OBT: Auswirkungen des Coronavirus – Antworten auf rechtliche Fragen

OBT: Auswirkungen des Coronavirus – Antworten auf rechtliche Fragen
Darstellung eines Coronavirus. (Bild: Centers for Disease Control and Prevention CDC)

Nachdem sich das Coronavirus in den letzten Tagen und Wochen in ganz Europa und in der Schweiz rasant verbreitet hat, hat der Bundesrat am 16. März 2020 die Situation in der Schweiz neu als ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz eingestuft. Der Bundesrat ist berechtigt, in allen Kantonen einheitliche Massnahmen anzuordnen und die Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus weiter zu verschärfen.

Alle Läden, Restaurants, Bars, Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe werden bis am 19. April 2020 geschlossen. Schulen und Universitäten wurden bereits geschlossen. Das öffentliche Leben wird auf das notwendige Minimum reduziert und die Bevölkerung ist aufgerufen, die angeordneten Hygienemassnahmen zu befolgen sowie nach Möglichkeit zuhause zu bleiben. Die arbeitende Bevölkerung soll im Home-Office arbeiten. Die aktuelle Situation ist für alle neu und anspruchsvoll – Unternehmer und Geschäftsleitungen sehen sich mit vielen Fragen konfrontiert. Basierend auf dem aktuellsten Wissensstand hat OBT die wichtigsten Antworten zusammengestellt.

Die folgenden Empfehlungen und Weisungen basieren auf dem momentanen Wissensstand, könnten aber bereits morgen überholt sein. Daher empfehlen wir Ihnen, den konkreten Einzelfall jeweils aktuell zu prüfen.

Fragen zum Arbeitsrecht
Müssen Arbeitgeber Massnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeitenden ergreifen?
Ja. Gestützt auf Art. 328 OR muss der Arbeitgeber die Gesundheit seiner Mitarbeitenden mit geeigneten Massnahmen vor dem Coronavirus schützen. Da es sich beim Coronavirus um einen neuen, unbekannten Virus handelt, gestaltet es sich für den Arbeitgeber schwierig, geeignete Massnahmen zu ergreifen.

Die Arbeitgeber sind daher gut beraten, sich an den Weisungen und Richtlinien des Bundesamts für Gesundheit BAG (www.bag-coronavirus.ch) zu orientieren und unter anderem dafür zu sorgen, dass die Mitarbeitenden aufs Händeschütteln verzichten, das Distanzgebot einhalten, ihre Hände gründlich waschen sowie bei Fieber und Husten zuhause bleiben.

Soll der Arbeitgeber einen Pandemieplan erstellen?
Ja. In jedem Fall und aufgrund der aktuell ausserordentlichen Lage ist den Arbeitgebern zu empfehlen, so rasch als möglich einen Pandemieplan zu erstellen. In diesem sind die zum Schutz der Mitarbeitenden zu ergreifenden Massnahmen zu regeln sowie die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Ernstfall festzulegen. Im Weiteren sollte der Pandemieplan regeln, wie notfalls die betriebliche Infrastruktur sichergestellt wird, die garantiert, dass essenzielle Geschäftsprozesse aufrecht erhalten werden können. Eine gute Anleitung für die Erstellung eines Pandemieplans liefert zum Beispiel das «Handbuch zur Ausarbeitung eines Pandemieplans für KMU», das auf der BAG-Webseite aufgeschaltet ist .

Können Mitarbeitende dem Arbeitsplatz fernbleiben, wenn sie Angst vor Ansteckung haben?
Nein. Sollte ein Mitarbeitender aus Angst vor einer möglichen Ansteckung nicht zur Arbeit erscheinen, handelt es sich um ungerechtfertigte Arbeitsverweigerung und es besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Eine ungerechtfertigte Arbeitsverweigerung liegt auch dann vor, wenn ein Mitarbeitender zuhause bleibt, weil er seine Kinder aus Angst vor einer Ansteckung nicht in die Schule oder in den Kindergarten schickt.

Können Mitarbeitende dem Arbeitsplatz fernbleiben, wenn sie den Verdacht haben, ansteckend zu sein?
Ja. Befürchtet der Mitarbeitende aufgrund entsprechender Symptome, selber mit dem Coronavirus infiziert und ansteckend zu sein, muss er dem Arbeitsplatz fernbleiben und ein Arztzeugnis vorweisen.

