühl habe, es stimme. Das ist mehr die Arbeitsweise und Denkart von jemandem, der ein Streichquartett oder ein Buch schreibt. Der Autor bestimmt, wann das Werk fertig ist, nicht der Verlag. Man kann sicher sagen, dass ich ein ausgeprägter Autoren-Architekt bin und deshalb ungeeignet für Leute, die denken, Architektur sei eine Dienstleistung. Es gibt momentan leider starke Tendenzen, Architektur als Dienstleistung zu behandeln. Aber in dieser Hinsicht bin ich nicht bereit, Kompromisse einzugehen.
Die Stimmigkeit bezieht sich auch auf das Verhältnis zum Bauherrn?
Genau. Am schwierigsten ist es, für einen anonymen Bauherrn zu arbeiten, etwa mit vielen Kommissionen und aufgeteilten Kompetenzen. Als Autor brauche ich ein Gegenüber. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, ist die Gefahr gross, dass es nicht funktioniert. Wenn Sie für den Gebrauch bauen – als Architekt bin ich ja kein freier Künstler -, dann gibt es stets einen Benutzer, der weiss, was er will, und etwas davon versteht: etwa wie gross etwas sein soll, welches die Funktionszusammenhänge sind. Er wünscht sich aber bewusst nicht eine Dienstleistung, die von einem Projektmanager und seinen Mitarbeitern zusammengesetzt wird, sondern einen Autor, weil sich daraus etwas ergibt, was ihm Freude bereitet. Diese Art der Zusammenarbeit basiert auf gegenseitigem Respekt. Der Auftraggeber muss auch über eine gewisse Empfindsamkeit verfügen, besonders in der heiklen Findungsphase.
Thermalbad Vals (1996)
Ihre Bauten fügen sich sehr gut in die Landschaft ein. Fast so, als gehörten sie dahin.
Man muss einfach Orte gern haben. Das setzt voraus, dass der Ort, nachdem dort gebaut wurde, zwar anders, aber sicher nicht schlechter aussieht als vorher. Dies ist eine Frage des Gefühls, aber über dieses Gefühl kann man dann auch nachdenken.
Ist Sinnlichkeit ein Ziel für Sie? Das Thermalbad Vals beispielsweise wirkt von aussen sehr streng. Trotzdem ist es ein sehr sinnliches Gebäude…
Wenn einem ein Haus oder ein Raum gefällt, etwa ein Wohnzimmer oder eine Kirche, dann spürt man das, man denkt es nicht. Architektur ist eine sinnliche Kunst, man nimmt sie mit den Sinnen wahr. Der Kopf kommt zwar ebenfalls ins Spiel, schliesslich verfügen wir alle über Erfahrungen mit Bauten und deshalb über ein bestimmtes Vorwissen. Aber wichtiger ist mir das emotionale Wissen, das vielleicht gar nicht immer rationalisiert und abrufbereit ist, sondern einfach da ist.
Welche Bilder schwebten Ihnen vor, als Sie Vals bauten?
Bilder suche ich immer im Zusammenklang von Ort und Gebrauch. Das ist in Vals relativ einfach: Eine heisse Quelle entspringt aus einem Berg, aus dem Stein – Berg, Stein, Wasser, Höhle, den Berg aushöhlen. Heisses Wasser, das aus dem Berg kommt, ist eigentlich etwas ganz Verrücktes. Von daher sah ich für Vals etwas anderes als ein Sportbad, in dem man Längen schwimmt. Dann überlegte ich mir, was dieses andere denn sein könnte. Ich glaube, da kämen wir alle mehr oder weniger auf die gleichen Gedanken. Man muss versuchen, ruhig zu werden, das warme Wasser geniessen. In Vals ist dieses Thema – heisses Wasser aus dem Berg – schon so stark, da war die Aufgabe relativ einfach. Danach spricht man natürlich über diese Bilder und entwickelt daraus Ideen.
Kunsthaus Bregenz (1997)
Machen Sie das allein oder im Team?
In der Regel im Team: Ich formuliere die Bilder und befrage die Leute dazu. So arbeiten wir sehr viel mit Wörtern, aber immer über Bilder. Die abstrakten Regeln, wie man ein Bauwerk entwickelt, ist dann die nächste Ebene.
