Roland Fischer, CEO OC Oerlikon, im Interview
von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Fischer, sieht man sich die Herausforderungen in der Automobilbranche jetzt im Herbst an, sind Sie sicherlich froh, die Devestition des Segments Drive Systems im Frühjahr über die Bühne gebracht zu haben?
Wir haben die Strategie von Oerlikon bereits 2015 definiert. Ein Teil dieser Strategie bestand in der Devestition des Segments Drive Systems. Und wie bei allen Akquisitionen galt auch hier: der Zeitpunkt für eine Transaktion ergibt sich dann, wenn sich Käufer und Verkäufer über die Bedingungen einig sind. Dana und Drives Systems teilen den gleichen Geschäfts- und Technologiefokus, haben Synergien ihr Produktportfolio betreffend, und sie sprechen dieselben Kunden und Märkte an. Bei Dana kann Drive Systems eine noch stärkere und wettbewerbsfähigere Position in seinen Märkten erlangen.
Die Automobilbranche bleibt jedoch nach wie vor grosser Kunde von OC Oerlikon. Wo profitiert Ihre Firma sogar von den technischen Umwälzungen der Branche?
Die Automobilindustrie ist einer von mehreren Schlüsselmärkten für Oerlikon. Seit Jahrzehnten bieten wir für unsere Kunden in dieser Branche Lösungen in den Bereichen funktionale Schichten und thermisches Spritzen an.
«Unsere Beschichtungslösungen für Kolben, Zylinder, Zahnräder, Kugelbolzen und vieles mehr verbessern die Motoreffizienz, sodass weniger Kraftstoff verbraucht wird, was wiederum der Umwelt zu Gute kommt.»
Roland Fischer, CEO OC Oerlikon
Die Automobilindustrie steht aber vor einem Umbruch mit einer ganzen Reihe von technischen und ökologischen Herausforderungen…
Aus diesem Wandel ergeben sich auch zahlreiche Chancen. Diesel- und Benzinfahrzeuge müssen immer leistungsfähiger, gleichzeitig aber auch immer umweltfreundlicher werden. Und genau das können wir anbieten. Unsere Beschichtungslösungen für Kolben, Zylinder, Zahnräder, Kugelbolzen und vieles mehr verbessern die Motoreffizienz, sodass weniger Kraftstoff verbraucht wird, was wiederum der Umwelt zu Gute kommt. Unsere ePD-Technologie bietet eine nachhaltige Lösung für das Metallisieren von Kunststoffteilen in Chromoptik, bei der keine schädlichen Chromderivate Anwendung finden. Und unsere Entwicklungen für Bremsscheiben erhöhen nicht nur deren Verschleissfestigkeit, sondern reduzieren auch den feinen Bremsstaub.
Natürlich forschen wir auch daran, welche Möglichkeiten die Beschichtungstechnologie den Kunden bei der Produktion von E-Autos und E-Lastwagen bietet und entwickeln Lösungen für diesen Bereich – konkret für die Beschichtung von Gussformen, Presswerkzeugen oder Automobilkomponenten.
Ein höherer Umsatz in der Luft- und Raumfahrt in den USA konnte die verhaltene Entwicklung in den Branchen Automobilbau, in der Werkzeugindustrie und in der Energieerzeugung ganz gut kompensieren. Wie war das möglich, trotz der Schwierigkeiten, in denen Boeing steckt, oder ist Boeing nur ein kleiner Teil vom dortigen Kuchen?
Wie wir im dritten Quartalsbericht berichtet haben verzeichneten wir weiterhin ein Umsatzwachstum in der Luftfahrt. Unseren Kunden in der Luftfahrt bieten wir nicht nur Beschichtungslösungen für neue Komponenten und Triebwerke an, sondern eben auch für Wartung und Reparatur. Wir sehen weiterhin eine gute Nachfrage aus dem Bereich MRO (Maintenance, Repair and Overhaul, A.d.R.), da die Wartung und Reparatur von Flugzeugen für die Branche nach wie vor oberste Priorität hat, damit Leistung und Sicherheit gewährleistet sind.
Bei Ihren Akquisitionen herrscht in diesem Jahr Stille. Warten Sie auf sinkende Preise?
