Union Investment Analyse: Bremst der Ölpreisschock den Aktienmarkt aus?
Frankfurt – Der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Sanktionen gegen Russland haben sich zuletzt deutlich auf den globalen Ölpreis ausgewirkt. So ist der Preis für die Nordsee-Sorte Brent sogar kurzzeitig bis auf 140 US-Dollar je Fass angestiegen. Der Grund: Russland ist ein wichtiger Förderer und Exporteur des „Schmierstoffs der Weltwirtschaft“. Für die Konjunktur und die Kapitalmärkte stellt der extreme Anstieg vor allem einen sogenannten angebotsinduzierten Ölpreisschock dar. Wie sich unterschiedliche Ölpreisschocks vom Jom Kippur-Krieg im Jahr 1973 bis zur Subprime-Krise 2008 historisch auf die Aktienmärkte auswirkten, zeigt diese Analyse. Sie lässt zudem Rückschlüsse zu, welches Szenario für die nächsten zwölf Monate wahrscheinlich ist.
Bereits vor Ausbruch der Russland-Ukraine-Krise war der Ölmarkt durch physische Knappheit gekennzeichnet. Im Zuge der globalen Wiedereröffnung der Volkswirtschaften nach den coronabedingten Lockdowns hatte der Ölpreis bereits vor der Ukraine-Invasion knapp unter 100 US-Dollar je Fass notiert. Die globale Lagerbestandssituation bei Öl war also schon im Vorfeld der militärischen Eskalation deutlich angespannt, was wiederum auf die hohe Nachfrage und die freiwilligen Produktionskürzungen der Länder der OPEC+ zurückzuführen war.
Der starke Anstieg des Ölpreises war somit kein Zufall, und er blieb nicht ohne Folgen. An den Kapitalmärkten gerieten Risikoanlagen unter Druck, unter anderem aufgrund der Sorge vor einem anhaltenden wirtschaftlichen Einbruch. Für Investoren stellen sich damit drei Fragen:
- Lassen sich aus der Historie Ableitungen für die Wirkung von Ölpreisschocks treffen?
- Welcher Pfad ist für die kommenden Monate beim Ölpreis wahrscheinlich?
- Wie wirken Ölpreisschocks typischerweise auf andere Assetklassen?
Schock ist nicht gleich Schock
Für die Beantwortung dieser Fragen ist die Art des Ölpreisschocks von grosser Bedeutung. Nachfrage- und angebotsinduzierte Schocks unterscheiden sich nämlich erheblich voneinander. Die genaue Analyse der jüngsten Entwicklungen ist daher umso wichtiger, um den möglichen weiteren Verlauf genauer abschätzen zu können.
Dabei nutzen wir die Tatsache, dass der Kursunterschied zwischen zyklischen und eher konjunkturdefensiven Aktien in den USA ein guter Echtzeit-Näherungswert für die Konjunkturdynamik ist. Die Ratio dahinter: Beide Variablen hängen sehr stark von der Wirtschaftsdynamik ab, sind daher hoch korreliert mit Vorlaufindikatoren wie beispielsweise Einkaufsmanagerindizes und entwickeln sich in normalen Marktphasen weitgehend im Gleichklang. Wird dieses Muster durchbrochen, wirken offenbar Kräfte auf nur eine der beiden Variablen. Ein Fehlpreisen zwischen Öl und US-amerikanischen zyklischen und konjunkturdefensiven Aktien nach oben ist also ein Hinweis für einen Angebotsschock, der sich nicht in der allgemeinen Wirtschaftsdynamik zeigt.
Die Analyse der aktuellen Situation nach diesem Verfahren zeigt, dass die Märkte aktuell einem Angebotsschock ausgesetzt sind. Auch die Ölpreisschocks in 1973 (Jom-Kippur-Krieg), 1979 (Iran-Revolution) und 1990 (2. Golfkrieg) werden auf diese Weise als angebotsinduziert bestätigt. Hingegen erscheinen die Ölpreisschocks von 2000 (Dotcom-Blase) und 2008 (Subprime-Krise) eher nachfrageinduziert, also durch eine positive Konjunkturentwicklung im Vorfeld der Krisen begründet.
