Gert De Winter, CEO Baloise Group, im Interview
von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr De Winter, Sie wollen in den nächsten Jahren knapp ein Drittel neue Kunden gewinnen. Das geht wohl nur durch Konkurrenzkampf, oder?
Gert de Winter: Es ist tatsächlich so, dass unsere Kernmärkte Schweiz, Belgien, Deutschland und Luxemburg reife Märkte sind. Mit der Lancierung innovativer Produkte im Kerngeschäft wie der Cyber- und Gegenstandsversicherung sowie der Investition in mehrwert-schaffende Startups, hat die Baloise während der Season 1 unseres Programms «Simply Safe» schon über 600’000 Neukunden akquirieren können. Mit einer gezielten Erweiterung der Produktpalette im Kerngeschäft und in den Ökosystemen «Home» und «Mobility» wollen wir den eingeschlagenen Weg weitergehen und bis 2025 1,5 Millionen zusätzlichen Neukunden gewinnen.
Ändert das etwas an der Personaldecke?
Wir wollen einen agilen Mindset weiter trainieren, zum Beispiel über agile Arbeitsmethoden. Prinzipien dieser Management- und Arbeitsweisen liegen unter anderem in der Befähigung von Mitarbeitenden , welche die Zeit bis zur Wertschöpfung verkürzt, weil besser zusammengearbeitet wird. Das bedeutet, dass wir Arbeitsprozesse effizienter gestalten können. Dabei eröffnen sich nicht unbedingt mehr Aufgabengebiete, sondern vielmehr neue – und dort will die Baloise die besten Talente akquirieren. Dank agilem Mindset, neuer Arbeitsmethoden, besserer Zusammenarbeit sowie technologischer Fortschritte und Prozessoptimierungen, werden wir das Ziel von 1,5 Millionen zusätzlichen Kunden mit der bestehenden Mitarbeiteranzahl bewältigen können.
«Die Baloise während der Season 1 unseres Programms «Simply Safe» schon über 600’000 Neukunden akquirieren können.»
Gert De Winter, CEO Baloise Group
Die Finanzindustrie hat als Arbeitgeber keinen guten Ruf. Was wollen Sie bei der Basler anders machen?
Die Baloise verfügt über eine einzigartige Unternehmenskultur. Eines unserer drei strategischen Ziele von Simply Safe, jetzt bald Season 2, ist, dass wir bis 2025 zu den Top 5 Prozent aller Arbeitgeber in Europa gehören wollen. In den letzten drei Jahren haben wir es bereits geschafft, in die Top 8 Prozent der europäischen Finanzindustrie zu kommen. Das neue Ziel erreichen wir nur, indem wir ernsthaft auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden eingehen und ihnen kontinuierliche Weiterentwicklungschancen sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich bieten.
Sieht man sich die vielen Initiativen, Übernahmen und Produkte an, ist es nicht übertrieben, die Baloise als innovativste Schweizer Versicherung zu bezeichnen. Was ist der wichtigste Punkt im Innovationsmanagement der Gruppe?
Im Jahr 2017 hat unsere strategische Reise «Simply Safe» mit dem Ziel begonnen, das Leben unserer Kundinnen und Kunden einfacher und sicherer zu gestalten. Dazu verfolgen wir einen Open Innovation Ansatz. Einerseits bedeutet dies, dass wir Innovation in unserem Unternehmen fördern, indem wir diese durch verschiedene Programme unterstützen. Andererseits möchten wir Innovation aber auch in einem grösseren Kontext vorantreiben. Hierfür stützen wir uns auf die Innovationsprinzipien inkubieren, kaufen, entwickeln, Partnerschaften eingehen und investieren. So haben wir in den letzten Jahren über 1500 Start-ups gescreent und 200 Millionen investiert. Zurzeit haben wir über 70 laufende Innovationsprojekte, die heute bereits über 50 Millionen Franken Umsatz generieren. Ziel ist es, bis 2025 mit unseren Innovationen eine Bewertung von einer Milliarde zu erreichen.
«Zurzeit haben wir über 70 laufende Innovationsprojekte, die heute bereits über 50 Millionen Franken Umsatz generieren.»
Dieses Jahr wird die Combined Ratio wohl noch einmal leiden müssen?
Wir erwarten Bruttoschäden von bis zu 200 Millionen Franken. Netto, nach Absicherungen, sind es rund 63 Millionen. Zum Halbjahr 2020 haben wir ausgewiesen, dass die Corona-Pandemie die Combined Ratio mit 3,7 Prozentpunkten belastet hat. Die in Summe hohe Qualität unseres Nichtleben-Portfolios lässt mich aber zuversichtlich sein, dass wir für das Geschäftsjahr 2020 eine nach wie vor starke Combined Ratio im unteren Bereich des von uns angezielten Bands von 90%-95% erreichen.
Die Baloise hat ja fast schon traditionell eine gute Schaden-Kosten/Quote. Wie sieht es aber bei der Rendite auf die eigenen Kapitalanlagen aus – sind knapp über 2 Prozent noch zeitgemäss?
Das Tief- , beziehungsweise Negativzinsumfeld, ist eine grosse Herausforderung. Dank unseres konservativen Portfolios, das hauptsächlich aus qualitativ hochwertigen Anleihen und Immobilien besteht, sind wir aber gut aufgestellt, auch in drei Dekaden eine ansprechende Zinsmarge (die versicherungstechnische Differenz zwischen der erwirtschafteten Rendite und den zu erfüllenden Garantieversprechen, A.d.R.) von mindestens 0.75% erzielen zu können.
