Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Die Wahlmächtigen
Wo sonst Sendungen wie «Frauentausch, die Geissens oder Bauer sucht Frau» ausgestrahlt werden, gab es übers Wochenende das erste Triell der deutschen Politgeschichte und dazu noch ein weiteres Novum. Der Fernsehsender RTL versuchte sich mal in Politik. Da eine Kandidatin und zwei Kandidaten in Deutschland um die Nachfolge Angela Merkels ringen, wurde dort also «trielliert». Einen eindeutigen «Sieger» – so finde ich – gab es eigentlich nicht, auch wenn Olaf Scholz in der Wahrnehmung vieler am souveränsten rüberkam, was eine angeblich repräsentative Umfrage auch noch bestätigt.
Andere Umfragen fanden hingegen Armin Laschet sei der «Sieger» des verbalen Schlagabtauschs gewesen. Die NZZ ist ebenso dieser Meinung, wieso auch immer. Vielleicht gefiel er ihr einfach nur am besten. Realpolitisch konkret wurde im Triell letztlich niemand so richtig und man war dazu noch ziemlich nett miteinander. Fast zu nett für RTL-Massstäbe. Von einem Showdown kann jedenfalls keine Rede sein. Dafür braucht es schon US-Wahlen und die den Amerikanern eigene, übertriebene mediale Orchestrierung. Die Nachbereitung der Sendung war dann nur noch ein Abklatsch und dem Klischee, das RTL anhaftet, würdig. Da hatte die ARD am Montag zu später Stunde ein ganz anderes Kaliber aufgefahren. Der Titel der Sendung: Wahlkampf undercover. Und das war gegenüber dem lahmen Triell Spannung pur.
Die Partei frechgrins
Viele kennen sie gar nicht, aber es gibt in Deutschland eine politische Partei, die heisst «Die PARTEI». PARTEI als Abkürzung für die Partei für Arbeit, Rechtstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative. Man merkt schon, da klebt der Schalk im Nacken. Der Parteivorsitzende Martin Sonneborn ist ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins Titanic und heute Mitherausgeber desselben. Titanic ist bekannt dafür, sehr, sehr böse zu sein und kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Bei der letzten Bundestagswahl erreichte Die PARTEI 1 Prozent der Stimmen und bei der Europawahl 2,4 Prozent. Sonneborn ist der einzige Abgeordnete seiner Partei im Europaparlament und liest dort immer wieder mal den Eingesessenen auf freche, originelle Weise die Leviten. Meist wider den baren Ernst und mit einem Zwinkern, aber doch auch mit einem Hauch von Wahrheit, wenn nicht sogar mehr, Verarschung hin oder her. Seit November 2020 ist Die PARTEI auch im Bundestag mit einem Repräsentanten vertreten. Jedoch nur, weil der SPD-Abgeordnete Marco Bülow die Fronten wechselte und zur PARTEI übertrat. In den sozialen Netzwerken ist Die PARTEI oder besser deren Vorsitzender indes ein Goliath. Auf Facebook, Instagram und Twitter zusammen hat Martin Sonneborn weit mehr Follower als Armin Laschet von der CDU, Olaf Scholz von der SPD oder Annalena Baerbock von Bündnis 90/Die Grünen. Und auf Facebook ist Die PARTEI tatsächlich sogar nach der AfD (Alternative für Deutschland) die beliebteste Partei Deutschlands.
