Heinz Huber, Vorsitzender der Geschäftsleitung Raiffeisen Schweiz, im Interview

Heinz Huber, Vorsitzender der Geschäftsleitung Raiffeisen Schweiz, im Interview
Heinz Huber, Vorsitzender der Geschäftsleitung Raiffeisen Schweiz. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Huber, die Raiffeisen-Gruppe hat 2020 den Gewinn um 3,1% auf 861 Mio Franken verbessert, der Geschäftserfolg fiel 4,1% höher aus. Wie fällt Ihre Bilanz für 2020 aus?

Heinz Huber: Wenn man das Umfeld mit in Betracht zieht, muss man ganz klar sagen: Raiffeisen hat ein starkes Ergebnis erzielt. Die Gruppe hat in einem herausfordernden Umfeld Stabilität bewiesen und umsichtig und erfolgreich gewirtschaftet. Unseren KMU-Kunden standen wir mit unkomplizierter und schneller Unterstützung zur Seite. Uns war es wichtig, auch im Ausnahmejahr 2020 eine verlässliche Partnerin für unsre Kundinnen und Kunden zu sein. Besonders freut mich, dass wir im letzten Jahr 37‘000 neue Kundinnen und Kunden und 27‘000 neue Genossenschafterinnen und Genossenschafter in der Gruppe begrüssen durften. Unsere Kundinnen und Kunden sehen den Mehrwert der Raiffeisen Gruppe und haben Vertrauen in uns.

Die Erträge legten lediglich um 0,3 Prozent zu. Sind Sie enttäuscht?

Angesichts der Umstände bin ich mit der Entwicklung der Erträge zufrieden. Wir sind uns aber auch bewusst, dass die Situation in den kommenden Quartalen herausfordernd bleibt. Wir sind in unserem Kerngeschäft, dem Zinsengeschäft, das nach wie vor unser Hauptertragspfeiler ist, mit einem schwierigen Umfeld konfrontiert. Trotz des Margendrucks, der momentan herrscht, ist es uns aber gelungen, den Nettozinserfolg um über 40 Millionen zu steigern. Ebenfalls markant konnten wir im Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft um 35 Millionen. Unser eigentliches Kerngeschäft hat sich also sehr erfreulich entwickelt. Aufgrund von zwei Faktoren –, einem Rückgang der Beteiligungserträge und der abnehmenden Aktivierung der Kosten für die Weiterentwicklung des Kernbankensystems – sank aber der übrige ordentliche Erfolg stark, sodass unter dem Strich beim Geschäftsertrag noch eine Zunahme von 0,3 Prozent resultierte.

«Angesichts der Umstände bin ich mit der Entwicklung der Erträge zufrieden. Wir sind uns aber auch bewusst, dass die Situation in den kommenden Quartalen herausfordernd bleibt.»
Heinz Huber, Vorsitzender der Geschäftsleitung Raiffeisen Schweiz

Raiffeisen hat nach der unrühmlichen Ende der Ära Vincenz wieder an Vertrauen gewonnen, wie 37’000 neue Kunden und 27’000 neue Genossenschafter beweisen. Suchen diese verstärkt nach Solidität in unsicheren Zeiten?

Einmal mehr erweisen sich Stabilität und Sicherheit der Genossenschaftsgruppe als sehr attraktiv. Das schätzen unsere Kundinnen und Kunden in dieser herausfordernden Zeit und zeichnet uns als Raiffeisen aus. Der anhaltende Kundengeldzufluss erstreckte sich auf alle Regionen der Schweiz und unterstreicht das Vertrauen in die Raiffeisenbanken. Dieses entgegengebrachte Vertrauen wollen wir weiter ausbauen und uns konsequent in den Dienst unserer Kundinnen und Kunden stellen.

Nicht zuletzt dank der Kundeneinlagen ist die Bilanz um fast 5% gewachsen. Wie schätzen Sie die damit steigenden Risiken ein?

Über 70 Prozent des Wachstums stammt von unseren bestehenden Kunden – das zeigt das hohe Vertrauen in die Gruppe. Als Folge des hohen Wachstums der Kundeneinlagen konnten wir den Refinanzierungsgrad im Kundengeschäft auf 95 Prozent weiter steigern. Das heisst, unsere Kundenausleihungen sind mittlerweile fast vollständig durch Kundeneinlagen gedeckt. Aber natürlich ist das starke Wachstum der Kundeneinlagen im Hinblick auf die Zinsmarge eine Herausforderung.

Die Hypothekarforderungen nahmen um 2,7% auf 190,3 Mrd Franken zu, der Marktanteil blieb bei 17,6% stabil. Der Wunsch nach Wohneigentum ist während Corona weiter gestiegen, gleichzeitig ist die Finanzierung resp. die Tragbarkeit von Wohneigentum für viele Private kaum mehr möglich. Wie beurteilen Sie die Situation?

Wohneigentum wird tatsächlich mehr und mehr zum Privileg. Die Eigentumspreise sind innerhalb der letzten zehn Jahre um mehr als 50 Prozent gestiegen, während die Haushaltseinkommen in dieser Zeit wesentlich weniger zugenommen haben. Das führt zur paradoxen Situation, dass Wohneigentum aufgrund der äusserst attraktiven Finanzierungskonditionen eigentlich deutlich günstiger wäre als das Wohnen zur Miete, dieses Sparpotential von den meisten Haushalten aber nicht erschlossen werden kann. Wer sich unter diesen Umständen ein Eigenheim zulegen möchte, muss immer mehr Kompromisse eingehen, zum Beispiel kleinere Objekte oder einen weiteren Pendelweg, oder mehr Eigenkapital einbringen. Wir rechnen aufgrund des knappen Angebots und der tiefen Zinsen mit weiter steigenden Eigentumspreisen. Wir gehen aber auch davon aus, dass sich die hohen Eigenkapital- und Tragbarkeitsanforderungen bei der Hypothekarvergabe zunehmend dämpfend auf die Preisentwicklung auswirken werden.

«Wohneigentum wird tatsächlich mehr und mehr zum Privileg.»

Der Bedeutung des Themas Wohnen entsprechend lanciert Raiffeisen zusammen mit der Mobiliar die Plattform «Liiva». Was darf hier erwartet werden und wann startet das Ökosystem?

Mit «Liiva» lancieren wir im August eine digitale Self-Service Plattform, die sämtliche Bedürfnisse privater Immobilieneigentümer über den ganzen Zyklus des Wohneigentums adressiert. Von der Suche und dem Kauf, über den Besitz, Modernisierungen bis hin zu einem allfälligen Verkauf. Unser Ziel ist, dass wir uns zum zentralen Lösungsanbieter für privates Wohneigentum entwickeln. Ich bin überzeugt: Liiva» wird zusammen mit den Raiffeisenbanken und Generalagenturen von Mobiliarvor Ort unserer Kundschaft zusätzlichen Mehrwert bieten.

Mit dem Ökosystem in diesem Themenbereich sind Sie nicht alleine am Markt. Wie sichern Sie die Unverwechselbarkeit?

Das Ökosystem Wohnen ist ein strategisches Geschäftsfeld. Dabei kombiniert Raiffeisen finanzielle und nicht-finanzielle Themen zu ganzheitlichen Lösungen. Indem wir unsere dezentrale Struktur und lokale Verankerung vor Ort mit optimalen digitalen Angeboten kombinieren, schaffen wir einzigartige Erlebnisse für unsere Kundinnen und Kunden.

Raiffeisen will die Digitalisierung auf allen Ebenen vorantreiben. Was ist über «Liiva» hinaus konkret geplant?