Angebotsinduzierte Schocks ebben schneller ab
Je nach Art des Schocks haben wir eine Analyse erstellt, um festzustellen, ob signifikante Unterschiede in der Wertentwicklung verschiedener Anlageklassen nach dem jeweiligen Schock zu erkennen sind. Wir wollten wissen, ob sich Muster erkennen lassen und ob sich diese nach angebots- oder nachfrageinduzierten Schocks unterscheiden. Dies haben wir etwa für 10-jährige US-Staatsanleihen, Substanz- und Wachstumswerte (Value & Growth) oder auch wie in nachfolgender Grafik für den S&P 500-Index untersucht.
Die Analyse bestätigt unsere Erwartung, dass angebotsinduzierte Ölpreisschocks und entsprechende Anstiege im Ölpreis eher kurzfristiger Natur beziehungsweise nicht nachhaltig sind. Nachfrageinduzierte Schocks sind hingegen langlebiger und nachhaltiger. Es lassen sich also tatsächlich Erkenntnisse aus den historischen Beispielen gewinnen und Ableitungen treffen.
Im Median über die Jahre 1973, 1979 und 1990 erreichte Brent-Rohöl 41 Handelstage nach dem initialen Ereignis sein lokales Hoch und sank dann im Preis deutlich ab. Verläuft die Entwicklung im Jahr 2022 ähnlich, müsste ausgehend von einem Startpunkt am 24. Februar (Zeitpunkt der Invasion) etwa Ende April der Höchststand beim Ölpreis erreicht werden.
Im aktuellen Fall gehen wir davon aus, dass die russische Ölproduktion nur in überschaubarem Masse sinken dürfte. Gleichzeitig gelangt etwa durch US-amerikanisches Schieferöl ein zusätzliches Angebot auf den Markt. Darüber hinaus sehen wir gerade in den Schwellenländern bereits eine preisinduzierte Nachfragezurückhaltung. Auf globaler Ebene dürften die Lagerbestände daher nach dem Sommer 2022 wieder ansteigen. Wir rechnen also mit einer Beruhigung sowohl auf der Angebots- als auch der Nachfrageseite. Daher liegt unsere 12-Monats-Prognose für den Ölpreis bei 75 US-Dollar je Fass Brent – deutlich unter dem aktuellen Marktniveau.
Ableitungen für den US-Aktienmarkt
Die Auswirkungen auf den US-Aktienmarkt waren historisch signifikant unterschiedlich: Während man bei einem nachfrageinduzierten Ölpreisschock eine nachhaltige Schwäche beobachten konnte, zeigte sich bei angebotsinduzierten Ölpreisschocks in der Vergangenheit eine deutliche Erholung von US-Aktien im Einklang mit fallenden Ölpreisen. Gleichzeitig stiegen in der Vergangenheit 10-jährige US-Bondrenditen synchron mit steigenden Ölpreisen und fielen ebenso wieder kurzfristig ab. Globale Value-Aktien hatten historisch nach Ölpreisschocks jedweder Art gegenüber Growth-Titeln insgesamt eher das Nachsehen.
Unsere Analyse führt damit zu drei Kernergebnissen. Die Wirkung von Ölpreisschocks unterscheidet sich nach Herkunft der Störung. Angebotsschocks dauern kürzer als Nachfrageschocks. Der Ukraine-Krieg zeigt alle Anzeichen eines Angebotsschocks. Damit stehen die Vorzeichen für ein baldiges Sinken des Ölpreises gut. Denn nach vergleichbaren Ereignissen haben sich US-Aktien in der Vergangenheit meist relativ schnell erholt.
Insgesamt zeichnen die historischen Angebotsschocks ein Bild von einem kurzzeitigen Ölpreis- und Zinsanstieg, der sich relativ schnell wieder umkehrt, worüber dann der Aktienmarkt entlastet wird. Innerhalb des Aktienmarktes zeigt sich insbesondere eine Outperformance von Wachstumstiteln. (Union Investment/mc/ps)