Die Migros bleibt alkoholfrei
Zürich – Ernüchterung bei der Migros: Ihre Genossenschafterinnen und Genossenschafter haben sich in allen Migros-Regionen gegen die Aufhebung des Verkaufsverbots von Alkohol ausgesprochen. Das Nein war teils wuchtig. Suchthilfe-Kreise reagierten mit Erleichterung.
In keiner der zehn Regionalgenossenschaften wurde die benötigte Zweidrittelmehrheit an Ja-Stimmen erreicht, die für eine Aufhebung des Alkoholverbots in den Statuten notwendig gewesen wäre, wie die Migros am Donnerstag mitteilte.
Sehr hoher Nein-Anteil
In den meisten der zehn Migros-Regionen wurde die Frage geradezu abgeschmettert. So sprachen sich etwa in der Migros-Genossenschaft Zürich 80 Prozent der Stimmenden gegen die Aufhebung des Alkoholverbots aus. Auch bei den Genossenschaften Aare, Ostschweiz, Basel, Luzern und Neuenburg-Freiburg lag der Nein-Anteil bei über 70 Prozent.
Am offensten für eine Aufhebung des Alkoholverbots waren die Stimmenden im Kanton Tessin. Dort sprachen sich knapp 45 Prozent dafür aus. Mehr als 40 Prozent Ja-Stimmen erreichte die Vorlage sonst in keiner Region.
Die Alkoholfrage, die vor rund einem Jahr von der Migros-Basis angestossen wurde, ist damit auf absehbare Zeit vom Tisch. «Die Genossenschafterinnen und Genossenschafter haben sich in der Alkoholfrage zu einem traditionellen Merkmal bekannt», wird die Migros-Präsidentin Ursula Nold in der Mitteilung zitiert.
Überraschend kam das Resultat nicht: Verschiedene Umfragen im Vorfeld hatten gezeigt, dass die Mehrheit der Stimmenden wohl ein Nein in die Urne legen dürfte.
Leitung und Delegierte desavouiert
Die Abstimmung hatte für grosse Kontroversen gesorgt und die Migros-Welt in zwei Lager gespalten. Die Migros-Leitung selbst verwies auf eine veränderte soziale Situation und geänderte Konsumgewohnheiten: Wenn die Kunden bei einem Grossverteiler Alkohol kauften, würden sie sich dort gleich auch mit Lebensmitteln eindecken.
Weil der Migros dadurch ein bedeutender Teil des Warenkorbs entgehe, stiessen fünf Delegierte des Migros-Genossenschaftsbundes MGB letztes Jahr eine Statutenänderung an. Im Herbst sprachen sich dann 85 der 111 Delegierten für eine entsprechende Änderung aus.
Als nächstes hiessen die Gremien der zehn regionalen Migros-Genossenschaften den Antrag gut und ebneten damit den Weg für die landesweite Urabstimmung durch die Genossenschafterinnen und Genossenschafter.
Der Verkauf von Alkohol in den Migros-Läden bleibt durch die Abstimmung zwar verboten. De facto ist der Migros-Konzern schon seit Jahren nicht abstinent. Denn die Migros-Töchter wie beispielsweise Denner oder Migrolino haben ein breites Alkoholsortiment im Angebot.
Insgesamt haben rund 630’000 der insgesamt 2,3 Millionen Genossenschafter abgestimmt. Die Stimmbeteiligung lag damit bei 29 Prozent. Die Abstimmung lief bis am 4. Juni.
Alkoholfreie Nische
Die Evangelische Volkspartei, das Blaue Kreuz und das Kompetenzzentrum Sucht Schweiz zeigten sich erfreut über das Nein zum Alkohol-Verkauf.
Das gebe Alkoholkranken weiterhin die Möglichkeit, ihre Einkäufe zu tätigen, ohne durch das Alkoholangebot in Versuchung zu geraten, schrieben EVP und Blaues Kreuz. Das blaue Kreuz, das Alkoholabhängige unterstützt, könne diesen damit weiterhin Einkaufsgutscheine für die Migros abgeben.
Für die Organisation ist das Abstimmungsergebnis auch ein Bekenntnis zur Gesundheitsprävention. Das Fehlen des Alkohols in der Migros zeige Jugendlichen im Alltag, dass Alkoholkonsum nicht normal oder banal sei.
Sucht Schweiz sieht die Politik gefordert, weil nach dem Ja zur Initiative «Kinder ohne Tabak» vom Februar eine weitere Abstimmung in Richtung Suchtprävention weist. Testkäufe würden zeigen, dass der Detailhandel immer noch zu viel Alkohol an Jugendliche verkaufe.
Der Schweizer Brauerei-Verband erwartete den Entscheid. Für die Brauereien ändere sich nichts, schrieb er. Die Migros hingegen könne sich nun als Anbieterin alkoholfreien Biers profilieren. Gemäss den Brauern erleben die alkoholfreien Biere derzeit in der Schweiz einen wahren Boom. (awp/mc/pg)