Muss der Arbeitnehmer bei Husten und Fieber ein Arztzeugnis vorweisen?
Ja. Bleibt der Arbeitnehmer, gestützt auf die aktuellen Weisungen des BAG, bei Husten und Fieber zuhause, ändert dies grundsätzlich nichts an der Verpflichtung, ein Arztzeugnis vorzuweisen. Allerdings kann der Arbeitgeber – gestützt auf die aktuell ausserordentliche Situation – die Frist, ab welcher ein Arztzeugnis einzureichen ist, verlängern, so dass beispielsweise statt bereits ab dem dritten Tag erst ab dem siebten Tag eine entsprechende Bestätigung vorzuweisen wäre.

Hat der Mitarbeitende einen Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn er auf Anordnung des Arbeitgebers zuhause bleiben muss?
Ja. Sofern ein Arbeiten im Home-Office nicht möglich ist, ist die Anordnung des Arbeitgebers als Freistellung mit Lohnfortzahlungsanspruch zu qualifizieren.

Besteht für den Arbeitgeber Handlungsbedarf bei Ferienreisen in stark betroffene Gebiete?
Ja. Mitarbeitende, die eine private Reise in ein vom Coronavirus stark betroffenes Gebiet beabsichtigen, sollten angewiesen werden, nach ihrer Rückkehr die Quarantänevorschriften des BAG einzuhalten, bevor die Arbeit im Büro wieder aufgenommen werden darf. Im Weiteren sollten die Mitarbeitenden darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei einer Erkrankung im Anschluss an eine private Reise in ein stark betroffenes Gebiet allenfalls eine selbstverschuldete Arbeitsunfähigkeit besteht, aus der kein Anspruch auf Lohnfortzahlung resultiert.

Darf der Mitarbeitende zuhause bleiben, um seine Kinder zu betreuen, wenn die Schulen aufgrund einer Anweisung des Bundes geschlossen werden?
Ja. Werden die Schulen aufgrund einer behördlichen Anweisung geschlossen, ist der Mitarbeitende unverschuldet an der Arbeit verhindert und der Arbeitgeber ist gemäss Art. 324a OR für eine bestimmte Zeit verpflichtet, den Lohn weiterhin zu bezahlen.

Kann der Mitarbeitende zuhause bleiben, wenn die Kinder am Coronavirus erkrankt sind?
Ja. Der Mitarbeitende darf gegen Vorlage eines Arztzeugnisses während der Dauer von drei Tagen zuhause bleiben, um seine kranken Kinder zu betreuen. Der Mitarbeitende kann auch länger von der Arbeit befreit werden, wenn dies aus medizinischen Gründen gerechtfertigt ist, was beim Coronavirus der Fall sein sollte. Der Lohnfortzahlungsanspruch des Mitarbeitenden richtet sich nach Art. 324a OR.

Hat der Mitarbeitende bei einer behördlich angeordneten Quarantäne Anspruch auf Lohn?
Unklar. Es ist in der Lehre umstritten, ob es sich um eine persönlich begründete Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeitenden mit Lohnfortzahlungsanspruch handelt, wenn der Wohnort des Mitarbeitenden von den Behörden als Vorsichtsmassnahme unter Quarantäne gestellt wird.

Unserer Meinung nach kann eine behördlich angeordnete Quarantäne nicht dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugewiesen werden, das Voraussetzung für die Bejahung einer persönlich begründeten Arbeitsunfähigkeit mit Lohnfortzahlungsanspruch des Mitarbeitenden bildet. Das Lohnrisiko ist daher nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Arbeitnehmer zu tragen.

Hat der Mitarbeitende einen Lohnanspruch, wenn er infolge Quarantäne am Feriendomizil oder Ein- bzw. Ausreisesperren erst verspätet aus den Ferien zurückkehren kann?
Nein. Die Verantwortung für eine rechtzeitige Rückkehr aus den Ferien liegt grundsätzlich beim Mitarbeitenden, weshalb ein Lohnanspruch zu verneinen ist.

Kann der Arbeitgeber aufgrund des Coronavirus Betriebsferien anordnen?
Unklar. Die Anordnung von Betriebsferien ist grundsätzlich möglich, sofern die Notifikationsfrist eingehalten wird.

Es ist allerdings empfehlenswert, diese nach Rücksprache mit den Mitarbeitenden anzuordnen. Hierbei gilt zu beachten, dass fünf Tage vor und nach den Betriebsferien keine Kurzarbeitsentschädigung beansprucht werden kann. Das BAG vertritt hingegen die Ansicht, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, Betriebsferien anzuordnen.