Neben den klassischen Versicherungen sollen ganz viele themenverwandte Dienstleistungen verkauft werden. Mit welchem Schwerpunkt?
Nebst dem Ökosystem Mobility liegt unser strategischer Fokus im Rahmen von «Simply Safe: Season 2» auch auf dem Ökosystem Home. Hier verfügen wir über ein breites Know-How und sehen in diesen zwei Bereichen das grösste Potential, sich entwickelnde Kundenbedürfnisse erfolgreich anzusprechen. In Zukunft sollen Erträge auch über Serviceleistungen, mit denen wir unseren Kundenstamm vergrössern wollen, erzielt werden. Bis 2025 wollen wir einen jährlichen Umsatz von 200 Millionen Franken erwirtschaften. Unsere bereits bestehenden Partnerschaften mit Unternehmen aus dem Bereich Home, wie beispielsweise Houzy, Bubble Box, Devis, Batmaid und anderen, zeigen, dass das eine ideale Möglichkeit ist, Synergien aus den dem traditionellen Geschäft vor- oder nachgelagerten Dienstleistungen zu nutzen.
Das Leben-Geschäft soll massgeblich zum Gewinn beitragen. Ist das überhaupt möglich in so einem anspruchsvollen Zinsumfeld und das auch noch unter strengen Nachhaltigkeitskriterien (ESG)?
Bis 2025 wollen wir im Geschäft mit Drittkunden zusätzliche 10 Milliarden verwaltete Vermögen gewinnen. Neben einem erfahrenen Sales Team, erfolgreichen Produkten und einer starken Marke, hilft hier auch ein konsequenter ESG-Ansatz mit Ausschlusskriterien, Ausübung unserer Stimmrechte und ESG Integration. Wir glauben daran, dass die Integration von ESG-Faktoren wirtschaftlich sinnvoll ist und das Rendite-Risiko-Profil langfristig positiv beeinflusst wird. Im Rahmen unserer Responsible-Investment-Richtlinien sind Neuinvestitionen in Titel, welche ein ESG-Rating tiefer als B gemäss den Daten von MSCI aufweisen, nicht Teil des Anlageuniversums. Übrigens ist die nachhaltige Geschäftsführung bei der Baloise nicht nur auf das Asset Management begrenzt, sondern integraler Bestandteil unseres Wertschöpfungsmodells. ESG ist für uns kein Feigenblatt, sondern Kern unserer Strategie.
Der EBIT des Leben-Geschäfts soll 200 Mio. CHF betragen?
Dies ist das „Mindestniveau“ der vergangenen Jahre, welches auch in diesen herausfordernden Zeiten erreicht werden soll. Die Stabilität dieses Geschäfts in den letzten zehn Jahren zeigt ja, dass wir gelernt haben mit den Herausforderungen umzugehen. Der Wandel von Lebensversicherungen mit garantierten Zinsen hin zu kapitalleichten Versicherungslösungen, bei dem die Kunden direkt an den Erträgen der Kapitalanlagen teilhaben, ist uns gelungen.
Grosses Wachstumspotenzials hat der Digitalversicherer FRIDAY. Auch weit über Deutschland hinaus?
Die Baloise hat FRIDAY zu Beginn der strategischen Phase «Simply Safe» gegründet. Mittlerweile hat sich FRIDAY zum führenden Digitalversicherer Deutschlands entwickelt, was den Erfolg dieses digitalen Geschäftsmodells beweist und uns in unseren Wachstumsambitionen auch bestärkt. Bis 2025 soll der Umsatz auf 150 Millionen Euro verfünffacht sowie die Profitabilitätsschwelle erreicht werden. FRIDAY hat alle Werkzeuge, um in anderen europäischen Märkten Fuss zu fassen. Nicht ohne Grund drängt sich der Vergleich von FRIDAY mit dem amerikanischen Shooting Star der Versicherungsindustrie Lemonade auf.
Die SoBa, ihre Banktochter, soll national expandieren. Gleichmässig oder gibt es da kantonale Stossrichtungen?
Genau. Die Baloise will ihre Bankdienstleistungen künftig national auf ihren Generalagenturen anbieten – in der Deutschschweiz, der Romandie sowie im Tessin. Mit unserem langjährigen Know-how, das Angebote aus dem Banken- und Versicherungsbereich vereint, wollen wir unseren Kundinnen und Kunden schweizweit individuelle und für sie passende Vermögens- und Vorsorgelösungen anbieten.
«Wir konnten dank Hagelflieger in der Pilotphase eine positive Tendenz in der Reduzierung der Schwere der Hagelschläge feststellen.»
Auch die Baloise kämpft um die „Impfung“. Was sagt der wissenschaftliche Hagelbeirat zum Erfolg der Hagelflieger?
Der Baloise Hagelflieger, der durch das sogenannte Impfen von Niederschlagswolken zur Prävention von Hagelschäden eingesetzt wird, ist nun nach fünfmonatigem Einsatz während der Hagelsaison 2020 in der Winterpause. Wir konnten seit Beginn der Pilotphase eine positive Tendenz in der Reduzierung der Schwere der Hagelniederschläge feststellen. Für eine Schlussfolgerung über die Wirksamkeit des Hagelfliegers ist es allerdings noch verfrüht. Wir werden am Ende der Pilotphase gemeinsam mit der ETH – die den Einfluss der gezielten Impfung von Wolken wissenschaftlich analysiert – und den Partnern aus dem Hagelbeirat die letzten Jahre analysieren und das weitere Vorgehen besprechen.