Die Nachfrage nach IT-Fachkräften steigt weiter an
Zürich – Viele Unternehmen bekunden nach wie vor grosse Mühe, geeignete IT-Spezialisten zu finden. Manchmal liegt es daran, dass man sich nicht konsequent genug von alten Denkmustern verabschiedet hat.
Der Hays Fachkräfte-Index für die erste Jahreshälfte 2019 zeigt einen über die letzten Jahre kontinuierlichen Anstieg der Nachfrage nach IT-Fachkräften. Trotz des leichten Rückgangs vom ersten zum zweiten Quartal besteht kein Zweifel daran, dass sich der Bereich IT weiterhin im Aufwärtstrend befindet. Das gilt für alle Spezialisierungen, auch wenn die Nachfrage nach bestimmten Qualifizierungen leicht schwankt.
Spezialisten werden von Unternehmen aller Grössenordnungen gesucht – vom Startup mit zwei Mitarbeitern bis zum Grosskonzern. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mit 20 bis 500 Mitarbeitenden ziehen bei Festanstellungen gerne einen Personalvermittler hinzu. Diese Firmen sind oft noch zu klein oder zu neu am Markt, um als Marke zu gelten und mit ihrem Namen Bewerber anzuziehen. Das heisst aber nicht, dass sie als Arbeitgeber nicht attraktiv sind, zumal viele von ihnen erfolgreich in einem Wachstumsmarkt tätig sind.
Die grösste Nachfrage gibt es im Bereich Analytics und Sicherheit
Aktuelle Boombereiche innerhalb der IT sind Analytics und Sicherheit. Dank RFID-Chips, mobiler Endgeräte, in Autos verbauter SIM-Karten, steigender Kredit- und Kundenkartennutzung und ganz allgemein rasant zunehmender Digitalisierung fallen nicht nur immer grössere Datenmengen an, sondern auch der Zeitraum, der sich digital auswerten lässt, ist inzwischen sehr aussagekräftig. Business-Intelligence-Experten und -Analysten werden daher von jedem grösseren Unternehmen gesucht. Parallel dazu nimmt die Nachfrage nach Security-Experten weiter zu. Zum einen müssen die riesigen Data-Lakes der Konzerne vor unberechtigten Zugriffen geschützt werden, zum anderen gilt es – auch für kleinere und mittlere Unternehmen – Phishing- und Ransomware-Attacken zu verhindern. Für Banken und Versicherungen war maximale Sicherheit schon immer die Devise; heute gilt dies zunehmend auch für Industrieunternehmen und Dienstleister, die gar nicht viel mit IT zu tun haben. Auch sie können es sich nicht leisten, dass der Betrieb plötzlich lahmgelegt wird. Spezialisten werden dabei sowohl von externen Security-Anbietern gesucht wie auch von den Unternehmen selbst, die eine eigene Security-Abteilung aufbauen.
Die Nachfrage nach Datenbankentwicklern im ERP-Segment wird durch die 2025-Frist von SAP angeheizt. Ab diesem Zeitpunkt werden nur noch S/4 Hana und die SAP Business Suite 7 on Hana unterstützt. Nach 2025 dürfte sich der Bedarf voraussichtlich etwas abschwächen. Experten im Bereich Machine Learning werden zurzeit im Wesentlichen im universitären Umfeld gesucht, obschon künstliche Intelligenz als Thema allgegenwärtig ist.
Wo und wie wird gesucht?
Haben Unternehmen Mühe damit, IT-Experten mit passgenauer Qualifikation zu finden, wenden sie sich an einen Personaldienstleister. Doch auch für diesen ist die Aufgabe nicht leicht, da geeignete Kandidaten grundsätzlich knapp sind und für eine Festanstellung schliesslich nur alle paar Jahre zur Verfügung stehen. In der Schweiz sind klassische Security-Experten und Spezialisten für Cyber-Security, Risk, Audit oder Netzwerk-Sicherheit noch am ehesten zu finden. Für weitergehende Spezialisierungen, insbesondere wenn Cloud-Erfahrung gefragt ist, muss häufig das Ausland in die Suche einbezogen werden. Nicht nur gibt es hierzulande kaum erfahrene Kandidaten, die Schweiz bildet auch zu wenig IT-Spezialisten aus – wobei die Hochschule Luzern eine löbliche Ausnahme bildet. Allerdings haben die Hochschulabsolventen zunächst nur theoretisches Wissen und sind natürlich auch nicht auf ein Thema spezialisiert. Für Hays werden sie mit drei bis fünf Jahren Berufserfahrung als Kandidaten interessant.
