Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Kohle knapp? Steuern!
Amerika klotzt mal wieder. Nach dem grössten Konjunkturprogramm seiner Geschichte folgt nun unmittelbar das grösste Infrastrukturprogramm, das jemals aufgelegt wurde. Gleichzeitig explodieren logischerweise die Budgetdefizite und insofern ist es wahrlich kein Zufall, dass Joe Biden bei der OECD hinsichtlich Steuerpolitik vorstellig wurde. Im Grundsatz fordern die USA einen Mindeststeuersatz, der weltweit für die nationalen Steuersätze gelten soll.
Die Grundidee 1 ist die, dass beispielsweise die USA einem amerikanischen Tochterkonzern im Ausland die Differenz abknöpfen könnte, welche der Konzern im Ausland weniger Steuern abliefert, als unter dem neu zu etablierenden Mindeststeuersatz fällig wären. Das betrifft aber «nur» Konzerne mit einem Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro. Ausgehend von einem nun im Raum stehenden Satz von 15 % – ursprünglich waren von den USA 21 % angedacht – hätte dies durchaus auch für die Schweiz Relevanz, denn hierzulande gibt es etliche Kantone, in denen die ordentliche Gewinnsteuerbelastung deutlich unter 15 % liegt. Das sind dann – Appenzell Innerrhoden ausgenommen, der günstigste Kanton bezüglich Unternehmenssteuern überhaupt übrigens – auch Kantone, die durchaus Standorte grosser multinationaler Unternehmen sind, welche beträchtliche globale Umsätze erzielen. Novartis oder Roche zum Beispiel werden heute zum Einheitssatz Basels in Höhe von 13 % besteuert. Im Kanton Zug liegen die Sätze deutlich tiefer, im Durchschnitt bei 11.9 %. Dort sind bekanntlich nicht wenige globale Player steuerlich ansässig, die einen Grossteil ihrer Umsätze im Ausland erzielen. Dadurch könnten Kantone mit Steuersätzen unter 15 % mit Steuerausfällen konfrontiert sein. Die schweizerischen «Steuerhöllen» Bern (21 %), Zürich (19.7 %) oder der Tessin (19.2 %) hingegen würden ihrem Ruf der Hochsteuerkantone treu bleiben, dafür könnten sie ihre bisherigen Standorttrümpfe gekonnter ausspielen, alles relativ gesehen versteht sich.
Die US-Regierung möchte indes noch mehr. Sie will nicht nur einen weltweiten Mindestsatz der Unternehmenssteuern etablieren, sondern – Grundidee 2 – auch Zugriff auf Steuersubstrat erlangen, das ihr bis anhin versperrt war, da es im Ausland anfällt. Das ist gröberes Geschütz, geht es dabei doch um eine globale Neuverteilung globaler Steuereinnahmen. In Zukunft soll es nicht darum gehen, ob ein Unternehmen in einem Land eine Produktionsstätte betreibt, sondern welchen Umsatz es dort erzielt. Die EU hat in diese Richtung insofern schon vorgespurt, dass sie eine europaweite Digitalsteuer vorantreiben will. Frankreich hat eine solche bereits eingeführt. Die EU- Kommission ist beauftragt, bis Ende Juni einen entsprechenden Vorschlag auszuarbeiten. Für die Amerikaner hat sich das mit der Digitalsteuer erledigt, da die grossen Internetkonzerne auch dem neu zu etablierenden Mindeststeuerregime unterlägen. Für die Franzosen hingegen ist die Digitalsteuer ein wichtiges Unterfangen, das dokumentieren soll, wie man den übermächtigen Technologiekonzernen aus Übersee die Stirn bieten möchte. Langer Rede kurzer Sinn: Sollte der US- Vorschlag auf Anklang stossen, kann der französische Finanzminister wohl die Segel streichen, Deutschland dürfte schlussendlich das Zünglein an der Waage sein, wenn es darum geht, die europäische Digitalsteuer zu beerdigen. Aus amerikanischer Sicht ist klar, dass eine Steuerreform nicht nur Google und Co. betreffen muss, sondern auch traditionelle Exportzweige wie die Automobil- und Pharmaindustrie.
Wie ist das Ganze nun zu werten? Es sind dies zwei Aspekte. Erstens geht den vermeintlich reichen Industrienationen im wahrsten Sinn des Wortes langsam die Kohle aus. Die Pandemie hat etliche Etats massiv überstrapaziert. Und zweitens – und dies ist durchaus wichtiger – scheint nun der globale Steuerwettbewerb zum Erliegen zu kommen. Mit der Globalisierung hatte sich dieser massiv verschärft. Die Körperschaftssteuersätze haben sich seit 1980 global fast halbiert. Nun wird Steueroptimierung, die im Grunde nichts anderes ist als Steuerumgehung oder gelinder gesagt Steuervermeidung recht schwierig werden, sollte die OECD auf den US-amerikanischen Kurs einschwenken, was nicht unwahrscheinlich ist, aller Hindernissen zum Trotz, die im Detail zu bereinigen sind. Zudem scheint klar, dass Standortwettbewerb in nicht allzu ferner Zukunft nicht allein über Steuern ausgetragen wird. Und da muss die Schweiz sich ganz und gar nicht verstecken. Denn gegenüber British Virgin- bzw. den Cayman Islands oder den Bahamas gibt es hierzulande noch diverse andere Standortvorteile als günstige Steuern. Wir würden uns inskünftig an den Niederlanden, Luxemburg, Hongkong oder Singapur messen und nicht an den Steueroasen, die längst schon hätten trocken gelegt werden müssen. Alles also halb so schlimm aus Schweizer Sicht also, wenn’s denn so weit kommt. (Raiffeisen/mc/ps)