Commerce Report: Massives Überangebot an Kaufmöglichkeiten zwingt Händler zum Umdenken
Zürich – Corona löste im Handel einen Epochenwechsel aus. Käufer entdeckten die Vielfalt des Online-Shoppings. Anbieter legten mit immer mehr Investitionen nach. Der unerwünschte Nebeneffekt: Es gibt zu viele Kaufmöglichkeiten für dieselben Produkte. Nun suchen Anbieter händeringend nach Differenzierung. Anknüpfungspunkte liefern die gestiegene Werteorientierung der Kunden sowie eine grosse Offenheit für Services.
Insgesamt erwartet der Online-Handel bis 2030 ein Umsatzplus von 50 Prozent. «25 stationäre Filialen mit dem gleichen Angebot über die ganze Schweiz verteilt, ergeben Sinn. 25 gleiche Onlineshops hingegen nicht. Wenn das gleiche Produkt an zu vielen Orten zum Verkauf steht, geht es nur noch um den Preis», fasst Studienleiter Prof. Ralf Wölfle seine Umfrageergebnisse zusammen. «Beim Preis können jedoch nur die grössten Anbieter mithalten. Deshalb wollen Händler ihren Kunden jetzt attraktive Mehrwerte schaffen, die über das auswechselbare Produkt hinausgehen.»
Steigende Angebotsvielfalt auch durch Social Media
Indem sich der Handel durch Werte und Services differenziert, soll auch die Angebotsvielfalt weiter steigen. Direktverkäufe von Marken an Endkunden sowie der zunehmende Vertrieb über Social-Media-Kanäle spielen dieser Entwicklung in die Karten. Im Vergleich zu gewöhnlichen Online-Marktplätzen erhält Social Media eine immer grössere Bedeutung, weil sich dort werteorientierte Angebote besser transportieren lassen.
Grosse Servicebereitschaft im Quick Commerce
Mit hoher Servicebereitschaft punkten Online-Lieferdienste. Sie profitieren davon, dass fast die Hälfte aller Supermarkteinkäufe ungeplant sind. Wenn spontan etwas vergessen geht, wollen Kunden nicht nochmal in die Filiale eilen, sondern sich die Produkte einfach liefern lassen. Beim schnellsten Zürcher Anbieter geht das bereits in weniger als 15 Minuten. Auch die Tests verschiedener Supermarktketten, direkt aus der Filiale zu liefern, sind ein Beispiel für neu entstehende Segmente im Lebensmittel-E Commerce.
E-Commerce Umsätze sollen um 50 Prozent wachsen
Trotz Wiederentdeckung des stationären Handels nach Corona bleibt das Online-Wachstum laut Studienteilnehmern ungebrochen: Zwei Drittel gehen davon aus, dass die E-Commerce-Umsätze ihrer Branche bis 2030 um 50 Prozent oder mehr gestiegen sein werden. Trends, die die Branche in den kommenden Jahren am meisten beeinflussen werden, sind aus Sicht der Teilnehmenden Nachhaltigkeit sowie Umbrüche in der Logistik.
Händler und Marken in einer Beziehungskrise
Was Marken und Händler zurzeit beschäftig, ist ein schleichend voranschreitender Konflikt: Seit die Läden wegen der Lockdowns geschlossen wurden, treiben etablierte Marken ihren Direktvertrieb an Endkonsumenten voran. Der Handel fühlt sich von seinen Lieferanten zunehmend konkurrenziert. Marken wiederum reklamieren, dass sie Händler nicht gut genug repräsentieren würden, und sie nicht genügend Daten zum Kundenverhalten bekämen. Die Positionen sind festgefahren – auch wenn Händler und Marken einander in Zukunft weiter brauchen werden. (mc/pg)