Schweiz erzielt im zweiten Quartal Leistungsbilanz-Überschuss von 21 Milliarden
Zürich – Die Schweizer Volkswirtschaft hat im zweiten Quartal 2019 erneut einen hohen Leistungsbilanzüberschuss erzielt: Sie nahm insgesamt über 21 Milliarden Franken mehr ein als sie ausgab. Der hohe Überschuss wird im Ausland allerdings nicht überall goutiert.
Konkret erreichten die gesamten Einnahmen im Berichtszeitraum April bis Juni 2019 einen Wert von 163,9 Milliarden Franken, die Ausgaben lagen bei 142,6 Milliarden, wie die Schweizerische Nationalbank (SNB) am Freitag mitteilte. Dies ergibt einen Leistungsbilanz-Überschuss von 21,3 Milliarden, wobei die Zahlen provisorisch sind und noch relativ stark ändern können.
Dieser Überschuss wiederum ergibt sich aus einem positiven Saldo aus Waren und Dienstleistungen von 19,0 Milliarden, einem Überschuss bei den Primäreinkommen (Arbeits- und Kapitaleinkommen) von 4,6 Milliarden und einem Minus bei den Sekundäreinkommen (laufende Übertragungen) von 2,3 Milliarden.
In der Leistungsbilanz werden alle Einnahmen und Ausgaben einer Volkswirtschaft erfasst, wobei neben dem reinen Warenhandel auch der Handel mit Dienstleistungen (Tourismus etc.), Arbeits- und Kapitaleinkommen sowie laufende Übertragungen dazu gezählt werden. Das Minus bei den Sekundäreinkommen ist typisch für die Schweiz und ist vor allem auf Geldübertragungen von ausländischen Personen in ihre Heimatländer zurückzuführen.
USA argwöhnisch
Ein hoher Leistungsbilanzüberschuss ist für die Schweizer Wirtschaft seit vielen Jahren typisch, ruft aber auch immer wieder Kritik hervor. Deutlich höhere Einnahmen als Ausgaben sind gemeinhin vor allem ein Zeichen für eine unterbewertete Währung.
Die US-Regierung hatte die Schweiz denn auch zwischenzeitlich – wegen des Überschusses bei der Leistungsbilanz, aber auch wegen der starken Deviseninterventionen – auf eine Liste potentieller «Währungsmanipulatoren» gesetzt. Und nun läuft die Schweiz Gefahr, wieder auf die Liste zu kommen.
Um auf diese US-Liste zu kommen, müssen drei Kriterien erfüllt sein. Erstens darf ein Land keine einseitigen Deviseninterventionen im Umfang von mehr als 2 Prozent des eigenen BIP innert acht Monaten tätigen. Zweitens ist ein Exportüberschuss im Güterhandel von mindestens 20 Milliarden mit den USA und drittens ein Leistungsbilanzüberschuss von 2 Prozent gemessen am eigenen BIP nötig.
Die Schweiz ist bei allen drei Kriterien hart an der Grenze oder erfüllt sie gar klar. Vor allem beim Leistungsbilanzüberschuss lag sie letztes Jahr weit über den US-Vorgaben. Bei einem BIP (zu Marktpreisen) von rund 690 Milliarden Franken und einem Leistungsbilanzüberschuss von 71 Milliarden Franken ergibt sich ein Überschuss von 10,3 Prozent.
Bei Deviseninterventionen könnte es eng werden
Auch in Bezug auf die Deviseninterventionen könnte es wieder eng werden. Zwar hatte die SNB von Mai 2017 bis Mitte 2019 kaum mehr zur Schwächung des Frankens intervenieren müssen, seither haben die Interventionen aber wieder zugenommen.
Die SNB gibt zwar keine Details dazu bekannt, eine gute Annäherung ist aber die Entwicklung der Giroguthaben. Und diese sind zwischen Mitte Juli und Ende August um über 10 Milliarden Franken gestiegen. Sollte die SNB tatsächlich in diesem Ausmass interveniert haben, wären das bereits gegen 2 Prozent des BIP.
Und auch in Bezug auf den Aussenhandel überschreitet die Schweiz die Vorgaben. So lag der Überschuss im Warenhandel der Schweiz zwischen den USA und der Schweiz bei Exporten von 37,9 Milliarden und Importen von 12,6 Milliarden letztes Jahr bei über 25 Milliarden Franken und damit – auch in Dollar gerechnet – klar über der Grenze. Es wäre also gut möglich, dass die Schweiz bald wieder auf die US-Liste der Währungsmanipulatoren gesetzt wird.
Pharma und Transithandel dominant
SNB-Präsident Thomas Jordan wehrt sich allerdings gegen den Vorwurf des Manipulatoren. Der Schweizer Franken sei sehr wohl hoch bewertet, betont er immer wieder, zuletzt diese Woche bei der geldpolitischen Lagebeurteilung.
Der anhaltend hohe Leistungsbilanzüberschuss sei keineswegs Ausdruck eines zu schwachen Frankens. In einer Rede 2017 nannte er verschiedene Gründe für den hohen Leistungsbilanzüberschuss. So werde etwa die Höhe und Entwicklung des Leistungsbilanzsaldos in der Schweiz von den zwei Branchen Pharmaindustrie und Transithandel dominiert. Deren Nettoexporte reagierten nur wenig auf Wechselkursveränderungen, doch sei ihre Bedeutung für die Leistungsbilanz deutlich grösser als für die Gesamtwirtschaft des Landes.
Der SNB-Präsident nannte aber auch gewisse Verzerrungen etwa durch multinationale Unternehmen oder strukturelle Gründe im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung. Aus diesen Gründen, so Jordan, sei die ausgewiesene Leistungsbilanz der Schweiz somit kein gutes Mass für die Beurteilung der Handelsströme. (awp/mc/ps)