Wunderwaffe Schmutzkampagne
«Wahlkampf undercover» handelt von Peter Kreysler, einem deutschen Journalisten und Dokumentarfilmer, der sich undercover als Wahlkampfstratege der PARTEI bei ziemlich dubiosen Agenturen einschlich, welche sich auf das Geschäft von Wahlmanipulationen spezialisiert haben. Perfekt getarnt mit falscher Identität und versteckter Kamera, im nobelsten Hotel Londons eingemietet, versuchte Kreysler herauszufinden, ob zuvor kontaktierte PR-Agenturen bereit wären, das Image der PARTEI so aufzumöbeln, um ihr zum politischen Durchbruch zu verhelfen. Zuerst besuchte er Thomas Borwick von Kanto Systems, der früher als Berater für Cambridge Analytica und die kanadische Agentur Aggregate IQ tätig war. Cambridge Analytica trug wahrscheinlich wesentlich zum Wahlsieg Donald Trumps bei und Aggregat IQ fing sich Schelten europäischer und kanadischer Datenschützer für die Nutzung von Wählerdaten ein. Borwick hat zudem für die Brexit-Organisation Vote-Leave gearbeitet. Borwick stellte der PARTEI sage und schreibe sechs bis neun Prozent in Aussicht. Die Exponenten von New Century Media, welche Kreysler ebenfalls einluden, schlossen sogar eine Regierungsbeteiligung der PARTEI nicht aus. Diese könne gar zum Königsmacher avancieren, wenn Kreysler sich für New Century Media entscheide. Farzana Baduel von der Curzon PR Agentur, ebenfalls beteiligt an der Vote-Leave-Kampagne sowie am Sturz des Diktators Robert Mugabe und dem Theresa Mays, mit illustrer Kundschaft in Aserbaidschan, China, der Ukraine und Russland, kam gleich zur Sache und erklärte Kreysler per Videoschaltung, wie die Wählerschaft mit digitalen Methoden manipuliert werden könne. Durch eine Schmutzkampagne werde der politische Gegner in die Verteidigungsstellung gedrängt, von wo aus der keine eigenen Themen mehr setzen könne. Sie schlägt Kreysler dazu vor, einen Detektiv zu engagieren, der unschöne Details des Gegners ausfindig macht. Kanto Systems möchte Angst erzeugen, etwa so wie in der Brexit Kampagne, als die Türkei als potenzielles EU-Mitglied mit 76 Millionen Einwohnern eingespielt wurde, die alle mal nach Grossbritannien auswandern könnten. Für Deutschland schlägt Borwick vor, die 30’000 Asylanten, welche in deutschen Gefängnissen sitzen, zu thematisieren und die Frage zu stellen, ob man diese nicht besser in ihre Heimatländer deportieren solle, als täglich Millionen für sie aufzuwenden. Man müsse nur die richtigen Leute ausfindig machen, welche für solche Botschaften empfänglich sind und das sei ein Kinderspiel. Dafür brauche es lediglich ein Datenmodel der Wähler, daily business für die Agentur(en).
Modellierung der Wähler oder die Macht der Daten
Am Beispiel der USA wurde gezeigt, wie Donald Trump seinerzeit mittels «Geofencing» zu Informationen über 200’000 Katholiken gelangte. Vereinfacht ausgedrückt ist «Geofencing» ein geographischer Zaun, in dem alle, die sich darin befinden, via Handykennung getrackt werden und danach verfolgt. So etwa Besucher eines katholischen Gottesdienstes, die danach nach Hause gehen. Und schon weiss man, wo die Kirchgänger wohnen. Jetzt muss man sie nur noch mit ihnen angenehmen Inhalten «bespielen». In einem Datenmodell weiss man indes noch weit mehr. Was googeln die Leute, was bestellen sie Online, was «liken» sie? Dank sogenannter Segmentierung oder Micro-Targeting werden psychographische Profile erstellt, welche Zielgruppen definieren, die für ausgewählte Fakenews empfänglich sind. So kann man nicht wenige Menschen gezielt umgarnen oder eben manipulieren, mittels Desinformation, Verschwörungstheorien und jeder Menge Fake-Nachrichten. Fake-Nachrichten verbreiten sich – gemäss einer Untersuchung des renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology) von Tweets auf Twitter über zehn Jahre – im Netz sechsmal schneller und erreichen 100 Mal mehr Menschen als die Wahrheit. Politische Fake-News sind die wahren Raketen, sie werden noch dreimal schneller geteilt als die unpolitischen Fake-Nachrichten. Schon zehn Facebook-Likes oder andere Informationen – man spricht da von sogenannten Datenpunkten – reichen offenbar schon aus, um einen Menschen besser einschätzen zu können, als ein Kollege im Geschäft dies kann. 70 Datenpunkte toppen gar die Kenntnisse eines Freundes. Und es geht weiter. Wer 150 Datenpunkte von mir hat, kann mich besser einschätzen als meine Eltern, wer über 300 solcher Punkte verfügt, «kennt» mich besser als mein Mann/meine Frau – will heissen, er kann mein Verhalten besser vorhersagen als mein Partner. Donald Trumps Wahlhelfer hatten offenbar bis zu 2’500 Datenpunkte für Personen gesammelt! Trump hatte sozusagen die Datenmacht dank intransparenten Plattformen und Entwicklern und dank gläsernen Menschen, die mit ihrem (Seelen)Striptease in sozialen Medien fast völlig durchschaubar werden. Mir schaudert’s vor den Wahlen, nicht nur in Deutschland. In einer Welt, in der die Verpackung immer wichtiger wird als der Inhalt, liegt die Macht nicht bei dem der’s weiss, sondern bei dem, der die Daten hat. Mit Demokratie hat das zwar wenig zu tun, aber es ist auch keine Diktatur von Agenturen oder Plattformen. Schliesslich outen wir uns freiwillig und lassen uns ebenso manipulieren. Dabei hätten wir die Wahl.
Kommende Woche lesen Sie nicht von mir; ich gönne mir eine Auszeit.