RobecoSAM: Geschlechtergleichstellung und Unternehmensergebnisse
Laut dem Global Gender Gap Report 2020 des Weltwirtschaftsforums wird es ausgehend vom derzeitigen Tempo 257 Jahre dauern, bis das Geschlechtergefälle in der Wirtschaft in punkto Partizipation und Chancen überwunden werden kann. Dem Bericht zufolge «bekleiden lediglich 36 Prozent der Frauen Führungspositionen». Daran wird deutlich, dass es bei der Geschlechtergleichstellung nur langsam vorangeht – eine Feststellung, die durch eine Studie von RobecoSAM gestützt wird.
Von Junwei Hafner-Cai, CIIA, Portfolio Manager Global Gender Equality Impact Equities, RobecoSAM. (Bild RobecoSAM)
2017 erklärte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass es einen Zusammenhang zwischen der mangelnden Gleichstellung von Frauen und Männern und einem «suboptimalen Wirtschaftswachstum» gibt. Auch darauf deutet die Studie von RobecoSAM hin.
Wenig Fortschritt – überall auf der Welt und in allen Sektoren
In der Studie analysierte RobecoSAM einen einzigartigen Datenbestand von über 20.720 Unternehmensjahrbeobachtungen, die im Rahmen des SAM Corporate Sustainability Assessment (CSA) von 2013 bis 2018 erfasst wurden. Beim CSA handelt es sich um eine ESG-Bewertungsmethode, mit der die Nachhaltigkeitswirkung analysiert wird. In allen Branchen weisen die Daten von 2018 ein erhebliches Gefälle zwischen dem Frauenanteil in der Unternehmensleitung und dem erheblich höheren Frauenanteil in der Gesamtbelegschaft aus. Ein Vergleich des Frauenanteils im Management und in der Gesamtbelegschaft ergibt ein ähnliches Bild. Dieses Ergebnis bestätigt: Je höher die im Unternehmensebene, desto geringer der Frauenanteil.
Kritische Masse
Mit einer Regressionsanalyse untersuchte RobecoSAM anschliessend die Korrelation zwischen dem Frauenanteil auf verschiedenen Unternehmensebenen und den Fundamentaldaten des jeweiligen Unternehmens. Durch die Bildung von Quantilen konnte der Zusammenhang mit der Finanzentwicklung pro Ebene bestätigt werden: Unternehmensleitung, Management und Gesamtbelegschaft. Laut den erzielten Ergebnissen wirkt sich ein Frauenanteil von über 20 Prozent in der Unternehmensleitung, von über 30,2 Prozent im Management und von über 44,7 Prozent in der Gesamtbelegschaft positiv auf den Unternehmensertrag und die EBIT-Marge aus. Der Verschuldungsgrad hingegen korreliert negativ mit dem Frauenanteil. Dies bedeutet, dass sich die Geschlechtervielfalt im Unternehmen positiv auf Rentabilität und Risiko auswirkt, was wiederum darauf hindeutet, dass sich eine kritische Masse von Frauen auf jeder Ebene positiv auf die Organisationsdynamik auswirken würde.
Häufig konzentrieren sich die Massnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Unternehmen auf den Ausgleich des geringen Frauenanteils im Vorstand. Doch die durchgeführte Regressionsanalyse zeigt auch, dass sich vor allem auch ein höherer Frauenanteil in den Managementpositionen positiv auf die Rentabilität, Erträgen und Gewinnschwankungen des Unternehmens auswirkt. Es wird also deutlich, wie wichtig die Förderung der Geschlechtervielfalt insbesondere im Hinblick auf die Zusammensetzung von Managementteams ist.
Defensiv und gut geführte Unternehmen zeichnen sich durch stabile Erträge aus. Da sich in den Erträgen die Fundamentaldaten des Unternehmens niederschlagen und stabile Erträge den Aktienkurs begünstigen, können volatile Erträge ein höheres Risiko bedeuten. Die Studie von RobecoSAM ergab, dass sich «Top-Tier-Unternehmen» mit einem Frauenanteil im Management von über 30,2 Prozent in allen Regionen durch geringere Ertragsschwankungen auszeichnen als jene mit einem geringeren Frauenanteil (nach Bereinigung um branchenspezifische Verzerrungen). Die Daten bestätigten ausserdem, dass ein höherer Frauenanteil im Vorstand zusätzlich zu besseren Finanzkennzahlen beiträgt, wenngleich in geringerem Masse als auf der Managementebene.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist für Unternehmen von zunehmender Bedeutung und für Anleger wird sie damit zu einem potenziell wertvollen Indikator. RobecoSAM betrachtet über den Frauenanteil in den Vorständen hinaus die Gleichstellung am Arbeitsplatz ganzheitlich, einschliesslich einer gerechten, transparenten Vergütungspraxis zur Reduzierung des Gehaltsgefälles, einer flexiblen Arbeitsplatznutzung, Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Elternurlaub über die regulatorischen Anforderungen hinaus, Bindung talentierter Mitarbeiter ans Unternehmen, verschiedener Ebenen der Vielfalt am Arbeitsplatz und Trends beim Mitarbeiterengagement. Der daraus resultierende interne «Gender Score» bewertet Unternehmen anhand ihrer Performance im Hinblick auf diese verschiedenen Schlüsselkriterien. Zur Auswertung des Gender Score als Indikator für die Anlageperformance werden alle Unternehmen im Universum im Rahmen eines Rankings eingestuft und anschliessend in die obersten 33 Prozent (höchster Wert) und untersten 68 Prozent (niedriger Wert) aufgeteilt. Backtests zeigen, dass Portfolios mit hohem Gender Score diejenigen mit einem niedrigen Wert im Zeitraum Juni 2004 bis Juni 2019 um 0,5 Prozent p.a. übertrafen (annualisiert) und eine etwas geringere Volatilität aufwiesen. Das ist ein überzeugendes Argument für Investoren. Gleichzeitig können Anleger auf der Suche nach wettbewerbsfähigen Renditen, die bei ihrer Entscheidung die Gleichstellung von Mann und Frau berücksichtigen, zu einer positiven Veränderung bei einer der grössten weltweiten Herausforderungen unserer Zeit beitragen. (RobecoSAM/mc/ps)