Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Des Kaisers neue Kleider
Von Robert Jakob
Während Russland seit vielen Jahren auf plumpem Expansionismus setzt, geht China subtiler vor. Die Naivität europäischer Politiker ist auch hier beispiellos.
Chinas weltweite Agroexpansion sowie die Infrastrukturoffensive, bekannt als „Belt and Road Initiative (BRI)“ oder Seidenstrassendiplomatie, könnten zunächst einmal viel Gutes bewirken. Aber Xi Jinping hat Hintergedanken. Gerade hat er seine grosse Show am Parteitag abgeliefert und sich nicht nur eine konstitutionell gar nicht vorgesehene dritte Amtszeit bestätigen lassen, sondern auch seinen Vorgänger Hu Jintao aus dem Sitzplatz neben ihm in der Grossen Halle des Volkes entfernen lassen. Dieser war darob sichtlich überrascht. Die Geste kommt nicht von ungefähr, gilt Hu Jintao doch als leiser Kritiker des amtierenden Generalsekretärs. Politologen aller Herren Länder deuteten die zahllos mitgeschnittene Szene als eiskalte Machtdemonstration Xis. In den gleichgeschalteten chinesischen Medien hiess es nur, Hu Jintao sei fürsorglich hinausgeführt worden, weil ihm nicht wohl war…
Schlecht gewählter Zeitpunkt
Dass nun der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dem Alleinherrscher Xi die Aufwartung eines Staatsbesuchs macht, dürfte diesen weiter schmücken. Schlechter könnte der Moment nicht gewählt sein. Ein in den letzten Monaten durch seine zögerliche Haltung im Ukrainekonflikt geschwächter und farblos wirkender Kanzler besucht den Diktator eines 1,4 Milliardenvolks. Das ist kein «Doppelwumms». Wirtschaftsverbände schieben Scholz zwar ins Gepäck, er solle sich in Peking für gleichlange Spiesse im Import-Export einsetzen, aber das wird ihm nicht gelingen. Das Treffen dürfte ausgehen wie das «Hornberger Schiessen»: damit ist im deutschen Sprachraum ein angekündigtes Grossereignis gemeint, dass am Schluss gar nicht richtig stattfindet (Vor dreihundert Jahren soll es bei einem Freischiessen in Hornberg derartige Unstimmigkeiten über den Ablauf gegeben haben, dass nach und nach alle Schützen das Fest verliessen und das ganze Spektakel ins Wasser fiel.)
Xi hat in den vergangenen zehn Jahren mit harter Hand regiert, China und die allmächtige Kommunistische Partei auf sich zugeschnitten. Er ist jetzt mit Abstand der mächtigste Mann der Welt. An seinem grossmütig und gleichmütig wirkenden Lächeln wird Scholz abprallen. Der Bundeskanzler wird dabei die Erlaubnis, dass sich das chinesische Staatsunternehmen Cosco 24.9 % der Anteile an einem Terminal der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) kaufen darf, wie ein Begrüssungsgeschenk präsentieren. Aber Politstrategen rümpfen zu Recht die Nase. Es ist nicht der erste Deal, mit dem China strategischen Einfluss auf die Logistik der Welt nimmt. Xi genehmigt sich strategische Zukäufe wie eine modebewusste Frau neue Kleider.
Selbst verpackt in eine Beteiligung an einem von vier Hamburger Hafenterminals birgt der Einstieg der Chinesen neben wenigen Chancen viele Gefahren.
Sri Lankas Hafen Hambantota wurde 2017 für 99 Jahre von dem chinesischen Staatskonzern China Merchants Port Holdings geleast, weil das ehemalige Ceylon in tiefer Geldnot steckte. Jetzt ist das Land pleite. Auch in vielen afrikanischen Ländern, in denen China als Geldgeber auftritt, ist das Land der Mitte als Zahlmeister gnadenlos, wenn es um die Kreditraten geht. Es nützt die wirtschaftliche Not geschickt für Zukäufe.
China kann uns weit besser erpressen als Russland
Den grössten Hafen Griechenlands in Piräus hat China mehrheitlich gekauft, und an den Häfen von Rotterdam und Antwerpen besitzt es Beteiligungen. Deshalb konnte Cosco im Fall Hamburg mit der Verschiebung des Geschäfts in andere Häfen drohen. Nach grossem Aufschrei in den Medien meint man in Deutschland, dass eine Beteiligung von 24,9 statt 35% und der Verzicht der Chinesen auf einen Geschäftsführerposten und Abbedingen von Vetorechten bei strategischen Geschäfts- oder Personalentscheidungen genügen, das Geschäft durchzuwinken. Diese Korrektur war ja wohl das Mindeste. China besitzt in 14 europäischen Häfen eigene Terminals oder Anteile an ganzen Hafenbetreibern.
Auch eine Minderheitsbeteiligung gibt den Chinesen die Möglichkeit, Druck zu machen, selbst wenn es sich um keine Sperrminorität handelt. Es ist geradezu naiv, zu glauben, dass sich China allein über den Gewinn aus den Warenströmen des freien Handels freut. Was passiert, wenn der vermeintliche chinesische Partner Hamburg gegen andere europäische Häfen ausspielt, weil er seine Partikularinteressen nicht genügend gewürdigt findet?
Mit der Vermischung von Politik und Wirtschaft hat man in Europa in jüngster Zeit wohl nicht genug schlechte Erfahrungen gemacht.
Viele europäische Länder erlaubten den Chinesen, Betriebe und Infrastruktur unter ihre Kontrolle zu bringen, was aber umgekehrt den Europäern in China verwehrt ist. Statt sich in die Gefahr zu begeben, gegeneinander ausgespielt zu werden, sollten die europäischen Staaten zusammenspannen und einheitliche Regeln für den Einstieg via strategischer Beteiligungen durch Drittmächte vereinbaren.
Wo sind die gleichlangen Spiesse (oder Nunchakus)?
China kommt seinem erdumspannenden Gürtel aus Transportwegen und Verkehrs-Infrastruktur durch den HHLA-Deal ein kleines Stück näher. Das darf es, aber das sollte an Bedingungen geknüpft sein, wie fairer Handel. Dieser existiert seit Jahrzehnten nicht. Chinas übergeordnetes Leitmotiv ist der «Technonationalismus». Das Land ist momentan vor allem Systemgegner und Konkurrent, kein Partner. Der Know-how-Klau wird durch Minderheitsbeteiligungen in keiner Weise gebremst. Gleichzeitig werden Einblicke in strategische Entscheidungen des Westens vereinfacht. Seit Jahrzehnten profitiert China von Patentverletzungen (siehe auch: https://www.moneycab.com/dossiers/robert-jakobs-wirtschaftslupe-china-war-for-patents/), und die Einfältigkeit und Schlafmützigkeit europäischer Politiker machen uns gefährlich abhängig von Chips, günstigen Halbwaren und mineralischen Rohstoffen aus China.
Der Autor ist Anteilseigner der HHLA.
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