Wir verfolgen bei Akquisitionen einen verantwortungsbewussten und umsichtigen Ansatz. Das M&A-Ziel, die Bedingungen und die Konditionen müssen stimmen. Als börsennotiertes Unternehmen haben wir gegenüber unseren Aktionären die Verpflichtung, Wertschöpfung zu generieren. Wir müssen dabei zurückhaltend und diszipliniert agieren. Wir wollen nicht zu viel bezahlen.
Andererseits verwenden Sie mehr als die Hälfte des Drive Systems Verkaufserlöses für Ihr Aktienrückkaufprogramm. Ist auch OC Oerlikon jetzt wie viele Ihrer Kunden eher zurückhaltend hinsichtlich neuer Investitionen?
Wir haben unsere Aktionäre in diesem Jahr mit einer Sonderdividende am Verkaufserlös beteiligt. Das Aktienrückkaufprogramm steht damit nicht in Zusammenhang. Wir investieren jährlich rund vier Prozent unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung, denn wir wollen auch weiterhin neue Technologien und Lösungen entwickeln und unseren Kunden anbieten. Innovationen sind Teil der DNA von Oerlikon und einer der Gründe, warum wir unsere Position als Technologie- und Marktführer behaupten können. Ist das Marktumfeld schwierig, müssen natürlich auch wir in Sachen Investitionen umsichtiger agieren. Trotzdem denken wir langfristig – insbesondere im Hinblick auf Neu- und Weiterentwicklungen, denn die Märkte werden sich wieder erholen.
Unser Fokus auf Innovationen und Technologien lässt sich grob in drei Kategorien einteilen:
- Kundengetriebenes Engineering: Diese Lösungen entwickeln wir oft gemeinsam mit dem Kunden; sie basieren auf der unmittelbaren Notwendigkeit, Leistung zu steigern oder auch Kosten zu senken.
- Durch Markttrends getriebene Lösungen, die auf breiteren Branchentrends und -entwicklungen basieren. So erforschen und entwickeln wir beispielsweise Technologien, mit denen wir der Nachfrage nach Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Umweltschutz gerecht werden können.
- Zukunftsweisende Lösungen der nächsten Generation: für die additive Fertigung (3D) sowie intelligente, digitale und KI-basierte Technologien.
Trotz Umsatzrückgang konnte Ihr Geschäftsbereich Manmade Fibers den Bestellungseingang gegenüber dem Vorjahresquartal steigern. Deutet das schon die unmittelbare Trendwende an?
Im Chemiefasergeschäft ist es unser Ziel, das Auftrags- und Umsatzniveau auf einem hohen Level zu halten. Das ist uns in den letzten Quartalen gelungen, und wir bemühen uns, das auch weiterhin zu schaffen.
Werden Sie die auf Ende Jahr kalkulierte EBITDA-Steigerung bei Manmade Fibers um 100 Basispunkte durch Innovation oder durch Effizienz erreichen?
Durch beides – und noch mehr. Wir führen laufend neue Technologien ein, wie zum Beispiel unsere Smart Factory Lösungen, und wir verbessern unsere Kostenstrukturen und unsere Betriebseffizienz. Das ist aber noch nicht alles. Darüber hinaus konnten wir Projekte und Geschäfte mit interessanten Margen aufbauen und haben damit gleichzeitig unser Serviceangebot verbessert. Alle diese Massnahmen tragen zur Verbesserung der EBITDA-Marge im Manmade Fibers Segment bei.
«Aufgrund des weltweiten Bevölkerungswachstums und des gestiegenen Mobilitätsbedarfs wird die Nachfrage nach Filamentgarnen weiter steigen, was wiederum die Nachfrage nach Filamentspinnanlagen befeuern wird.»
Der Markt für Filamente wird wohl im Vergleich zu Teppichgarnen generell stärker wachsen. Was bedeutet das für OCs Portfolio?
