Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Digitale Geschenke
Die Festtage stehen vor der Tür und wer noch keine Geschenke für seine Liebsten hat, wird jetzt langsam nervös und wohl lostigern müssen. Um irgendetwas zu kaufen, von dem er glaubt, es könnte beim Beschenkten Freude erwecken. Zum Glück bleibt mir dies erspart, denn meine Frau und ich haben entschieden, uns gegenseitig nichts zu schenken. Wir finden, wir haben alles was wir brauchen und neue Bedürfnisse halten wir für höchst irrational, denn deren Befriedigung stiftet keinen Nutzen – ökonomisch rational ausgedrückt.
Auch wenn Instagram da anderer Meinung ist. Was man nicht vermisste, kann nicht plötzlich wertvoll sein, so lautet unser Credo. Schauen Sie nur mal Ihre Utensilien an, wie viel unnützes Zeug sich da in den Jahren angesammelt hat und Sie werden hoffentlich verstehen, was ich meine. Geschenkorgien sind in einer Wohltandsgesellschaft der Gipfel einer ohnehin herrschenden Verschwendung.
Doch halt, da sind ja noch die Kinder. Wenn ich an meine (frühe) Kindheit denke, erinnere ich mich natürlich noch gern, wie ausserordentlich aufregend Weihnachten war. Es war neben dem Geburtstag der Event des Jahres, wobei es natürlich stets um Geschenke ging. Die Wunschliste im Kopf, lag die Spannung der Bescherung darin, welche Artikel tatsächlich im Korb gelandet waren. Spannung, Vorfreude pur. Allein schon deshalb sang ich dann auch brav «Stille Nacht» mit. So einfach ist es heute aber auch nicht mehr dem Nachwuchs eine Freude zu bereiten. Wir mögen die Hobbys unserer Sprösslinge kennen und vermeintlich auch, was ihnen gefällt oder nicht, doch letztlich messen die Kids mit zwei Massstäben, die mir in meiner Kindheit noch fremd waren. Es geht längst nicht nur darum, ob Ihnen etwas gefällt, sondern auch, ob die Community das cool findet. Marken, Farben, Styles und Embleme, man kann heute sehr viel falsch machen, selbst wenn man dem Nachwuchs auch nur etwas Praktisches schenken möchte. Am besten gibt man den Kids Geld und lässt sie selbst auf die Konsumtempel los. Wenn’s gut geht, kann man auch gemeinsam mit Ihnen shoppen, aber aufgepasst, das kann ziemlich peinlich enden. Wer auf Tik Tok oder Instagram nicht zu recht kommt, sollte es besser sein lassen.
Denn die Manipulation unserer Jugend – und längst nicht nur der – ist in vollem Gang. Wir sind längst Gefangene der Algorithmen. Facebook ist zwar eher für die älteren Semester «attraktiv», aber was in dem Konzern so läuft, ist doch einigermassen repräsentativ dafür, wie die sozialen Plattformen die Gesellschaft unterwandern. Und Facebook ist eben nicht nur «nur» Facebook. Der Facebook Chef räumt ungeliebte Konkurrenz aus dem Weg, in dem er sie einfach aufkauft. So geschehen 2012 mit Instagram und zwei Jahre später für stolze 19 Milliarden Dollar WhatsApp. Mittlerweile hat Facebook etwa 100 Internetfirmen zusammengekauft, die alle eins gemeinsam haben: zig Millionen Nutzer oder neudeutsch User. Damit verfügt der Konzern über eine Macht, die bald einmal ausser Rand und Band geraten könnte. Über 3.5 Milliarden Menschen besuchen in einem Monat Facebook (ohne WhatsApp oder Instagram), ein Drittel der Menschheit insgesamt ist auf Facebook.