Während etwa in der Pharmaforschung Rekrutierung grundsätzlich global stattfindet, werden in der IT gute Deutschkenntnisse selbst dann gewünscht, wenn die Unternehmenssprache Englisch ist. Allzu international darf die Kandidatensuche also nicht durchgeführt werden. Für Spezialisten aus Deutschland ist ein Umzug in die Schweiz allerdings weniger attraktiv geworden, seit die deutsche Wirtschaft deutlich angezogen hat – erst recht, wenn ein Entwickler mit Kindern herziehen möchte und hier einen raren und teuren Kita-Platz suchen muss.
Die Wünsche der Mitarbeiter haben sich geändert
Die Anliegen der Kandidaten haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Die Jüngsten lassen sich von Marken leiten und fühlen sich zu den Grosskonzernen hingezogen, die sie bereits aus dem Studium kennen. Kleine und mittlere Unternehmen hingegen haben kaum eine Chance, sich an den Universitäten vorzustellen. Nach wie vor gefragt sind flexible Arbeitszeitmodelle mit Jahresarbeitszeit, gern auch zu einem reduzierten Pensum, und die Möglichkeit, aus dem Home-Office zu arbeiten. Kurz gesagt, die jungen Spezialisten wollen in erster Linie viele Freiheiten – auch wenn sie sich noch gar nicht wirklich bewiesen haben. Für den Arbeitgeber heisst das: Agiles Projektmanagement allein reicht nicht aus, um die gesuchten Kandidaten zu begeistern, wenn dann das tägliche Scrum-Meeting für 8.30 Uhr angesetzt wird. Früher war den Kandidaten die Stabilität des Arbeitsplatzes ein wichtiges Anliegen; heute sind Fringe Benefits und eine ansprechende Büroeinrichtung mit Tischfussball von grösserer Bedeutung.
Eine besondere Situation herrscht in Zürich, wo Google seinen mit 4000 Entwicklern zweitgrössten Forschungsstandort weltweit betreibt und weiter wachsen will. Google hat natürlich keinen Mangel an Bewerbern. Entwickler, die Google verlassen, haben jedoch nicht selten Schwierigkeiten, eine neue Stelle zu finden. Oft sind sie auf Technologien spezialisiert, die noch lange nicht marktreif sind. Kaum jemand spricht Deutsch. Sie sind ausgesprochen verwöhnt, was Arbeitszeiten und Arbeitsumfeld betrifft, und schliesslich haben sie deutlich mehr verdient, als ihr zukünftiger Vorgesetzter in einem anderen Unternehmen erhält. Für viele Firmen kommen daher Ex-Googler nicht als Mitarbeiter in Frage – wie es auch ehemalige Banker schwer haben, in anderen Industriesegmenten eine neue berufliche Heimat zu finden.
Die Einstellung in den Unternehmen muss sich ändern
Manche Unternehmen haben sich noch immer nicht von der Vorstellung verabschiedet, Kandidaten müssten dankbar sein, zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Doch es ist genau umgekehrt: Die Firma muss dankbar sein, dass jemand vorbeikommt! Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sich dieser Trend noch verschärfen wird. Entsprechend gross ist der Handlungsbedarf bei den Unternehmen.
Die Herausforderung beginnt mit der Eigenwerbung, die sich – wenn sie überhaupt vorhanden ist – in erster Linie an potenzielle Kunden richtet. Die Wirkung auf Stellenbewerber wird kaum berücksichtigt. Allein eine veraltete Website kann jedoch reihenweise Spezialisten davon abhalten, sich weiter für einen Arbeitgeber zu interessieren. Dann die Stellenausschreibung: Wenn sie nicht frisch und jugendlich formuliert ist, werden sich die gewünschten Kandidaten kaum darauf bewerben. Auch der Bewerbungsprozess ist massgeblich – und zwar nicht die Systeme, die dabei zum Einsatz kommen, sondern die Wertschätzung, die den Kandidaten entgegengebracht wird. Dazu gehört auch, dass sich der Prozess nicht in die Länge zieht. Kommt es doch einmal zu Verzögerungen, gilt es die Kandidaten zu informieren, will man sie nicht an die Konkurrenz verlieren. Viele Unternehmen sind noch viel zu sehr in den alten Denkmustern haften geblieben und betrachten den Stellenbewerber als Bittsteller.
Ganz besonders müssen Unternehmen sich anstrengen, um die Arbeitsumgebung zu modernisieren. Die richtigen Leute sollen nicht nur angezogen, sondern auch gehalten werden! Denn wenn die Mitarbeiter erst einmal produkt- und prozessspezifisches Wissen aufgebaut haben, kommt es einem Aderlass gleich, wenn sie das Unternehmen verlassen.
In der Schweizer Politik hat inzwischen ein Umdenken stattgefunden; der Lehrplan 21 sieht sogar Programmierkurse in der Schule vor. Als rohstoffarmes Hochlohnland bleibt der Schweiz auch gar kein anderer Weg, als sich auf Technologien und somit auf IT zu konzentrieren. (mc/pg)
Patricia Jergen & Thorsten Morschheuser