Russische Armee konkretisiert Pläne – Kämpfe in der Ukraine gehen unvermindert weiter
Moskau – Die russische Armee hat acht Wochen nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ihre militärischen Ziele konkretisiert. Ein Befehlshaber der russischen Militärführung sagte am Freitag der Agentur Interfax zufolge, dass Russland den kompletten Donbass und auch den Süden der Ukraine einnehmen wolle. Die UN sehen derweil mehr Anzeichen von Kriegsverbrechen in der Ukraine. Satellitenaufnahmen wiesen in der Gegend um Mariupol auf ein mögliches Massengrab hin.
Der Befehlshaber Rustam Minnekajew erklärte, dass es Russland um einen Landweg zur Schwarzmeer-Halbinsel Krim gehe. Die Ukraine könnte mit einer russischen Einnahme des Südens jeglichen Zugang zu den Weltmeeren verlieren. Bisher hatte sich niemand aus der Militärführung so konkret zu den Zielen des Krieges geäussert. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte eine Frage zur «Ausweitung der Operation» nicht kommentieren.
Keine Osterruhe
In der Ukraine wird während der orthodoxen Osterfeiertage weiter gekämpft. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat Russland den Vorschlag einer Feuerpause über die Osterfeiertage abgelehnt. Dies zeige, was der christliche Glaube und einer der fröhlichsten und wichtigsten Feiertage den Führern Russlands gelte, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Freitag.
Satellitenfotos weisen auf Massengrab hin
In der Nähe der von russischen Truppen belagerten Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine deuten Satellitenbilder auf ein mögliches Massengrab hin. Der US-Satellitenfotodienst Maxar verbreitete Aufnahmen, die in dem Vorort Manhusch mehrere ausgehobene Grabstellen zeigen sollen. Der Stadtrat von Mariupol und Bürgermeister Wadym Bojtschenko sprechen davon, dass dort bis zu 9000 Menschen begraben sein sollen. Stadtrat und Bürgermeister sind selbst aber nicht mehr vor Ort. Die Angaben waren von unabhängiger Seite nicht überprüfbar.
Selenskyj hat sich zu dem mutmasslichen Massengrab bisher nicht öffentlich geäussert. Satellitenfotos vom 3. April zeigen weit über 200 mögliche Grabstellen in mehreren Reihen, ausgehoben auf einer Länge von mehr als 300 Metern neben einer Strasse.
1000 Leichen in Kiew gefunden
Seit dem Abzug russischer Truppen vor mehr als drei Wochen sind im Gebiet Kiew nach Polizeiangaben bereits mehr als 1000 Leichen gefunden worden. Das sagte der Polizeichef der Region um die Hauptstadt Kiew, Andrij Njebytow, im ukrainischen Fernsehen. Bei den Toten handele es sich um Zivilisten. Nach dem russischen Abzug aus der Region hatten Funde von Hunderten teils in Massengräbern beigesetzten Leichen in Hostomel, Irpin, Butscha und Borodjanka nordwestlich der Hauptstadt international Entsetzen ausgelöst.
Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros häufen sich die Anzeichen für Kriegsverbrechen in der Ukraine. Die russischen Streitkräfte hätten wahllos bewohnte Gebiete beschossen und bombardiert und dabei Zivilisten getötet sowie Krankenhäuser, Schulen und andere zivile Infrastrukturen zerstört, berichtete das Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Freitag in Genf.
Lage in Mariupol
Die Ukraine hat russischen Truppen vorgeworfen, Zivilisten am Verlassen des belagerten Stahlwerks in Mariupol zu hindern. «Die Russen fürchten, Azovstal zu stürmen, doch dabei lassen sie bewusst und zynisch keine Zivilisten heraus», teilte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk im Nachrichtenkanal Telegram mit. Britische Geheimdienstexperten vermuten, dass russische Truppen bei einem Sturm auf das Stahlwerk hohe Verluste zu erwarten hätten. Das teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Die Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, eine Blockade um das Stahlwerk zu errichten, weise auf den Wunsch hin, den ukrainischen Widerstand in Mariupol in Schach zu halten und russische Streitkräfte für den Einsatz in anderen Teilen der östlichen Ukraine verfügbar zu machen, so die Mitteilung weiter.
Mariupol war kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges vor zwei Monaten eingekreist worden. Einzig in dem Azovstal-Werk harren noch mehrere Hundert ukrainische Soldaten aus. Bei ihnen sollen nach ukrainischen Angaben zudem noch etwa 1000 Zivilisten sein. (awp/mc/pg)