Kann der Arbeitgeber aufgrund des Coronavirus die Kompensation von Überstunden oder unbezahltem Urlaub anordnen?
Nein. Wenn der Arbeitsvertrag keine spezielle Regelung enthält, darf der Arbeitgeber die Kompensation von Überstunden mit Freizeit nicht einseitig anordnen. Dazu ist die Zustimmung der betroffenen Mitarbeitenden notwendig. Dasselbe gilt bei unbezahltem Urlaub.

Fragen zum Vertragsrecht
Wie gestaltet sich die Rechtslage, wenn schweizerische KMU ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Geschäftspartnern infolge des Coronavirus im Sinne einer höheren Gewalt nicht gehörig oder nicht mehr erfüllen können?

Obwohl die schweizerische Gesetzgebung den Begriff der «höheren Gewalt» nicht definiert, wird dieser Begriff von Lehre und Rechtsprechung anerkannt. Entsprechend ist es nach schweizerischem Recht zulässig, dass die Parteien die Rechtsfolge bei Eintritt von höherer Gewalt individuell vertraglich regeln.

In einem ersten Schritt ist daher zu empfehlen, die Regelungen der bestehenden Verträge zu prüfen. Enthalten diese keine Regelungen zur höheren Gewalt, ist zu unterscheiden, ob der Coronavirus die Vertragserfüllung dauerhaft oder nur vorübergehend unmöglich macht. Kann eine Partei ihre vertraglichen Pflichten aufgrund des Coronavirus dauerhaft nicht erfüllen, ist sie gegenüber der anderen Partei grundsätzlich schadenersatzpflichtig, sofern sie ein Verschulden trifft. Ist die dauerhafte Unmöglichkeit der Vertragserfüllung auf Umstände zurückzuführen, welche die vertragsbrüchige Partei nicht zu vertreten hat, besteht keine Schadenersatzpflicht, sofern sie den Exkulpationsbeweis erbringen kann. Kann also nachgewiesen werden, dass ein Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und der dauerhaften Unmöglichkeit der Vertragserfüllung besteht, ist die vertragsbrüchige Partei von ihrer Schadenersatzpflicht befreit.

Kann eine Partei ihre vertraglichen Pflichten aufgrund des Coronavirus nur vorübergehend nicht erfüllen, kann die andere Partei wahlweise an der Erfüllung festhalten und Ersatz des Verspätungsschadens verlangen oder auf die Erfüllung verzichten und Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Eine Schadenersatzpflicht der vertragsbrüchigen Partei besteht jeweils dann, wenn sie nicht beweisen kann, dass ein Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und der vorübergehenden Unmöglichkeit der Vertragserfüllung bestanden hat.

Falls sich im Vorfeld abzeichnet, dass die Vertragserfüllung aufgrund des Coronavirus vorübergehend oder dauerhaft unmöglich wird, ist der betreffenden Partei im Hinblick auf die ihr obliegende Schadensminderungspflicht zu empfehlen, die andere Partei umgehend zu informieren und – sofern überhaupt möglich – rechtzeitig schadensbegrenzende Massnahmen zu ergreifen.

Massnahmen zur Einhaltung von Fristen
Solange der Bundesrat im Zusammenhang mit dem Coronavirus keinen Rechtsstillstand anordnet, laufen alle vertraglichen, gesetzlichen und behördlichen Fristen ohne Unterbrechung weiter. Aus diesem Grund ist den Unternehmen zu empfehlen, im Pandemieplan Regelungen aufzunehmen, welche die Einhaltung der Fristen gewährleisten sollen und können.

Abhaltung von General- und Gesellschafterversammlungen
Ordentliche General- und Gesellschafterversammlungen sind grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres abzuhalten. Hierbei handelt es sich um eine blosse Ordnungsvorschrift, d.h. Beschlüsse von General- und Gesellschafterversammlungen, die nach Ablauf von sechs Monaten gefasst werden, sind trotzdem gültig. Infolge des Coronavirus kann die General- oder Gesellschafterversammlung daher auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Alternativ besteht für die Aktionäre und Gesellschafter die Möglichkeit, sich mittels Vollmacht an der General- bzw. Gesellschafterversammlung vertreten zu lassen. Sodann kann die Versammlung auf das statutarische Minimum beschränkt oder auch als Videokonferenz abgehalten werden.

Fazit
Aufgrund der unbekannten Situation und der daraus resultierenden mangelnden Praxis wirft das Coronavirus viele Rechtsfragen auf, die komplex und schwierig zu beantworten sind. Daher empfehlen wir, die Besonderheiten des Einzelfalls durch Spezialisten prüfen zu lassen.

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