Barnier: London muss sich bewegen – Notfallpläne «mehr denn je nötig»

Barnier: London muss sich bewegen – Notfallpläne «mehr denn je nötig»
EU-Chefunterhändler Michel Barnier.

Luxemburg / London – Grossbritannien muss sich nach Ansicht des Brexit-Chefunterhändlers der EU, Michel Barnier, im Streit um die Bedingungen für das Ausscheiden aus der Europäischen Union bewegen. «Irgendetwas muss sich bewegen auf der britischen Seite», forderte Barnier am Montag in Luxemburg einen Tag vor einer neuen Erklärung von Premierministerin Theresa May im britischen Unterhaus. Barnier reagierte damit auf das Nein Mays zum Vorschlag des Oppositionsführers Jeremy Corbyn für eine dauerhafte Zollunion mit der EU. In einem dreiseitigen Brief an den Labour-Chef zeigte May sich zugleich aber im Streit um ihren Brexit-Kurs zu weiteren Gesprächen mit der Opposition bereit.

Barnier wollte den abgelehnten Vorschlag des Labour-Politikers nicht kommentieren, sagte aber, er finde ihn «interessant im Ton und in der Sache».

Bei einer Zollunion könnte eine offene Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit beibehalten werden. Bei einer «harten» Grenze auf der Insel hingegen wird ein Wiederaufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts befürchtet. Damals wurden etwa 3700 Menschen getötet und fast 50’000 verletzt, rund 500’000 gelten als psychisch traumatisiert.

«Die Zeit ist extrem kurz»
Barnier sagte, die EU müsse sich jetzt intensiv auf die Möglichkeit eines ungeregelten britischen Austritts aus der Europäischen Union einstellen. «Es sind noch 46 Tage bis zum Austrittsdatum, die Zeit ist extrem kurz», fügte er hinzu. «Es ist wichtig, dass wir uns auf alle Szenarien vorbereiten und alle Notfallmassnahmen ergreifen, die mehr denn je nötig sind.»

Auf die Frage, ob die EU-Kommission für den Fall eines Brexits ohne Einigung auf einen Austrittsvertrag auch eine «harte Grenze» zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vorbereite, sagte Barnier nach einem Gespräch mit Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel: «Wir bereiten mit jeder Hauptstadt die Notfallmassnahmen vor. Und wir arbeiten mit allen Hauptstädten an allen Hypothesen. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.»

Grossbritannien will die EU am 29. März verlassen. Der Vertrag über die Modalitäten des Austritts, den May mit der EU ausgehandelt hatte, fiel Mitte Januar im Londoner Parlament durch. Auf Widerstand stösst vor allem eine Regelung in dem Abkommen, wonach Grossbritannien und damit auch Nordirland Teil einer Zollunion mit der EU bleiben, sofern sich die EU und Grossbritannien nach dem EU-Austritt nicht auf eine neue Form der künftigen Zusammenarbeit einigen.

«Austrittsvertrag nicht wieder öffnen und keine Neuverhandlungen beginnen»
Kurz vor einem in Brüssel geplanten Treffen mit dem britischen Brexit-Minister Stephen Barclay bekräftigte Barnier, die EU werde den mit May ausgehandelten Austrittsvertrag «nicht wieder öffnen und keine Neuverhandlungen beginnen». Allerdings seien «ehrgeizigere» Formulierungen in einer politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen möglich. Die EU wolle alles tun, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden: «Aber wir müssen den Binnenmarkt schützen.»

Barnier sagte, der sogenannte Backstop – also die Garantie für eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland – sei nötig, um den Austritt regeln und «eine ehrgeizige und dauerhafte Beziehung in der Zukunft» organisieren zu können. «Grossbritannien bleibt ein Partnerland, ein Freund und ein Verbündeter». Diese Beziehung müsse über den Brexit hinaus «so rasch wie möglich gestärkt werden». Es gebe «keinen Dogmatismus in unserer Position», betonte Barnier. «Wir verhandeln ohne Gefühl der Aggressivität, Revanche oder Bestrafung.»

May wird schon am Dienstag eine Erklärung im Parlament über den Stand der Brexit-Verhandlungen abgeben, wie ein Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur in London bestätigte. Luxemburgs Regierungschef Bettel sagte, die EU habe den Brexit niemals gewollt: «Man darf heute nicht sagen, dass die Verantwortung bei der EU liegt. Die Verantwortung liegt nach wie vor in London.» (awp/mc/ps)

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