Raiffeisen wird in den kommenden Jahren stark in die digitale Kundenschnittstelle investieren. Unter anderem lancieren wir im zweiten Halbjahr 2021 mit dem «KMU eServices» eine Multibanking-Plattform für Firmenkunden. Die Plattform umfasst insgesamt drei Module: Zahlungen, Multibanking und Liquiditätsmanagement. Für unsere Privatkunden arbeiten wir an einem Kundenerlebnisportal, wo alle digitalen Dienstleistungen von Raiffeisen zusammengezogen werden. So können Kundinnen und Kunden zum Beispiel ihre persönlichen Einstellungen, die Korrespondenz mit ihrer Beraterin oder ihrem Berater oder einfache Produktabschlüsse digital an einem Ort tätigen.

«Raiffeisen wird in den kommenden Jahren stark in die digitale Kundenschnittstelle investieren.»

Wie erhofft hat das Geschäft mit Vermögensverwaltungsmandaten, Fondssparplandepots und Vorsorgefonds stark zugelegt. Wie soll dieser Bereich in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden?

Wir werden die Angebotspalette in der Vermögensverwaltung, Vorsorge und bei Fondssparplänen weiter ausbauen und beispielsweise unsere Vorsorgelösungen mit passiven Instrumenten erweitern. Eine hohe Priorität hat die Weiterentwicklung unserer Angebotspalette an nachhaltigen Produkten. Wir gehen dabei so weit, dass wir künftig bei allen unseren Anlagelösungen Nachhaltigkeitsaspekte (ESG) berücksichtigen. Auch unser digitales Angebot bauen wir weiter aus, wobei wir auf die hybride Beratung setzen. Das heisst unsere Kundinnen und Kunden haben die Wahl zwischen physischem und digitalem Kanal. Unsere digitale Vermögensverwaltung Raiffeisen Rio wird mit weiteren Funktionen wie einer Sparplanfunktion ergänzt und wir lancieren eine digitale 3a-Vorsorgelösung. Damit haben unsere Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, auch rein digital Vorsorgegelder anzulegen und zu verwalten.

Das Thema Corona und die Verwerfungen der Pandemie werden uns auch 2021 noch beschäftigen. Welche Erwartungen haben Sie für das laufende Geschäftsjahr?

Die Pandemie wird uns auch im laufenden Geschäftsjahr begleiten. Mit der angelaufenen Impfkampagne hat sich der Konjunkturausblick verbessert. Raiffeisen rechnet aber nicht damit, dass die Schweizer Wirtschaftsleistung noch in diesem Jahr das Vorkrisenniveau erreicht. Das BIP-Wachstum dürfte 2021 rund 3,0 Prozent betragen. Raiffeisen erwartet einen soliden operativen Geschäftsgang. Das Tiefzinsumfeld hält an, weshalb die Finanzierungskonditionen für Wohneigentum sehr attraktiv bleiben. Die Dynamik im Hypothekargeschäft bleibt damit stabil und dürfte sich, wenn überhaupt, nur leicht abschwächen.

«Mit der angelaufenen Impfkampagne hat sich der Konjunkturausblick verbessert. Raiffeisen rechnet aber nicht damit, dass die Schweizer Wirtschaftsleistung noch in diesem Jahr das Vorkrisenniveau erreicht.»

Letzte Frage: Welche Lehren ziehen Sie nach über einem Jahr aus der Pandemie?

Das Coronavirus bedeutet für viele Menschen in der Schweiz nicht nur eine gesundheitliche Bedrohung, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Gerade als genossenschaftlich organisierte Bankengruppe ist uns die Solidarität sehr wichtig. Wir waren immer bereit und erreichbar, haben die Stellung gehalten und hatten trotz allem sehr viele Kundenkontakte. Wir werden unsere Kundinnen und Kunden wie auch Mitarbeitende weiterhin bestmöglich unterstützen.

Herr Huber, besten Dank für das Interview.

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