Renato Fasciati, Direktor Rhätische Bahn, im Interview
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Fasciati, seit 18. Januar gilt wieder Home Office-Pflicht. Haben Sie bereits Anhaltspunkte, welche Auswirkung dies auf die Belegung der RhB-Züge hat?
Renato Fasciati: Die Auswirkung auf die Frequenzen in unseren Zügen ist im Bereich Berufspendler glücklicherweise nicht ganz so gravierend wie beim Lockdown im Frühling. Da in Graubünden die Schulen nicht geschlossen wurden, sind immer noch Schüler und Berufsschüler in unseren Zügen unterwegs. Anders sieht es im touristischen Bereich aus.
Die RhB ist stark touristisch ausgerichtet. Wie stark gingen die Frequenzen über das Corona-Jahr 2020 gesehen zurück?
Wie die gesamte öV-Branche wurde auch die RhB vom Corona-Shutdown hart getroffen. Während die Betriebsleistung nur um weniger als 10 Prozent reduziert werden konnte, weil der Service Public aufrechterhalten werden sollte, brachen die Frequenzen zwischen März und Mai um 80 bis 90 % ein. Mit der Wiederaufnahme des touristischen Verkehrs im Juni erholte sich die Situation. In den Sommermonaten Juli und August erreichte die RhB, insbesondere dank Schweizer Fahrgästen, wieder ca. 80 % der Vorjahresfrequenzen. Hart getroffen hat es den Paradezug Glacier Express, dessen Nachfrage wegen des Ausbleibens vieler internationaler Gäste um ca. 70% eingebrochen ist. Während der noch andauernden zweiten Corona-Welle gingen die Frequenzen wieder auf 50 % im touristischen- resp. 60 % im Pendlerverkehr zurück.
Im ÖV gilt Maskenpflicht. Welche Massnahmen hat die RhB darüber hinaus zum Schutz von Reisenden und Mitarbeitenden getroffen?
Der Schutz der Reisenden und der Mitarbeitenden hat höchste Priorität für die RhB. Bereits in einer sehr frühen Phase der Coronakrise haben wir die Taskforce RhB Coronavirus ins Leben gerufen. Diese hat ein umfangreiches Schutzkonzept für die RhB erarbeitet, in Zusammenarbeit mit Behörden und Partnern. Es basiert auf den BAG-Empfehlungen und -Richtlinien. Weiter gilt in unseren Zügen sowie auf und an den Bahnhöfen das öV-Schutzkonzept. Und als touristische Leistungsträgerin sind wir Teil der «Clean and Safe»-Kampagne der Schweizer Tourismusverbände. Fahrzeuge und Kundenbereiche werden regelmässig desinfiziert. Weiter haben wir flächenmässige Corona-Tests bei unseren Mitarbeitenden durchgeführt und das Homeoffice von Mitarbeitenden im administrativen Bereich stark gefördert.
«Die RhB hat in der Coronakrise grosse Anstrengungen unternommen, die Kosten zu reduzieren.»
Renato Fasciati, Direktor Rhätische Bahn
Sie gehen für das vergangene Jahr von einem Verlust von 25 Millionen Franken und einem negativen Jahresergebnis von rund 10 Millionen Franken aus. Welche Massnahmen zur Kostenreduzierung haben Sie unternommen?
Die RhB hat in der Coronakrise grosse Anstrengungen unternommen, die Kosten zu reduzieren. Dies beispielsweise mit der Repriorisierung von Projekten oder dem Zurückstellen von nicht sicherheitsrelevanten und zwingenden Unterhaltsarbeiten. Während des Shutdowns wurden weniger Züge begleitet und eine spürbare Reduktion der Öffnungszeiten an den Bahnhöfen umgesetzt. Für den Monat April hatte die RhB auf Empfehlung des BAV bis zu 20 % Kurzarbeit umgesetzt. Diese wurde von den zuständigen Stellen des Kantons und des Bundes gutgeheissen, worüber die RhB-Verantwortlichen sehr erleichtert sind. Weiter wurde für das RhB-Personal seit Mai 2020 ein konsequenter Abbau von Ferien, Mehrarbeits- und Überzeit angeordnet.
Inwieweit waren die Infrastrukturprojekte der RhB davon betroffen?
Beim Grossprojekt «Neubau Albulatunnel» wurde der Baubetrieb wegen der Corona-Pandemie im Frühling stark beeinträchtigt. Es kam zu Verzögerungen. Weitere gravierende Auswirkungen mussten wir bei Infrastrukturprojekten glücklicherweise nicht hinnehmen.
Die RhB ist Partner eines Generationenprojekts in Davos. Was sieht dieses Projekt vor?
Die Gemeinde Davos, die Rhätische Bahn AG (RhB), die Davos Klosters Bergbahnen AG (DKBAG) und die Immobiliengenossenschaft Konsum Davos haben sich Anfang 2020 zusammengeschlossen, um zum notwendigen Umbau des Bahnhofs Davos Dorf ein integrales Lösungskonzept für den Verkehr und das Dorfzentrum zu entwickeln. In einem «Letter of Intent» haben sich die vier Partner über Voraussetzungen sowie die generellen und individuellen Zielsetzungen dieses Generationenprojekts geeinigt. Auslöser ist zum einen das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG). Dieses verlangt am Bahnhof Davos Dorf in den nächsten Jahren nach einem umfassenden Umbau der Personenunterführungen, Perronanlagen und des Busterminals. Zum anderen gilt es, die Verkehrsprobleme auf der Strasse vertieft anzugehen, denn die Verkehrsführung und die vielen Verkehrsteilnehmenden lösen auf der Strecke zwischen Bahnhof und Talstation Parsennbahn immer wieder Stau aus.
Die vier Partner nutzen diese Chance und schlagen für das Zentrum von Davos eine nachhaltige Gesamtlösung vor: Die Verschiebung des Bahnhofs Davos Dorf um 400 Meter ermöglicht es, die Verkehrsprobleme im Zentrum deutlich zu reduzieren, das Umsteigen auf den Ortsbus und die Parsenn-Bergbahnen zu erleichtern und die wichtigen Entwicklungsgebiete um den Bahnhof anzuschliessen.
«Die vier Partner nutzen diese Chance und schlagen für das Zentrum von Davos eine nachhaltige Gesamtlösung vor.»
Welchen Zeithorizont hat das Projekt?
2021 wollen die vier Partner die weiteren Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer in den Prozess einbeziehen. Ausserdem ist die Vertiefung verschiedener Fragestellungen erforderlich: Dazu gehören die Erarbeitung eines Umweltverträglichkeitsberichts, einer Verkehrsstudie und verschiedener Vorstudien der RhB. Zudem wird die notwendige Anpassung der Nutzungs-planung angegangen. Denn das Generationenprojekt Bahnhof Dorf − Seehofseeli bedingt koordinierte Ein-, Um- und Aufzonungen.
Im Frühjahr 2022 soll der definitive Entscheid über die Verschiebung oder den Umbau des Bahnhofs am heutigen Ort fallen. Zu diesem Zeitpunkt soll die Änderung der Nutzungsplanung zusammen mit dem Antrag des Projektierungskredits der Stimmbevölkerung vorgelegt werden. Vorgängig erfolgt die öffentliche Mitwirkungsauflage. Der Baukredit kommt voraussichtlich 2023 zur Abstimmung. Ebenfalls bis im Jahr 2023 sollen die Wettbewerbe für den neuen Bahnhof, den Bushof und die Freiräume entschieden werden. Auf Basis der ausgewählten Projekte erfolgt anschliessend die Abstimmung über den Baukredit.
Ab etwa 2024 soll die Umsetzung des zentralen Bereichs erfolgen, das heisst die Verschiebung des Bahnhofs sowie die Realisierung des Bushofs und der Quartierverbindung. Ausserdem ist die Erstellung des Parkhauses bis 2026 geplant.
Ab 2026 sollen die Neugestaltung des Bereichs Seehofseeli und die Verkehrsberuhigung des Abschnitts der Promenade erfolgen. Ebenso ist ab dann die Umsetzung der Arealentwicklung auf dem heutigen Parsennparkplatz geplant.
