EY: Schweizer Unternehmen verlieren zunehmend an Attraktivität für chinesische Investoren

EY: Schweizer Unternehmen verlieren zunehmend an Attraktivität für chinesische Investoren
Yi Sun, Leiterin der China Business Services Deutschland, Österreich und Schweiz bei EY. (Foto: EY)

Zürich – Die Zurückhaltung chinesischer Unternehmen bei Firmenübernahmen in der Schweiz und Europa hält an: Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden europaweit nur 81 Übernahmen und Unternehmensbeteiligungen gezählt – 27 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, als noch 113 europäische Unternehmen einen chinesischen Besitzer bekamen. Da es kaum grosse Transaktionen gab, ging das Investitionsvolumen markant um 84 Prozent von 15,3 Milliarden US-Dollar auf 2,4 Milliarden US-Dollar zurück.

Neue Spitzenreiter in Europa
Besonders stark sanken die Aktivitäten chinesischer Investoren in Deutschland: die Zahl der Zukäufe und Beteiligungen schrumpfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 25 auf 11, das Investitionsvolumen ging von 10,1 auf 0,5 Milliarden US-Dollar zurück. Neuer Spitzenreiter gemessen an der Zahl der Deals ist Grossbritannien, wo chinesische Investoren bei 17 Unternehmen zum Zug kamen. Da es sich allerdings zumeist um kleine Transaktionen handelte, lag die investierte Summe mit 0,4 Milliarden US-Dollar niedriger als in Deutschland. Gemessen am Investitionsvolumen im ersten Halbjahr 2019 übernimmt Schweden mit 1,11 Milliarden US-Dollar vor Deutschland mit 505 Millionen US-Dollar und Grossbritannien mit 424 Millionen US-Dollar die Tabellenspitze.

Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die M&A-Investitionen chinesischer Unternehmen in der Schweiz und Europa analysiert hat. Untersucht wurden Akquisitionen und Beteiligungen, die von Unternehmen mit Hauptsitz in China und Hongkong oder deren Tochterunternehmen ausgingen; die Zielunternehmen haben ihren Sitz in Europa und sind operativ tätig.

Anzahl Transaktionen auf dem niedrigsten Stand seit 2014
«Die Transaktionsaktivitäten haben sich in der Schweiz und in Europa praktisch halbiert und lagen im ersten Halbjahr deutlich niedriger als im Vorjahreszeitraum; sie haben sich aber immerhin auf dem niedrigen Niveau des zweiten Halbjahres 2018 stabilisiert. Damit dürfte die Talsohle erreicht sein,» erklärt Yi Sun, Leiterin der China Business Services Deutschland, Österreich und Schweiz bei EY. «Der Hauptgrund für die Zurückhaltung der chinesischen Investoren ist die Lage auf dem chinesischen Heimatmarkt: Die konjunkturelle Lage in China ist schwierig, die Unsicherheit gross – nicht zuletzt aufgrund des Handelskonflikts zwischen den USA und China. Zudem sind einige der chinesischen Unternehmen, die in der Vergangenheit sehr aktiv auf dem europäischen M&A-Markt waren, derzeit entweder mit der Integration der erworbenen Unternehmen oder mit deren Weiterverkauf beschäftigt. Neue Zukäufe stehen bei diesen Unternehmen vorerst nicht auf der Agenda.»

Nach Suns Beobachtung ist es insgesamt ruhig auf dem europäischen Transaktionsmarkt: «Es gibt derzeit relativ wenige Übernahmekandidaten, die für die Chinesen interessant sind.» All diese Faktoren führen seit einiger Zeit dazu, dass vor allem grosse Transaktionen seltener werden und dass deutlich selektiver investiert werden als etwa im Boomjahr 2016.

Das Interesse chinesischer Unternehmen an europäischen Firmen sei allerdings grundsätzlich immer noch gross – auch wenn immer weniger Transaktionen tatsächlich abgeschlossen werden. «Wir sehen mehrere Trends: Nach wie vor kaufen einige chinesische Unternehmen in Europa Kompetenzen für ihre ambitionierten Strategien zu – das beste Beispiel ist die aktuelle europaweite Einkaufstour des chinesischen Evergrande-Konzerns im Bereich der Elektromobilität. Auf der anderen Seite interessieren sich chinesische Unternehmen immer noch sehr für klangvolle Namen aus Europa – etwa im Konsumgüterbereich. Der Einstieg von chinesischen Wachstumsinvestoren in eine Minderheit bei etablierten, europäischen Marken wie beispielsweise IDG Capital bei Rossignol könnte Schule machen.» berichtet Fabian Denneborg, Head M&A Schweiz bei EY.

Transaktionsvolumen: Schweiz im Mittelfeld
Das Transaktionsvolumen in der Schweiz sank in den ersten sechs Monaten von 387 Millionen US-Dollar auf 96 Millionen US-Dollar; die Anzahl Deals ging von 7 auf 3 zurück. Die grösste Transaktion in der Schweiz aufgrund verfügbarer Kaufpreisinformationen involvierte das Unternehmen für Büromöbel Zhejiang Henglin Chair und die Schweizer FFL Holding, welche die Aktivitäten bei Lista Office umfass. Die Transaktion rangiert mit 63 Millionen US-Dollar auf Platz 10 der zehn grössten Transaktionen in Europa.

Grösster Deal des Halbjahres in Schweden
Der mit einem Volumen von 930 Millionen US-Dollar europaweit und mit Abstand grösste Deal war der Einstieg der chinesischen Evergrande Group bei NEVS, dem Saab-Nachfolgeunternehmen und heutigen Hersteller von Elektroautos. Anschliessend erwarben Evergrande und NEVS für gut 170 Millionen US-Dollar einen Anteil von 20 Prozent der schwedischen Supersportwagenmarke Koenigsegg – der zweitgrösste Deal des Halbjahres. Die drittgrösste Transaktion galt dem «Les Ambassadeurs Club» und dem Investor Imagi International, der Transaktionswert beläuft sich auf 156 Millionen US-Dollar. Der Verkauf der gategroup an den chinesischen Investor RRJ Capital könnte auch noch zu den grössten Transaktionen mit chinesischer Beteiligung im Jahr 2019 werden. Der Abschluss der Transaktion wurde jedoch noch nicht verkündet.

Nach Sun sind auch weiterhin grosse Transaktionen möglich. «Wo es strategisch sinnvoll und im beiderseitigen Interesse ist, sind nach wie vor auch Deals oberhalb der 1-Milliarde-Grenze machbar», ist Sun überzeugt. «Und wenn sich die Konjunktur erholt und der Handelskonflikt zwischen den USA und China beigelegt wird, werden wir auch wieder eine deutliche Zunahme bei den Transaktionsaktivitäten sehen.»

Für die zweite Jahreshälfte seien noch einige Transaktionen im dreistelligen Millionenbereich in der Pipeline, berichtet Sun. «Es sind einige chinesische Unternehmen in den Startlöchern – es bleibt allerdings abzuwarten, ob sie dann auch den Zuschlag bekommen.» (EY/mc/ps)

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