Ohne Massnahmen sind die Intensivstationen in 14 Tagen voll

Ohne Massnahmen sind die Intensivstationen in 14 Tagen voll
Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes. (Screenshot)

Bern – Verdoppelung der bestätigten Ansteckungs- und Todesfälle innert einer Woche, ähnlich viele Spitaleinweisungen wie auf dem Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle Mitte März: Sollte diese Entwicklung ungebremst weitergehen, reichten die Betten auf den Intensivstationen noch 10 bis 14 Tage, warnen die Experten des Bundes.

Erneut vermeldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Dienstag innerhalb von 24 Stunden rund 6000 neue bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus. Die Positivitätsrate betrug sehr hohe 28,7 Prozent. Zudem registrierte das BAG innerhalb während der gleichen Zeit 167 Spitaleinweisungen und 16 neue Todesfälle.

Eine Entwicklung, die dem Bund grosse Sorge bereitet: So sagte Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit, vor den Medien, die Positivitätsrate liege nunmehr im Schnitt bei rund 24 Prozent bei ungefähr 25’000 Tests pro Tag. Und gleichzeitig steige die Zahl der Todesfälle mit einer Geschwindigkeit, die vergleichbar sei mit der ersten Welle.

693 Infektionen auf 100’000 Einwohner
Auf 100’000 Bewohner gibt es in der Schweiz mittlerweile 693 bestätigte Coronavirus Infektionen. In einigen Kantonen sie diese Zahl noch viel höher, zum Beispiel im Wallis, in Genf, Jura, Freiburg, in der Waadt oder in Neuenburg, aber auch in Schwyz, Appenzell Innerrhoden und Liechtenstein, sagte Masserey.

Die positiven Fälle nähmen in allen Altersgruppen zu, aber bei den jungen Erwachsenen stiegen sie am schnellsten. Am wenigsten betroffen seien weiterhin die Kinder. Hingegen beschleunige sich die Infektionsrate auch bei den älteren Menschen. Und deswegen bereiteten die steigenden Zahlen von Spitaleinweisungen auch Sorge.

Mehr Intensivplätze bringen nicht viel
Denn sollten jetzt keine Massnahmen getroffen werden, «reichen die Betten auf den Intensivstationen noch für 10 bis 14 Tage», warnte Andreas Stettbacher, Delegierter des Bundesrats für den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD). Die Spitäler hätten zwar Massnahmen ergriffen, um auf ihren Intensivstationen mehr Platz für Corona-Patienten zu schaffen, sagte Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes. Aber auch wenn die Zahl der Plätze um 200 erhöht würde, gewänne die Schweiz nur gerade 32 Stunden.

Keine Zeit zu verlieren
Ackermann warnte deshalb auch, dass die Erhöhung der Kapazitäten in den Spitälern und längere Arbeitszeiten des Personals zwar nötig werden könnten. «Aber nichts von dem ist die Lösung des Problems». Zu einschneidenden Massnahmen gebe es keine Alternative. «Wir müssen diese Entwicklung stoppen und die Hälfte aller Neuinfektionen verhindern», sagte Ackermann.

Die Taskforce habe bisher keine Hinweise, dass sich die Ausbreitung verzögere. Doch die Menschen handelten nicht wie Mitte März, als sie ihre Mobilität eingeschränkt hätten. Das Mobilitätsniveau sei viel höher als auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle und liege bei rund 75 Prozent verglichen mit der Situation vor Corona.

Schulschliessungen stehen für die wissenschaftliche Taskforce des Bundes nicht im Vordergrund. «Es sollten jetzt genügend andere starke Massnahmen ergriffen werden, damit die obligatorischen Schulen, wenn immer möglich offen gehalten werden können», sagte Ackermann.

Notfallmediziner fordern einheitliche Coronavorgaben vom Bundesrat
Alarmiert zeigt sich auch die Schweizerische Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin, die vom Bundesrat einheitliche Vorgaben fordert. Die unterschiedlichen und «teils ungenügenden» Schutzmassnahmen würden die Bevölkerung verunsichern. Dadurch greife auch der Aufruf zur Selbstverantwortung und persönlichen Einschränkung nicht, wie die Gesellschaft am Dienstag mitteilte. Die Bevölkerung verstehe nicht, warum härtere Vorgaben nur in einzelnen Kantonen gelten sollten. Landesweite und einheitliche Schutzbestimmungen seien das Gebot der Stunde.

Seit Jahresbeginn stünden die Mitarbeitenden der Notfallstationen und Rettungsdienste ununterbrochen im Einsatz. Zusätzlich zu den Notfällen würden sie bei gleichbleibendem Personalbestand Coronavirus-Testzentren betreiben, informieren und aufklären.

Zweite Welle ein Flächenbrand
Die zweite Pandemie-Welle sei zum Flächenbrand geworden. Durch die zunehmende Belegung durch Covid-19-Kranke drohe die reguläre Versorgung für nicht Covid-19 bedingte Notfallpatienten zusammenzubrechen. Ein Kollaps des Rettungswesens müsse verhindert werden.

Unverständlich ist für die Notfallmediziner, dass die Vorschläge der wissenschaftlichen Taskforce kein Gehör finden. Halbherzige Massnahmen könne sich niemand mehr leisten. «Wir wollen nicht, dass die Schweiz ein zweites Bergamo wird», schreibt die Gesellschaft.

«Genügend Tests, Grippe-Impfstoff in Verzug»
Laut Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit (BAG), hat sich an der Teststrategie des Bundes nichts geändert. Es seien genügend Tests vorhanden, um alle symptomatischen Personen zu testen. Dafür gebe es Lieferverzögerungen beim Grippeimpfstoff.

Es gehe um über eine Million Dosen, sagte Masserey am Dienstag vor den Bundeshausmedien. Die Impfdosen könnten womöglich erst im Dezember geliefert werden. Man sei laufend im Kontakt mit den Importeuren, um eine schnellstmögliche Lösung zu finden.

Betreffend einem allfälligen Covid-19-Impfstoff habe man nun zwei Verträge abgeschlossen, sei aber noch in weiteren Verhandlungen mit weiteren Herstellern, sagte Masserey. Es sei wichtig, zu diversifizieren, um einen Impfstoff garantieren zu können. (awp/mc/pg)

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