Deutliche Worte von EZB-Chefin Lagarde vor dem EU-Gipfel
Frankfurt – Europas Währungshüter fordern nach ihren gewaltigen Corona-Nothilfen nun entschlossenes Handeln der Politik. «Es ist wichtig, dass sich die Verantwortlichen in Europa schnell auf ein ehrgeiziges Paket einigen», mahnte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, am Donnerstag in Frankfurt. Die Notenbank hoffe «sehr stark» auf eine Einigung auf das vorgeschlagene 750-Milliarden-Euro-Paket, um die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum zu unterstützen.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs kommen von diesem Freitag (17.7.) an in Brüssel zusammen. Bei dem zweitägigen EU-Sondergipfel geht es unter anderem um den Vorschlag der EU-Kommission, 750 Milliarden Euro an den Finanzmärkten aufzunehmen und das Geld dann in ein Konjunktur- und Investitionsprogramm zur Bewältigung der Wirtschaftskrise zu stecken. Nach Vorstellung der EU-Kommission sollen 500 Milliarden als Zuschüsse und 250 Milliarden als Kredite vergeben werden. Widerstand gibt es vor allem aus den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Österreich.
Eine grosse Anzahl der politisch Verantwortlichen sei sich «durchaus bewusst, wie wichtig es ist, keine Zeit zu verschwenden», sagte Lagarde. Es sei notwendig, «den Europäern, den Investoren und der Welt signalisieren zu können, dass es (…) die Entschlossenheit gibt, gemeinsam zu investieren (…) und sich gegenseitig unterstützen.»
Keine weiteren Anti-Krisen-Massnahmen
Der EZB-Rat beschloss am Donnerstag keine weiteren Anti-Krisen-Massnahmen. Erst Anfang Juni hatte die Notenbank ihr Kaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) um 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro fast verdoppelt. Die Mindestlaufzeit wurde bis Ende Juni 2021 verlängert. Der Leitzins im Euroraum bleibt weiterhin auf dem Rekordtief von null Prozent. Die Wertpapierkäufe helfen Staaten wie Unternehmen: Sie müssen für ihre Papiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als grosser Käufer am Markt auftritt.
Auch Volkswirte sehen jetzt die Politik am Zug. «Die mutigen Massnahmen der EZB haben dazu beigetragen, die Liquiditätsengpässe zu vermeiden, die möglicherweise zu einem noch stärkeren Wirtschaftsrückgang geführt hätten», stellte Targobank-Chefvolkswirt Otmar Lang fest. «Eines aber muss immer klar sein: Die EZB erkauft mit ihrer Geldpolitik dem europäischen Wirtschaftsraum nur Zeit. Lösen kann sie die Probleme nicht.»
Die EZB habe die Grundlage geschaffen «für die eigentlichen Krisenmassnahmen, die dieses Mal von der Fiskalpolitik der Staaten übernommen werden», befand der Frankfurter Finanzmarktexperte Jan Pieter Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE. ZEW-Volkswirt Friedrich Heinemann sagte, ein wirksamer EU-Plan könnte die Notenbank ein Stück weit in ihrer Verantwortung für notleidende Eurostaaten entlasten.
Schwere Rezession erwartet
Die EZB rechnet in diesem Jahr mit einer schweren Rezession im Euroraum mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 8,7 Prozent und einer Inflation nahe Null.
Hauptziel der Währungshüter ist ein ausgewogenes Preisniveau bei einer mittelfristigen Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent. Die Inflation liegt allerdings seit Jahren deutlich entfernt von diesem Zielwert. Die EZB ist daher seit Jahren im Anti-Krisen-Modus. Die seit März 2015 mit Unterbrechung laufenden anderen Kaufprogramme der Notenbank für Anleihen haben mit rund 2,9 Billionen Euro bereits ein gewaltiges Volumen erreicht.
Diese Staatsanleihenkäufe sind vor allem in Deutschland umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte sie Anfang Mai beanstandet und Bundesregierung und Bundestag in die Pflicht genommen. Sie sollten darauf hinwirken, dass die EZB nachträglich prüft, ob das Programm verhältnismässig ist. Andernfalls dürfte sich die Bundesbank nicht mehr daran beteiligen. Der Bundestag sieht die Karlsruher Vorgaben erfüllt. Die Abgeordneten stimmten Anfang Juli mit breiter Mehrheit für einen entsprechenden fraktionsübergreifenden Antrag. Die Corona-Hilfen der EZB hatte das oberste deutsche Gericht in seinem Urteil ausdrücklich ausgeklammert.
Trend zu schwachen Teuerungsraten verstärkt
In der Krise hat sich der Trend zu schwachen Teuerungsraten verstärkt. Daten des Statistikamtes Eurostat zufolge lagen die Verbraucherpreise im Euroraum im Juni nur um 0,3 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Sinkende Verbraucherpreise sind ein potenzielles Risiko für die Konjunktur. Sie können eine Abwärtsspirale auslösen, wenn Verbraucher und Unternehmen auf weiter fallende Preise spekulieren und Investitionen immer weiter nach hinten schieben.
Vor dem Gebäude der EZB in Frankfurt demonstrierte am Donnerstag eine Gruppe von Klimaaktivisten, darunter auch Mitglieder der Bewegung Fridays for Future, gegen die Geldpolitik der Notenbank. (awp/mc/ps)