Doch wer redet noch von Facebook? Die nächste Ära ist längst eingeläutet. Facebook heisst nun Meta und das ist ein so genialer wie subversiver Schachzug. Da der Brand Facebook inzwischen so viel Dreck am Stecken hat, dass er Gefahr läuft, geächtet zu werden, verschwindet er einfach aus den Enzyklopädien. Zu viel Druck von Generalstaatsanwälten in den USA, Gegenwind in Europa und die ehemalige Facebook Managerin und Whistleblowerin Frances Haugen, die offenlegte, was viele ahnten, namentlich wie Facebook dem Kommerz alles unterordnet – auch die Würde der Menschen, und wie der Konzern mit Kritik oder gar Auflagen umgeht, nämlich sie einfach «umgeht» und wie Facebook Daten in grossem Stil missbraucht. Und wie die Algorithmen der Zuckerbergfirmen unsere Jugend – und längst nicht nur die – in die Irre führen, nicht zu sagen, vom rechten Weg abbringen. So wie Jugendliche, die auf Instagram nach gesunder Ernährung suchen und letztlich zu Magersuchtinhalten umgelenkt werden, wie Frances Haugen ausführt.
Jaja, die Algorithmen haben’s in sich. Dermassen, dass 13 % der britischen und 6 % der amerikanischen Nutzerinnen und Nutzer ihre Suizidabsichten auf Instagram zurückführten. Dazu können sich mexikanische Drogenkartelle bestens auf Facebook nach Auftragskillern umsehen und die sogar bezahlen. Auf Instagram werden sogar Sklaven gehandelt und das ist kein Fake. Eine Frau gefällig? Käuflich via Facebook an WhatsApp. All dies weiss Zuckerberg und schafft nun das Metaversum, währenddessen sein Konzern noch immer Monate braucht, um offiziell beanstandete Inhalte vom Netz zu nehmen. Name neu, wisch und weg ist die Vergangenheit. Denn die Zukunft verheisst viel, nicht weniger als das Metaversum.
Was für eine Wortschöpfung, weder Staat noch Community, sondern das Universum auf Metaebene. Eins ist jetzt schon sicher, das Bürgerrecht im Metaversum ist der Geschenkhit der Zukunft. Siri oder Alexa waren gestern, mein Junior kriegt demnächst einen Avatar geschenkt. Der wird ihn den ganzen Tag durchs Metaversum begleiten und ihm das Leben so leicht machen, dass es ihm sukzessive entgleitet, weil er sich im Metaversum so viel wohler fühlt als in der kalten rauen Wirklichkeit. Er kann seinen Avatar selbst gestalten, ihn kleiden, stylen, frisieren, ja sogar geschlechtsumwandeln und vor allem stets um Rat fragen. Der Avatar wird ihm sagen, was er zu tragen hat, wo und was er einkaufen soll, welches Mädchen zu ihm passt und so vieles mehr, einfach grenzenlos viel mehr. Das neue Metaversum wird so zu seinem neuen Dasein und – oh mein Gott – es wird glitzernd und prickelnd sein und vor allem einfach, Zuckerberg sei Dank. Diese Gutmenschen im Silicon Valley schaffen ihm ein neues Leben, ein lebenswerteres als das, was er heute kennt und sein Freund der Avatar wird zum besten Kameraden, den er je hatte. Was für ein tolles Geschenk. Ganz gratis geht all das nicht. Im Metaversum wird ihm sein Avatar auch politisch beistehen und ihm sagen, wen er wählen soll und wen nicht. Endlich kann auch er Position beziehen und all die Metaversumsbürger:innen werden ihm beipflichten und dasselbe tun. Eine Community ohne Haken und Ösen, alle eins – libertär und demokratisch versteht sich.
Science-Fiction (?) zum Jahresausklang und als Denkanstoss, wohin uns die gutmütigen Digitaldiktatoren und ihre Algorithmen noch führen könnten. Schauen Sie sich die Facebook Files mal in Ruhe an, es ist beängstigend. Doch damit genug gemahnt. Mein Avatar bittet mich nun zu Bett. Ich wünsche Ihnen eine frohe Weihnacht und einen guten Rutsch ins neue Jahr. (Raiffeisen/mc)
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen