BlackRock – Aktueller Blick auf die Märkte: Globale Erholung nicht im Gleichschritt
Die gute Nachricht zuerst: Wenn der post-Covid-Neustart sich so vollzieht wie zurzeit absehbar, dürfte der ökonomische Gesamtschaden der Corona-Pandemie geringer bleiben als die kumulierten Output- und Einkommensverluste im Nachgang der Grossen Finanzkrise 2008/09. Diese Einschätzung des BlackRock Investment Instituts, basierend auf Schätzungen von Pandemiegeschehen, Produktionsausfällen und Erholungsverläufen schon im Frühjahr 2020, wurde letzte Woche erstmals von der Chefvolkswirtin des Internationalen Währungsfonds, Gita Gopinath, öffentlich geteilt.
Das mag überraschend klingen, erleben die meisten von uns die gegenwärtige Krise doch wesentlich unmittelbarer und vermutlich belastender als die Finanzkrise vor rund 12 Jahren. Entscheidend aber ist, dass im Vergleich zu 2008/09 diesmal nicht eine Blase geplatzt ist und ein langwieriger ökonomischer Anpassungsprozess (wie es damals der Schuldenabbau war) sich an die resultierende Rezession anschloss. Sondern dass es sich diesmal um eine gesundheitliche Notlage handelt, welche Regierungen zwang, das gesellschaftliche Leben herunterzufahren. Mit anderen Worten, es sind die Pandemie und die Qualität der politischen Reaktion auf diese Pandemie, welche den Zeitpunkt bestimmen, an dem die ökonomische Aktivität wieder Fahrt aufnehmen kann.
Damit wird auch deutlich, dass es sich bei der gegenwärtigen Rezession und dem zu erwartenden wirtschaftlichen Neustart nicht um einen klassischen ökonomischen Zyklus handelt. Vielmehr wird der Aufschwung, der mit dem weitgehenden Öffnen der Pandemie-Lockdowns einhergehen dürfte, sich sehr plötzlich, geradezu schwallartig vollziehen. Angestaute Nachfrage, die sich bei Haushalten durch erzwungenen Konsumverzicht über Monate aufgebaut hat, wird sich Bahn brechen. Unsere Volkswirte schätzen, dass die Überersparnis in den USA rund 12% eines gesamten durchschnittlichen Jahreskonsums ausmacht, in Europa immerhin 8%. Ein grosser Teil dieser Übernachfrage wird sich vermutlich in den ersten Wochen und Monaten nach Öffnen der Lockdown-Restriktionen bemerkbar machen, so dass die zweite Jahreshälfte nicht, wie in typischen Zyklen, eine allmähliche Erholung ausgehend von Welthandel und Unternehmensinvestitionen verzeichnet, sondern ein vom Konsum herrührendes sprunghaftes Hochschnellen der Aktivität. Der zweite grosse Unterschied zur Finanzkrise besteht dann darin, dass sobald die Volkswirtschaft ihren Vorkrisentrend wieder erreicht hat, keine grossen Folgeschäden zu beseitigen sind und die Wachstumsdynamik sich damit auch für die Folgejahre relativ schnell in den alten Trend wird einklinken können. Der Grund hierfür ist, dass die ökonomischen Schäden der Pandemie zum grössten Teil in Staatsverschuldung transformiert wurden, für deren schnellen Abbau das niedrige Zinsniveau keine unmittelbare Notwendigkeit generiert. Die Beseitigung der Lasten wird einfach vertagt.
Angesichts der Aussicht auf den ökonomischen Neustart vermelden die Aktienmärkte einen Höchststand nach dem anderen. Ein Grund hierfür sind die fast sicheren Aussichten auf deutlich höhere Umsätze in nunmehr sehr absehbarer Zeit, ein anderer die Überzeugung, dass die Zinsen trotz möglicherweise steigender Inflation sehr niedrig bleiben werden. Manche fühlen sich schon an das ‚Goldilocks‘-Jahr 2017 erinnert, als die Gemengelage ebenfalls nach der besten aller Welten für Risikoinvestoren aussah. Der entscheidende Unterschied zu 2017 ist aber, wie oben gesagt, dass die Pandemie den Zeitpunkt des wirtschaftlichen Neustarts bestimmt. Und so konnte die chinesische Wirtschaft bereits im April 2020, vor nunmehr über einem Jahr, wieder durchstarten, während der Impffortschritt in den USA dafür spricht, dass dies wenigstes zur Jahresmitte 2021 der Fall sein könnte. In Europa, wo wir mitten in der dritten Welle stecken und eher Verschärfung als Öffnung von Lockdowns auf der Tagesordnung steht, müssen wir uns wohl noch ein bis zwei Quartale länger gedulden als die Amerikaner. Der grösste Unterschied zu Goldilocks 2017 besteht also darin, dass die „Reflation“, also Wachstumsbeschleunigung garniert mit inflatorischen Impulsen, diesmal in Asien, Europa und Amerika alles andere als synchron verläuft.
Unterschiedliches Erholungstempo verfestigt Ungleichheit
Zu beachten ist ferner, dass auch innerhalb der Kontinente das Erholungstempo unterschiedlich sein wird, ebenfalls determiniert durch Covid und das Krisenmanagement durch die jeweiligen Regierungen. So wird sich in Südamerika das schnell impfende Chile schneller erholen als das politisch de facto führungslose Brasilien, Grossbritannien wird eher öffnen können als wir hier auf dem Kontinent, und Ostasien wird das von Covid ebenfalls schwer gebeutelte Indien beim Neustart hinter sich lassen. Ähnlich ungleiche Erholungsgeschwindigkeiten wird es für verschiedene Gesellschaftsschichten, Berufsgruppen, Wirtschaftssektoren geben, mit entsprechenden Auswirkungen auf ihren ökonomischen Erfolg. Selbst wenn die Pandemiekrise also keine Langzeitfolgeschäden à la 2009 in Gestalt dauerhaft unter Trend verlaufenden Wachstums nach sich ziehen wird, so dürfte sie doch bleibende Effekte in Form anhaltender Ungleichheit zur Folge haben. (BlackRock/mc/ps)