Ein Wort zur Entstehungsgeschichte?
Das Interessante daran ist, dass die Gemeinde Vals, vertreten durch zwei, drei jüngere Valser den Hotelkomplex aus einer Konkursmasse übernehmen mussten. Sie wollten unbedingt, dass die Thermalquelle weiterlebt. Wollten etwas Besonderes, das sich von der grossen Masse abhebt. Wir legten gemeinsam einen Weg zurück, sie fassten Vertrauen, wir haben viel diskutiert. Wir realisierten viele Sachen, die ich vorschlug und die noch nie jemand gemacht hatte. Wir sind anfangs auch vielerorts auf Unverständnis gestossen. Zwei Marketingleute sind zum Beispiel abgesprungen. Sie waren der Meinung, unser Projekt sei höchstens für ein halbes Promille NZZ-Leser, etwas total Elitäres, das niemand besuchen würde. Es sei sowieso gegen alle Regeln, mit einem Architekten als Autor so etwas zu bauen. Die Bauherren haben sich aber für mich entschieden. Erfreulich ist, dass es in einem kleinen Bergtal solche Leute gibt, die bereit sind, ein Projekt durchzustehen, von dem sie überzeugt sind.
Welche Beziehung haben Sie eigentlich zu den Materialien?
Architektur ist etwas Haptisches, etwas zum Anfassen. Die Materialien in der Architektur sind wie die Töne für den Komponisten. Mit den Materialien arbeite ich, ich habe alle gern. Das Interessante ist, die Töne immer wieder neu zusammenzusetzen und einen spezifischen Klang zu erzeugen.
Und woher holen Sie sich eigentlich Ihre Inspirationen?
Lesen, Reden, Musik hören. Auch Gespräche, denn da muss man gewisse Sachen nochmal überdenken, wenn man eine gute Frage erhält. Das kann auch Inspiration sein oder zur Klärung beitragen. Sehr gerne übe ich auch meine Professur in Mendrisio aus. Anfänglich habe ich sie eher aus finanziellen Gründen angenommen, um einen «Boden» zu haben, damit wir nicht immer am Anschlag leben. ich merkte aber schnell, dass dies auch immer wieder eine Inspiration ist, eine Herausforderung. Auf Problemstellungen erhalte ich zum Teil sehr interessante Antworten von Studenten. Eigentlich ist das ganze Leben Inspiration. Ich geniesse das Leben. Ich kann sehr rasch umstellen von konzentrierter Arbeit zu völlig ausgelassener Freizeit.
(Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Jacqueline Perregaux, open up, AG für Kommunikation und PR).
Kurzbiographie
1943 in Basel geboren;
1958 Berufslehre als Möbelschreiner;
1963 Ausbildung als Gestalter an der Kunstgewerbeschule Basel;
1966 Gaststudent Architektur am Pratt Institute New York;
1968 Architekt bei der Kantonalen Denkmalpflege Graubünden;
1978 Lehrauftrag Universität Zürich über Siedlungspflege und Siedlungsinventarisation;
1979 Gründung eines eigenen Architekturbüros in Haldenstein GR;
seit 1988 verschiedene Gastprofessuren in den USA, Österreich und in der Schweiz;
seit 1996 Professur an der Accademia di architettura, Università della Svizzera italiana, Mendrisio;
1996 Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten;
2000 Honorary Fellowship of the Royal Institute of British Architects.
(emagazine.ch)
Int. Auszeichnungen
1989 Heinrich Tessenow Medaille, TU Hannover;
1992 Internationaler Architekturpreis für Neues Bauen in den Alpen, Sexten-Kultur, Südtirol (für Kapelle San Benedetg, Sumvitg);
1996 Erich Schelling Preis für Architektur, Karlsruhe;
1998 Carlsberg Architectural Pize, Kopenhagen;
1999 6th Mies van der Rohe Award for European Architecture, Barcelona (für Kunsthaus Bregenz);
1999 Internationaler Architekturpreis für Neues Bauen in den Alpen, Sexten-Kultur, Südtirol (für Thermalbad Vals und Gesamtwerk).
2003 Laura ad Honorem in architecture, Architecture University, Ferrara/It.
(emagazine.ch)