procure.ch: Der Werkzeugkoffer allein genügt nicht
Von Herbert Ruile*
Wer nur den Hammer als Werkzeug kennt, für den ist jedes Problem ein Nagel. Wer aber gute Arbeit leisten will, wähle für das Problem zuerst das passende Werkzeug und schärfe es durch Übung.
Schneller, günstiger und automatisch: Der Einkauf ist im Wandel. Damit diese Transformation aber gelingt, müssen Mitarbeitende mit den nötigen Kompetenzen und den richtigen Werkzeugen ausgestattet werden. Der neu entwickelte «Werkzeugkoffer des Einkaufs» kann dabei helfen.
Ein Betrieb steht vor der ständigen Herausforderung, mit immer weniger Ressourcen mehr Aufgaben mit höherer Komplexität in noch kürzerer Zeit zu erfüllen. Das zwingt auch die Einkaufsleitung, sich regelmässig grundsätzliche Gedanken zur Steigerung von Effizienz und Effektivität im Einkauf zu machen.
Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung treiben die Betriebe derzeit auch die Automatisierung der operativen Beschaffungsprozesse voran. Zudem müssen sie sich vermehrt mit Innovations- und Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen.
Überdies werden immer mehr Prozesse, Aufgaben und Kompetenzen ausgelagert beziehungsweise aufgrund mangelnder Ressourcen und Kompetenzen von Dienstleistern bezogen. Die Beschaffungsdienstleister bieten denn auch immer umfangreichere und attraktivere Angebote an.
Personal muss geschult werden
Die Transformation ist im vollen Gange: Prozesse werden neu definiert, Aufgaben und Personal neu zugeordnet, mit dem Ziel, Effizienz und Wirksamkeit der Einkaufsaktivitäten zu erhöhen. Eine erfolgreiche Transformation bedingt aber auch, dass die Mitarbeitenden mit den richtigen Kompetenzen und den passenden Werkzeugen ausgestattet werden. Doch da hapert es oftmals. Die sieben Hauptgründe der organisatorischen Ineffizienz sind denn:
- Unkenntnis: Mitarbeitende kennen verfügbare Werkzeuge nicht.
- Ignoranz: Werkzeuge sind bekannt, werden jedoch nicht angewendet.
- Inkompetenz: Werkzeuge werden falsch angewendet.
- Unerfahrenheit: Organisation ist mit dem Werkzeug nicht vertraut und ungeübt.
- Müssige Kreativität: Werkzeuge werden wiederholt erfunden.
- Miss-Match: Mitarbeitende, Aufgabe und Werkzeuge passen nicht.
- Neuland: neue Werkzeuge müssen erst erforscht, getestet und entwickelt werden.
Die Verfügbarkeit eines Werkzeugkoffers allein ist nicht ausreichend. Erst seine richtige Anwendung hilft, die organisatorische Effizienz nachhaltig zu steigern. Dies bedeutet unter anderem, dass Werkzeuge bekannt gemacht werden und ihre Anwendung beschrieben und geübt werden kann. Die Werkzeuge müssen situationsgerecht ausgewählt und eingesetzt, aber auch spezifisch angepasst und weiterentwickelt werden können. Die Aufgaben, Rollen, Werkzeuge und die Kompetenzen der Mitarbeitenden sollten optimal abgestimmt sein. Grundlegend ist auch, dass ein systematisches Expert-Development-Programm existiert, das den nachhaltigen Kompetenzaufbau und -erhalt in der Einkaufsorganisation sichert.
Aufbau des Werkzeugkoffers
Der Werkzeugkoffer umfasst derzeit 107 Management-Werkzeuge, die als Methode, Verfahren oder Modell beschrieben und publiziert wurden. Als Ordnungsstruktur dient ein Problemlösungszyklus, bestehend aus sieben Schritten sowie den darin verankerten Handlungsfeldern.
Insgesamt wurde der Problemlösungszyklus in 27 Handlungsfelder gegliedert. Jedem Handlungsfeld wurden drei bis fünf unterschiedliche Werkzeuge zugeordnet, die sich in ihrem Komplexitätsgrad unterscheiden: von einfachen bis hin zu komplexen Werkzeugen. Die Werkzeuge sind kurz beschrieben, klassifiziert und enthalten Literaturangaben für eine weiterführende Vertiefung. Damit ergeben sich zirka drei Millionen kombinatorische Varianten von Werkzeugen, um eine Beschaffungsaufgabe ganzheitlich zu bearbeiten und zu lösen.
Regeln der Werkzeugnutzung
Der Komplexitätsgrad der Aufgaben ist unterscheidbar und wird vergleichbar gemacht. Je komplexer die Aufgabe, desto umfangreicher werden die Handlungsfelder. Handlungsfelder werden priorisiert. Für einfache Aufgaben genügen einfache Werkzeuge. Für komplexe Aufgaben sollen komplexere Werkzeuge benutzt werden. Die Werkzeuge werden unternehmensspezifisch ausgearbeitet (unter anderem mit Checklisten, Formatvorlagen und Software). Die Auswahl der Werkzeuge in den priorisierten Handlungsfeldern erfolgt gemäss Komplexitätsgrad der Aufgabe beziehungsweise Situation. Dabei wird man durch ein ein digitales Expertensystem unterstützt, in dem bereits 100 Expertenempfehlungen hinterlegt sind. Überprüfen der verfügbaren Kompetenzen und Erfahrung bei den Mitarbeitenden, denen die Aufgaben anvertraut werden. Bei Bedarf werden Schulung, Training oder Coaching angeboten. Stetige Kontrolle der Wirksamkeit und Effizienz der Werkzeuge. Bei Bedarf werden die Werkzeuge geschärft, gewechselt oder weiterentwickelt. Das Expertensystem wird mit dem Feedback aktualisiert. Die Empfehlungen werden überarbeitet.
Bisherige Lösungen
Der Werkzeugkoffer wird damit zum Rückgrat eines nachhaltigen Expertensystems für den Einkauf und unterscheidet sich von bisherigen Lösungen dadurch, dass er eine umfangreiche Sammlung von Werkzeugen (Methoden, Modelle, Verfahren) bietet, die spezifisch für den Einkauf vorgesehen sind. In Portfolios sind es vier bis maximal 64 Werkzeuge. Er ist systematisch strukturiert und folgt einem durchgängigen und ganzheitlichen Problemlösungszyklus. Dies erlaubt eine leichte Auffindbarkeit von relevanten und alternativen Werkzeugen in den jeweiligen Handlungsfeldern.
Die Auswahl der Werkzeuge folgt einem einfachen Prinzip der Äquivalenz des Komplexitätsgrades von Situation und Werkzeug. Die Auswahl ist daher nicht beliebig. Portfolios berücksichtigen demgegenüber nur zwei Einflussfaktoren und fokussieren meist nur auf eine Teilaufgabe im Problemlösungszyklus. Die Anwendung verfolgt die konsequente Ausrichtung von Aufgabe, Rolle, Kompetenz und Werkzeug. Der Einsatz des Werkzeugkoffers unterstützt die Entwicklung einer lernenden Organisation. (procure.ch/mc/ps)
*Herbert Ruile
Der Autor ist Geschäftsführer von Logistikum Schweiz, einem ausseruniversitären Bildungs- und Innovationszentrum für Einkauf, Logistik und SCM. Er absolvierte eine technische Ausbildung zum promovierten Maschineningenieur an der TU München und eine betriebswirtschaftliche Weiterbildung mit einem MBA am EIPM, Archamps (F). Wichtige berufliche Stationen waren Höchst, ABB, Alstom und die FHNW.