BlackRock: Aktueller Blick auf die Märkte – Spotlight auf Europa
Frankfurt – Die grössten Volkswirtschaften Mitteleuropas weisen durch die Bank höhere Impfquoten auf als die Vereinigten Staaten. Aber weil der erste grosse Impferfolg in den USA wesentlich früher verzeichnet wurde und die Wirtschaft daher schon im Frühjahr recht weitgehend geöffnet wurde, eilte auch das Gewinnwachstum der Unternehmen jenseits des Atlantiks, und mit ihm die Aktienkursentwicklung, dem alten Kontinent voraus. Nun aber deuten verschiedene Makroindikatoren darauf hin, dass dem post-Covid-Neustart der US-Wirtschaft ein wenig die Puste ausgehen könnte. Zudem ist die Quote der vollständig Geimpften bei zuletzt 52,3% nahezu stehen geblieben, und die hohe Zahl der Impfmuffel macht die Gesellschaft anfällig für die aggressive Deltavariante.
Vor diesem Hintergrund sieht Europa attraktiver aus, sowohl was das Aufholpotenzial der Volkswirtschaften als auch die Gewinnentwicklung der Unternehmen angeht. Bei durchgehend mehr als 60% vollständig Geimpften (Spitzenreiter unter Europas grössten Ländern ist Spanien mit 72,6%) ist Europa keineswegs perfekt, aber besser als die USA geschützt vor weiteren Wachstumseinbussen infolge der Delta-Ausbreitung. Und sowohl günstigere Bewertungen als auch die sogenannte Gewinnrevisionsquote (Verhältnis von Aufwärts- zu Abwärtsrevisionen bei den Gewinnschätzungen) sprechen für europäische Aktien. Selbst wenn der typische zyklische «Value Trade» in der gegenwärtigen Phase aus verschiedenen Gründen (niedrige Zinsen, attraktive Technologie, zunehmende ESG-Investments) nicht so gut funktioniert wie in früheren Zyklen, fühlen wir uns mit unserem taktischen Übergewicht für europäische Aktien weiterhin wohl.
Im Fokus steht Europa natürlich auch wegen der anstehenden Wahl in der grössten Volkswirtschaft. Am 26. September wird ein neuer Bundestag gewählt, und nach 16 Jahren Angela Merkel wird es auch einen neuen Bundeskanzler bzw. eine neue Bundeskanzlerin geben. In den letzten Wochen haben sich die Meinungsumfragen kräftig verschoben, und obwohl die sogenannte Sonntagsfrage nur begrenzten Aussagewert für das Wahlergebnis besitzt, so ist sie doch ein Barometer für die Stimmung im Land. Und diese scheint sich zuungunsten der Union und im Sinne der Sozialdemokraten entwickelt zu haben. Zuletzt lag in sieben der neun am meisten beachteten Umfragen die SPD vor der CDU/CSU, mit teilweise bis zu fünf Prozentpunkten. Ein Teil der Zugewinne der SPD scheint zulasten der Grünen zu gehen, die Woche für Woche schwächer dastehen, in einer Umfrage bei nur noch 15% und damit fast auf Augenhöhe mit der FDP, die wiederum offenbar erfolgreich Unionsabwanderer einsammelt.
Und während sogar die Linkspartei davon zu profitieren scheint, dass ein rot-rot-grünes Bündnis nach derzeitigen Umfragen rechnerisch die nächste Regierung stellen könnte, setzen immer mehr von denjenigen, die das für ein Schreckensszenario halten, auf die Liberalen als Bollwerk gegen die «roten Socken». Interessant ist dabei, wie unterschiedlich der Wahlausgang in innerdeutschen Debatten einerseits und im Blick von aussen andererseits eingeschätzt wird. Denn während hierzulande die Angst vor dem Linksruck oft mit Fragen der Wettbewerbsfähigkeit in Verbindung gebracht wird, scheinen gerade europäische Nachbarn eine SPD-geführte Bundesregierung in der Hoffnung auf eine weniger restriktive Fiskalpolitik eher positiv zu sehen. In jedem Fall bieten die verbleibenden 18 Tage bis zur Wahl noch genügend Möglichkeiten für Überraschungen, darunter die beiden noch ausstehenden TV-Debatten der drei Kanzlerkandidaten am 12. und 19. September.
EZB dürfte trotz kerniger Inflationszahlen für lockere Geldpolitik werben
Vor einer Woche wurde der harmonisierte Index der Verbraucherpreise in Europa für den August veröffentlicht. Mit 3,0% lag die Inflation noch einmal deutlich höher als im Juni (2,2%) und nun schon einen vollen Prozentpunkt oberhalb des von der EZB angestrebten Wertes. Dennoch ist für die Sitzung des Zentralbankrates an diesem Donnerstag keine Straffung des geldpolitischen Kurses zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die Kommunikation der EZB sich auf die ebenfalls für Donnerstag anstehenden neuen Schätzungen ihrer Volkswirte stützen wird, in denen aller Voraussicht nach die mittel- bis langfristigen Inflationsaussichten sehr mau bleiben dürften. Mit anderen Worten: Es wird darauf ankommen, die gegenwärtigen Inflationszahlen als das einzusortieren, was sie höchstwahrscheinlich sind, nämlich vorübergehend.
Und auch weil die EZB in Fall eines erneuten Anstiegs der US-Zinsen, etwa angesichts des dort anstehenden «Tapering», gewappnet bleiben möchte, dürfte Christine Lagarde die Märkte nur sehr vorsichtig auf das baldige Auslaufen des PEPP-Ankaufprogramms einstimmen, vermutlich sogar für die Monate nach März 2022 eine Aufstockung des regulären Programmes in Aussicht stellen. Genauso, mit einer Lockerung der eigenen Geldpolitik, hatte die EZB nämlich im Frühjahr reagiert, als schon einmal von der anderen Seite des Atlantiks eine Verschärfung der Finanzierungsbedingungen gedroht hatte. Trotz vorübergehend hoher Inflation spricht also alles für fortgesetzt üppige Liquidität und sehr niedrige Zinsen, mit anderen Worten: weiteren Treibstoff für die Aktienmärkte. (BlackRock/mc/pg)