21’000 Betriebe haben im März Kurzarbeit für 315’000 Arbeitnehmende beantragt
Bern – Die Wirtschaft leidet unter dem Coronavirus: Im März haben 21’000 Betriebe für 315’000 Arbeitnehmende ein Kurzarbeitsgesuch gestellt. Derweil steigt die Zahl der Opfer weiter. Über 8000 Menschen haben sich infiziert, 70 Todesopfer sind zu beklagen.
6,1 Prozent der Beschäftigten in der Schweiz sind von Kurzarbeit betroffen. Dieser Anstieg sei «unvergleichlich» mit der Finanzkrise, sagte Boris Zürcher vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Montag vor den Bundeshausmedien. Damals sei die Spitze bei 5000 Betrieben und 92’000 Arbeitnehmenden erreicht worden.
Am meisten Gesuche – für mehr als jeden vierten Arbeitnehmenden – seien im Kanton Tessin gestellt worden. Überdurchschnittlich betroffen seien Betriebe in den Bereichen Kultur, Verkehr und Handel. Zürcher erwartet in den kommenden Wochen eine weitere Zunahme der Kurzarbeitsgesuche.
Kurzarbeit soll Arbeitsplätze sichern, Entlassungen verhindern und die Auszahlung der Löhne ermöglichen, wie Zürcher sagte. Unternehmen sollten sich rasch melden. «Kurzarbeitsentschädigung wird nicht rückwirkend erteilt.» Die Komplexität der Formulare für die Unternehmen sei drastisch reduziert worden.
Alle miteinbeziehen
Neben den Löhnen belasten auch die Mieten die Unternehmen und Haushalte. Vermieter und Mieter treffen sich am Dienstag zu einem runden Tisch, um über mögliche Lösungen zu diskutieren, wenn Mieten nicht mehr bezahlt werden können. Das sagte Martin Tschirren, Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO).
Ebenfalls an einen Tisch setzen sich am Dienstag die Spitzen der Sozialpartner und der Bundesrat. Dort soll es um die wirtschaftlichen Folgen der Krise gehen und deren Bekämpfung, wie Zürcher vom Seco sagte. «Verschiedene Kreise haben wir zuletzt nicht in der Tiefe und Breite konsultieren können wie vor der Krise.»
Rügen für Tessin und Genf
In vielen Fragen geht es um die Koordination zwischen Bund und Kantonen. Zu weit ist aus Sicht der Bundesbehörden der Kanton Tessin gegangen. Die Schliessung von Baustellen und Industriebetrieben gehe über die Reglungen des Bundes hinaus, erklärte Martin Dumermuth, Direktor des Bundesamtes für Justiz. Betroffene Betriebe könnten sich gegen diese Schliessungen zur Wehr setzen.
Auch Baustellen im Kanton Genf dürfen laut dem Bund nicht generell geschlossen werden. Wie im Tessin müssten aber natürlich auch hier die Einzelfälle geprüft werden.
Flickenteppich verhindern
Generell sei der Bund mit vielen Kantonen in engem Kontakt, um Regeln und Gesuche zu diskutieren, sagte Dumermuth. Oberste Maxime sei dabei immer die öffentliche Gesundheit. Zudem sei es wichtig, die Kompetenzen des Bundes und der Kantone klar zu kommunizieren.
In Prüfung sind laut Dumermuth sogenannte Krisenfenster, während denen einzelne Kantone in besonderen Momenten besondere Massnahmen treffen könnten. Diese würde der Bund auf Gesuch hin beschliessen. Ein kantonaler Flickenteppich von unterschiedlichsten Massnahmen soll aber verhindert werden.
Grosse Rückholaktion
Das Aussendepartement EDA hat derweil die grösste Rückholaktion aller Zeiten gestartet. Rund 15’000 Schweizerinnen und Schweizer sind nämlich nach wie vor im Ausland blockiert. Laut EDA-Krisenmanager Hans-Peter Lenz sind vor allem jene problematisch, die in abgelegenen Gebieten ausserhalb der Hauptstädte festsitzen.
Am Montag und Dienstag sind drei Rückholflüge geplant, die vom Bund mitfinanziert werden. Diese gehen nach Costa Rica, Kolumbien und Peru. Insgesamt 750 Personen sollen so zurückgeholt werden. Innerhalb der nächsten beiden Wochen sollen sämtliche Kontinente angeflogen werden, sagte Lenz. Zudem werde der Rhythmus der Flüge erhöht.
Zahl der Opfer steigt weiter
Trotz der teilweise drastischen Massnahmen der Behörden nehmen die Infektionen und Todesfälle vorerst ungebremst zu. Die Zahl der Toten ist bis am frühen Montagnachmittag auf 70 gestiegen, wie Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) sagte. Die Zahl der Infizierten betrug 8060 – 1046 mehr als 24 Stunden zuvor.
Die Kantone Tessin, Basel-Stadt und Waadt sind nach wie vor am stärksten betroffen. Die höchste Inzidenz (Fälle pro 100’000 Einwohner) hat laut aktualisiertem Situationsbericht zur epidemiologischen Lage der Kanton Tessin (326,9), gefolgt von den Kantonen Waadt (235,3) und Basel-Stadt (222,8).
«Es hat noch Kapazität auf den Intensivstationen», sagte Koch. Wie lange diese reichen würden, «werden wir sehen».
6000 Tests pro Tag
Täglich würden rund 6000 Tests durchgeführt, sagte Koch. Dabei wird es vorläufig bleiben, für zusätzliche Tests fehlt das Material. «Der Nachschub ist nicht gesichert, deshalb müssen wir bei der jetzigen Strategie bleiben», sagte Koch. Einzelne Labors hätten bereits Mühe, genügend Testmaterial zu finden. Das sei vor allem dann problematisch, wenn man bestimmte Patienten unbedingt testen müsse.
«Wir hoffen, dass in naher Zukunft serologische Tests auf den Markt kommen», sagte Koch. Solche zeigten an, wer die Krankheit effektiv schon durchgemacht habe, ohne Symptome zu zeigen. Es gäbe mittlerweile einige solche Tests, man sei sehr gespannt. (awp/mc/pg)