Aktuell läuft mit den Capricorn-Triebzügen das grösste Beschaffungsprojekt in der RhB-Geschichte. Wie viele der georderten 56 vierteiligen Kompositionen von Stadler sind aktuell bereits im Einsatz?
Aktuell sind von Stadler 13 Capricorn-Triebzüge ausgeliefert worden, 8 davon sind im Einsatz. Die restlichen befinden sich in der Inbetriebsetzung oder werden für Schulungen und Tests eingesetzt.
Sie sind seit letztem Herbst Präsident des Verbands öffentlicher Verkehr VöV. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Für den Start meiner neuen Tätigkeit habe ich mir drei Hauptziele gesetzt. 1. Bewältigung der Auswirkungen auf die Branche nach den Subventionsvorfällen bei einzelnen Transportunternehmen im Einklang mit den Aufsichtsbehörden. 2. Sicherstellung der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs und von Innovationen angesichts der massiven Ertragsverluste aufgrund der Coronakrise sowie 3. die Steigerung des Modal split zugunsten des öV.
«Die ganze Branche ist gefordert, die Kundinnen und Kunden in den öV zurückzuholen und zukünftig den Modal split noch stärker zugunsten des öV zu verändern.»
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für den öffentlichen Verkehr in unserem Land?
Mit der Corona Pandemie hat sich das Reiseverhalten der Pendler und Freizeitgäste kurzfristig verändert, was die Nachfrage im öffentlichen Verkehr stark einbrechen liess. Diese Ertragseinbrüche führen in einem System, das hohe Fixkosten besitzt, zu erheblichen Verlusten und entsprechendem Abgeltungsbedarf. Hier ist die ganze Branche gefordert, die Kundinnen und Kunden in den öV zurückzuholen und zukünftig den Modal split noch stärker zugunsten des öV zu verändern. Als effizientes, umweltfreundliches, pünktliches und platzsparendes Verkehrsmittel haben wir auch angesichts der Klimadebatte hierzu gute Karten. Weiter steht die Förderung der Elektromobilität im Busverkehr an, was in Bezug auf die Finanzierung eine grosse Herausforderung darstellt. Schliesslich muss sich die Branche im Bereich des Ticketings und der multimodalen Mobilität mit einfachen und durchgängigen Lösungen noch besser positionieren.
Letzte Frage: Noch stecken wir mitten in der Coronakrise drin. Sie hat auch Ihre Aufgaben in den letzten 12 Monaten dominiert. Sehen Sie in dieser für uns bis vor einem Jahr unvorstellbaren Situation auch Chancen?
Die Coronakrise brachte für jeden und jede von uns Herausforderungen und Veränderungen mit sich. Wenn sie die eigene Gesundheit oder die von nahestehenden Menschen betraf, noch mehr. Trotzdem stelle ich mich auf den Standpunkt, dass es auch Positives gibt in der Coronakrise. Ich zitiere dabei jeweils John F. Kennedy, welcher mal sagte: «Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit.» So habe ich es auch in unserem Unternehmen erlebt: Fast gleichzeitig mit den einschneidenden Massnahmen, welche unter anderem auch eine Repriorisierung von Projekten beinhaltete, wurden auch viele Chancen – oder eben ‹Gelegenheiten› – dieser Krise sichtbar.
Viele Mitarbeitende hatten mehr Zeit, um über unsere Prozesse und mögliche neue Angebote nachzudenken, welche wir auf das Ende der Krise lancieren werden. Das Homeoffice mit unzähligen Videokonferenzen erhöhte innert kürzester Zeit den Digitalisierungsreifegrad im Unternehmen. Baustellen konnten aufgrund weniger Züge auf dem Netz effizienter arbeiten, die Pünktlichkeit stieg auf noch nie dagewesene Werte und die Zusammenarbeit konnte mit den digitalen Möglichkeiten beschleunigt werden. Für viele hiess es: «Jetzt erst recht!». Die Krise lehrt uns Flexibilität, aber auch Demut. Ich bin überzeugt, dass viele von uns gestärkt aus der Krise herausfinden werden.
Herr Fasciati, besten Dank für das Interview.