Fusionsenergie: Mit künstlichen Sonnen das Stromproblem lösen
Ob für E-Autos, Computer, digitalisierte Betriebe, Häuser oder smarte Städte – der Mensch braucht bald mehr Strom denn je. Doch woher soll er kommen? Gewaltige Hoffnung ruht auf dieser Technik.
Dreissig Kilometer nordöstlich von Aix-en-Provence, am Rande des südfranzösischen Nationalparks Luberon soll ein fast sechzig Jahre alter Traum in Erfüllung gehen. Es ist der Traum einer sauberen und sicheren Energiezukunft für die Menschheit. Verwirklichen will man ihn auf dem Gelände des Forschungszentrums Cadarache mit einem der grössten Experimente, die je geschaffen wurden: dem internationalen Fusionsreaktor ITER.
Die riesige Maschine wird, wenn sie in vier Jahren fertiggestellt ist, zwanzig Stockwerke überragen. In ihrem Inneren will man jenen Prozess simulieren, der in der Sonne abläuft und unser Gestirn seit mehr als vier Milliarden Jahren am Brennen hält – die kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Helium. Gelingt das Vorhaben, stünde der Menschheit in einigen Jahrzehnten eine schier unerschöpfliche Energiequelle zur Verfügung, so die Vorstellung. Denn schon ein Gramm des Brennstoffs – die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium – würde in einem künftigen Fusionsreaktor so viel Energie liefern, wie bei der Verbrennung von elf Tonnen Kohle entsteht, ohne dabei aber das Klima durch den Ausstoss von Kohlendioxid zu belasten.
Auch über eine Verknappung des Brennmaterials müsste man sich keine grossen Sorgen machen. Kann doch Deuterium aus Wasser und Tritium über eine Kernreaktion aus Lithium gewonnen werden. Da keine langlebigen radioaktiven Abfälle entstünden, entfiele das Problem der Endlagerung. Auch ein Unfall wie bei einem Kernkraftwerk wäre bei einem Fusionskraftwerk nicht zu befürchten. Ist die Kernfusion also die ideale Energiequelle, um den ungebremsten Energiehunger der Welt langfristig zu stillen und das Weltklima vor dem Kollaps zu bewahren? Für viele käme die kontrollierte Kernfusion zu spät, um noch etwas in diesem Jahrhundert zur Rettung des Weltklimas beitragen zu können.