Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Wieviel Sand steckt im Getriebe?

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Wieviel Sand steckt im Getriebe?
von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

Wenn man sich ein wenig umhört, sind die Konjunkturauguren zwar global noch immer einigermassen positiv gestimmt, aber so richtig laut sagen möchte das keiner. Denn es könnte ja auch anders kommen. Vor gut einem Jahr machten erste Bedenken die Runde, der US-Wirtschaft könne langsam der Schnauf ausgehen und der Aufschwung in Europa bald zum Erliegen kommen. Zusammen mit dem schwelenden Handelskonflikt schickte das die Börsen in den Keller.

Dann kam es zu einem Stimmungswechsel an den Finanzmärkten, die Anfang Jahr wieder einen neuen Anlauf Richtung Rekordstände starteten und solche zum Teil auch erklommen. Derweil verschlechterten sich etliche Konjunkturindikatoren, die Bedenken der Marktteilnehmer nahmen deshalb aber nicht weiter zu, weil sie damit zum Teil gerechnet hatten. Auch dass die Geldpolitik in den USA eine Kehrtwende vollzog und die Zentralbank in Europa erste potenzielle geldpolitische Aktivitäten Richtung etwas restriktiverer Politik noch einmal nach hinten schob, dürfte eine Rolle gespielt haben, dass sich die Finanzmarktakteure wieder etwas beruhigten. Die Konjunkturbedenken sind damit aber nicht vom Tisch. Der jüngste Datenkranz fiel wiederum sehr gemischt aus. Eine konsistente Lagebeurteilung ist daher äusserst schwierig zurzeit, zumal sich auch zwischen den Ländern wieder grössere Klüfte auftun. Das belegen auch die jüngsten Einkaufsmanagerindizes. Allen gemein ist, dass sie nah an der 50er-Marke oszillieren.

Werte über 50 deuten auf eine Expansion der Wirtschaft hin, solche unter 50 auf eine Kontraktion. Je weiter die Werte über der Marke von 50 Punkten liegen, desto dynamischer expandiert die Wirtschaft. Werte von über 60 waren Anfang letzten Jahres keine Seltenheit, etwa in den USA, Deutschland oder der Schweiz. Doch dann folgte im Spätsommer eine deutliche Abkühlung, namentlich in Europa, besonders in Italien und auch Frankreich, aber auch in den USA.

Deutschlands Wirtschaft verlor zum Jahresende dermassen an Fahrt, dass es den Konjunkturzug in Europa nicht mehr zu ziehen vermochte. Seitdem fehlt es der europäischen Konjunktur an Lichtblicken. Die letzten Einkaufsmanagerdaten zeigten jedenfalls keine Belebung, Das werden auch wir hierzulande zu spüren bekommen. Die Schweiz hat nämlich zuletzt vor allem dank Deutschland wirtschaftlich zugelegt. Erstens, weil die Nachfrage aus Deutschland selbst wieder angezogen hatte, wovon die hiesige Industrie sehr profitierte und zweitens, weil auch aus dem Rest Europas dank Deutschlands reger Nachfrage wieder mehr Impulse Richtung Schweizer Wirtschaft wirkten. Wir hingen also mal wieder am Tropf und konnten dank dem auch den Wechselkursschock 2018 hinter uns lassen.

Noch nicht durch
Dass sich das ausserordentlich gute Konjunkturjahr 2018 nicht wiederholen lassen würde, war schon Ende letzten Jahres klar. Deutlich mehr als 2% Wirtschaftswachstum sind für die Schweiz bekanntlich auch eher die Ausnahme. Eine Normalisierung war in vielen Bereichen der Industrie sogar erwünscht, so hoch war die Auslastung zum Teil ausgefallen. Allerdings hat sich die Konjunktur nun doch stärker abgekühlt. Ähnlich skeptisch wie in Deutschland sind die Einkaufsmanager derzeit nur noch hierzulande. Sie rechnen offenbar mit spürbaren Einbussen in der Geschäftstätigkeit der kommenden Monate, die Mehrzahl meldete jüngst erneut rückläufige Auftragsbestände. Dass letzte Woche dennoch positive Meldungen zur Schweizer Wirtschaft durch die Medien drangen, liegt daran, dass die Schweizer Wirtschaft im ersten Quartal 2019 mit einem BIP-Quartalswachstum von 0.6% glänzte. Titel wie „flotter Jahresstart“ oder „Aufbäumen der Schweizer Wirtschaft“ fanden sich dazu in den Schlagzeilen.

Das ist zwar rückblickend erfreulich, hilft aber nicht, die Zukunft zu extrapolieren. Dazu sind die Einkaufsmanagerumfragen aussagekräftiger, als ein Indikator wie der des Wachstums im 1. Quartal, das schon längst Vergangenheit ist. Und dann wären da noch die Finanzmärkte, welche dem Frieden auch nicht mehr so recht trauen. Der Eurokurs zum Franken markierte am Montag ein neues Jahrestief und die 10 Jährigen Bundesanleihen ebenfalls. Auch an den Finanzmärkten wird Sicherheit wieder höher gewichtet. Das kann nur eines verheissen und zwar: Wir sind da noch nicht durch. Ein solch fragiles Konjunkturbild kann leicht wegkippen. Es kann sich aber auch sehr schnell wieder verflüchtigen. Nur verleidet es momentan nicht mehr so viel, wie auch schon, denn es steckt schon genug Sand im Getriebe. Man kann nur hoffen, dass sich die vielen Amerikaner und Chinesen dessen bewusst sind. Einem, nämlich Trump, scheint das ziemlich egal zu sein.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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