Auch BCF-Teppichgarn ist ein Filamentgarn. BCF steht für bulked continuous filament und bezeichnet ein voluminöses Endlosgarn, das hauptsächlich für Teppich verwendet wird. Im Vergleich dazu werden andere Filamentgarne breiter eingesetzt – von Kleidung über Vorhänge, Möbel, Polster, Hochleistungssportbekleidung bis Netze. Aufgrund des weltweiten Bevölkerungswachstums und des gestiegenen Mobilitätsbedarfs wird die Nachfrage nach diesen Produkten weiter steigen, was wiederum die Nachfrage nach Filamentspinnanlagen befeuern wird.
Filamentspinnanlagen werden deshalb auch weiterhin den grössten Teil unseres Portfolios bei Manmade Fibers ausmachen. Auch die anderen Chemiefasergeschäfte – Stapelfasern und Vliesstoffe – sind wichtig. Insbesondere der Markt für Vliese ist sehr attraktiv und vielversprechend.
Diffuse rechtliche Rahmenbedingungen und Hindernisse beim Technologietransfer sind die bedeutsamsten Herausforderungen im China-Geschäft, wo Manmade Fibers seinen Hauptmarkt hat. Wie schützen Sie im Reich der Mitte Ihre Position?
Der Schlüssel liegt in der kontinuierlichen Innovation. Mit unseren Chemiefasertechnologien sind wir Marktführer, und die meisten unserer Kunden für Filamentspinnanlagen haben ihren Sitz in China. Wir konnten unsere Führungsposition behaupten, weil wir mit neuen und besseren Technologien immer einen Schritt voraus waren. Unsere Kunden konnten so ihre Effizienz und Qualität steigern, Materialverlust reduzieren und Kosten sparen. So sind wir heute führend in der Entwicklung von intelligenten Fabriklösungen für diese Brache. Sie basieren auf Industry 4.0, und schaffen mit KI und vernetzten Technologien Mehrwert für unsere Kunden.
«Unser Ziel war es, unser Servicegeschäft auf 40% des Konzernumsatzes zu heben. Dienstleistungen weisen häufig ein stabileres Margenprofil auf als das Anlagen-Geschäft.»
Die Erträge aus dem Servicegeschäft machten im 3. Quartal bereits 38,4% des gesamten Konzernumsatzes aus (Q3 2018: 35,7%). Wird ihr Geschäft also immer anspruchsvoller?
Unser Ziel war es, unser Servicegeschäft auf 40% des Konzernumsatzes zu heben. Dienstleistungen weisen häufig ein stabileres Margenprofil auf als das Anlagen-Geschäft. Mit 38.4% sind wir also gut unterwegs. Das Geschäft wird eher durch die geopolitische Unsicherheit und die verzögerten Investitionen in Kapitalgüter, Produktion und weniger Konsum anspruchsvoller.
Beschichtung ist eine Art Königsdisziplin in den Materialwissenschaften. Ihre Division Surface Solutions erzielte nun zum ersten Mal seit langem kein organisches Wachstum. Wie hoch schätzen Sie bei konstantem Konsolidierungskreis wieder das durchschnittliche Wachstumspotenzial dieser Division in den nächsten Jahren?
Die Herausforderungen in unseren Märkten – insbesondere im Automobilbau, in der Werkzeugindustrie und in der Energiewirtschaft – spiegeln sich nun in unserer Performance wider, wie wir im dritten Quartal berichtet haben. Die Kunden sind bei Investitionen vorsichtiger und warten ab, wie sich die geopolitischen Themen entwickeln. In diesem herausfordernden Umfeld haben wir uns recht gut geschlagen. Wir haben bereits Massnahmen zur Kosteneinsparung und für operative Verbesserungen getroffen. Wir erwarten, dass diese sich bereits ab diesem Quartal positiv auswirken.
Und die Soap Opera Handelskrieg?
Wir sind zuversichtlich, dass die USA und China ihre Handelsstreitigkeiten lösen – das liegt im Interesse beider Volkswirtschaften. Mittel- bis langfristig bleiben unsere Endmärkte attraktiv, angetrieben von Trends wie Bevölkerungswachstum und dem Wunsch nach Mobilität und höherem Lebensstandard. Wir bleiben unserer Strategie einfach treu, weiter in unser Geschäft mit Oberflächenlösungen zu investieren, und es auszubauen – sowohl organisch als auch durch gezielte Akquisitionen.