Nächste Glyphosat-Klatsche für Bayer – 2 Milliarden Dollar gefordert
Oakland / Leverkusen – Für Bayer-Chef Werner Baumann wird es immer ungemütlicher. Nach bereits zwei verlorenen Prozessen um Krebsrisiken von Unkrautvernichtern der US-Tochter Monsanto hatten Beobachter zwar auch im dritten Prozess mit einer Niederlage gerechnet, das Ausmass des Denkzettels hatte aber wohl kaum jemand auf dem Zettel.
Die Geschworenen-Jury des zuständigen Gerichts im kalifornischen Oakland verurteilte Bayer am Montag (Ortszeit), Schadenersatz in Höhe von insgesamt über zwei Milliarden US-Dollar (1,78 Milliarden Euro) an das klagende Rentnerehepaar zu zahlen. Bayer beharrt auf der Sicherheit von Glyphosat und will in Berufung gehen.
Der Aktienkurs setzte die Talfahrt der vergangenen Monate kurz nach dem Handelsstart am Dienstag fort. Die im Dax notierte Aktie sackte um bis zu fünf Prozent auf 53,65 Euro und damit den tiefsten Stand seit 2012 ab, konnten die Verluste zuletzt aber reduzieren.
Straf-Schadenersatz
Der grösste Teil der Zahlung entfällt mit rund 2 Milliarden Dollar auf sogenannten Straf-Schadenersatz, wofür es im deutschen Recht keine Entsprechung gibt. Der eigentliche Schadenersatz liegt bei 55 Millionen Dollar. Die Geschworenen wollten offenbar ein deutliches Signal senden, auch wenn sie nicht davon ausgingen, dass der Strafschadensersatz in dieser Höhe Bestand haben wird, erklärte ein Händler. Der Klägeranwalt hatte denn auch eine Milliarde gefordert und dabei auf die 2017 mit Glpyhosat erzielten Gewinne verwiesen.
Analyst Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan zeigte sich weniger wegen des Schuldspruchs überrascht, sondern wegen der geforderten Zahlung, die deutlich über den beiden zuvor verlorenen Prozessen liegt. Im ersten Prozess hatte eine Jury Bayer vergangenen August zunächst zu 289 Millionen Dollar an Schmerzensgeld und Entschädigung verdonnert. Die Richterin reduzierte die Summe später zwar auf rund 78 Millionen Dollar, dem Aktienkurs half das aber wenig, verdeutlichte der Fall den Investoren doch die grossen Risiken durch den Monsanto-Kauf. Im Ende März verlorenen zweiten Prozess steht eine ähnlich hohe Summe im Raum.
Damals wie heute zeigte Bayer sich von den Entscheidungen enttäuscht. Die Urteile stünden in direktem Widerspruch zu vielen Studien zur Sicherheit von Glyphosat. Und in der Tat hatte die US-Umweltbehörde EPA den Unkrautvernichter Glyphosat erst Anfang Mai weiterhin als nicht krebserregend eingestuft.
Gefahr umstritten
Ob der glyphosatbasierte Verkaufsschlager Roundup Krebs verursacht, bleibt indes umstritten. So fusst die Klagewelle in den USA im Grunde nur auf einer Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Unkrautvernichter 2015 als «wahrscheinlich krebserregend» für Menschen einstufte.
Die Klagerisiken unterschätzt zu haben, ist denn auch der grösste Vorwurf, dem sich Bayer-Chef Werner Baumann stellen muss. Auf der Hauptversammlung Ende April verweigerten ihm die Aktionäre sogar die Entlastung. Ein einmaliges Ereignis für einen amtierenden Chef eines Dax-Konzerns. So monierte Nicolas Huber von der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS, dass die Rechtsrisiken durch Monsanto «riesig und unkalkulierbar» seien.
Derartige Einschätzungen spiegelt auch der Aktienkurs wieder. An der Börse bringt es der Konzern auf gerade einmal noch rund 50 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Für Monsanto legten die Leverkusener 63 Milliarden Dollar oder zum aktuellen Wechselkurs rund 56 Milliarden Euro auf den Tisch. JPMorgan Experte Vosser geht davon aus, dass mittlerweile 15 bis 20 Milliarden Euro an Kompensationszahlungen in den Kurs eingepreist seien, was durchschnittlich 1,1 bis 1,5 Millionen Euro für jede der 13 400 Klagen ausmache. Letztendlich dürfte die Zahl auf 15 000 steigen, glaubt Vosser.
Kein Glyphosat-Verzicht
Bayer-Chef Baumann betonte derweil unlängst, dass man angesichts der Kurseinbussen zwar nichts beschönigen dürfe, der Monsanto-Kauf auf lange Sicht aber dennoch der richtige Schritt gewesen sei. «Wir halten die Monsanto-Akquisition nach wie vor für werthaltig und strategisch richtig.» Liesse man die Glyphosat-Prozesse ausser Acht, zahlt sich der Monsanto-Kauf denn auch rein operativ durchaus aus. So lieferte die Monsanto-Geschäfte im ersten Quartal deutlichen Rückenwind. Die Klagewelle tut der Nachfrage keinen Abbruch, können viele Landwirte auf Unkrautvernichter doch nicht verzichten.
Mit Blick auf den Fortgang der Prozesse setzt Baumann auf die nächsten Instanzen und die dort zuständigen Berufsrichter, nachdem die Geschworenen in den ersten Runden aus der normalen Bevölkerung kamen. Von de Berufsrichtern erhofft sich Bayer grösseres Augenmerk für die immer wieder zitierten Studien zur Sicherheit von Glyphosat und sachlichere Urteile. Die Berufungsverfahren können sich aber sehr lange hinziehen, im laufenden Jahr wird voraussichtlich keine Entscheidung mehr fallen.
Bis die Prozesse durch alle Instanzen gegangen sind, fliesst seitens Bayer voraussichtlich auch erst einmal kein Geld. Allerdings dürfte der Druck nun zunehmen, sich mit Klägern zu vergleichen.
So hatte US-Richter Vince Chhabria, bei dem mehrere Hundert Klagen von Landwirten, Gärtnern und Verbrauchern gebündelt sind, Bayer und die Anwälte der Gegenseite in einem anderen Fall im April aufgefordert, einen Mediator einzuschalten und nach einer gütlichen Einigung zu suchen. Damals hatten Analysten noch betont, dass sich Bayer angesichts der vielen Klagen wohl noch nicht auf einen Vergleich einlassen werde, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. (awp/mc/ps)