Politik der Nadelstiche der EU dürfte zunehmen
Brüssel – Mit dem Verhandlungsabbruch beim institutionellen Rahmenabkommen dürften die «Nadelstiche» aus Brüssel zunehmen: Abkommen zwischen der EU und der Schweiz werden nicht mehr automatisch aktualisiert und Äquivalenzen nicht mehr anerkannt. Jüngstes Opfer ist die Medizintechnikbranche, die am Mittwoch den privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt teilweise verlor.
Schon lange ist bekannt, dass die EU ohne Rahmenabkommen keine neuen Marktzugangsabkommen mit der Schweiz abschliessen wird – z.B. ein Stromabkommen.
Im Dezember 2017 liess die EU-Kommission jedoch ihre Muskeln spielen: Sie verlängerte die Börsenäquivalenz – die Anerkennung der Schweizer Börse als gleichwertig – lediglich provisorisch für ein halbes Jahr. Ende Juni 2018 wurde diese dann definitiv nicht verlängert.
Weitere, für die Schweiz wichtige EU-Äquivalenzanerkennungen stehen an, die in Frage gestellt sind: Mehrere betreffen die Banken. Auf ihrer Internetseite nennt Swissbanking etwa die Schweizer Derivateregulierung. Auch beim Datenschutz hoffen Schweizer Unternehmen auf die Anerkennung der Gleichwertigkeit durch die EU.
Das Konzept der «Nadelstiche», nur noch dort Abkommen zu aktualisieren und Äquivalenzen zu vergeben, wo die EU selber stark profitiert, stammt aus der Feder von Martin Selmayer, dem Ex-Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Seitdem wendet sie das Konzept an.
MRA und Forschung
Etwa beim neuen, schon angelaufenen EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe». Hier landete die Schweiz nicht wie früher in der «EWR/EFTA-Gruppe», sondern in der «Drittstaatengruppe», die stärkeren Auflagen unterworfen ist. Verhandlungsgespräche mit Brüssel haben noch keine stattgefunden.
Auch die SBB wurden Opfer des Streits Schweiz-EU: Ihre Teilnahme am EU-Innovationsprogramm «Europe’s Rail Joint Undertaking» wurde von der EU-Kommission auf Eis gelegt. Sie verwies dabei auf die fehlende Assoziierung der Schweiz an «Horizon Europe».
Bekannt ist schon lange, dass die EU das Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) nicht mehr aktualisiert. Die Medtech-Branche hat dies als erste zu spüren bekommen: Ab dem 26. Mai müssen neue Medizintechnik-Produkte auch in der EU zertifiziert werden. Die nächste Aktualisierung des MRA betrifft die Maschinenindustrie.
Hart auch in Corona-Zeiten
Auch das Landwirtschaftsabkommen Schweiz-EU sollte aktualisiert werden – u.a. im Bereich Pflanzengesundheit. Laut Bundesamt für Landwirtschaft will die EU-Kommission die dazu «erforderlichen Genehmigungsverfahren aufgrund des Rahmenabkommens nicht einleiten».
Selbst in der Corona-Krise liess die EU die Schweiz mit Verweis auf ein fehlendes Gesundheitsabkommen, das wiederum vom Rahmenabkommen abhängt, nur selektiv mitmachen.
Während sich die Schweiz beim Corona-Impfpass beteiligen kann, wurde ihr die Teilnahme am EU-System mit ihrer Corona-App verweigert. Zudem landete die Schweiz auf der Länder-Liste, in die Impfstoff-Lieferungen aus der EU Brüssel gemeldet werden müssen. (awp/mc/pg)