Robeco: SI Dilemma – Auf Kurs zum Netto-Null-Ziel bis 2050 bleiben
Von Lucian Peppelenbos, Climate & Biodiversity Strategist bei Robeco
Der COP27-Klimagipfel lieferte einige positive Ergebnisse, war insgesamt betrachtet aber enttäuschend. Wie bleiben wir ohne globale Zusammenarbeit auf Kurs zum Netto-Null-Ziel? Unseres Erachtens wird der Übergang zu netto null CO2-Emissionen weiter an Fahrt aufnehmen, da paradoxerweise der Mangel an globaler Zusammenarbeit zur Beschleunigung der Energiewende beiträgt.
Der COP27-Klimagipfel fand zu einem Zeitpunkt statt, in dem die Länder der Welt mit Krisen konfrontiert sind, die sich auf Bereiche wie Energie und Nahrungsmittel, Inflation, Krieg und hohe Verschuldung erstrecken. Während zwei der für erfolgreiche Verhandlungen entscheidenden Teilnehmer – die USA und China – in einem angespannten Verhältnis zueinanderstehen, hat die Führungsspitze der EU, durch ihre Rückkehr zur Kohle und die massive Ausweitung der Subventionen für fossile Brennstoffe, ebenfalls an Glaubwürdigkeit verloren. All dies geschah in einem Jahr, in dem der Klimawandel weltweit gravierende Auswirkungen hatte. Er hat Hungersnöte in Ostafrika sowie Lockdowns von Industrien in China und Europa ausgelöst und eine halbe Million Menschen in Pakistan obdachlos gemacht.
Zwei zentrale Themen
In diesem Zusammenhang lag der Fokus der COP27-Konferenz auf zwei Hauptthemen. Das erste ist die Klimafinanzierung. Schon seit Jahren verstossen die Industrieländer gegen ihre Versprechen, den globalen Süden beim Tragen der Kosten für die Anpassung an den Klimawandel und dessen Abmilderung zu unterstützen. Der diesjährige Klimagipfel befasste sich auch mit Verlusten und Schäden: Die reichen Volkswirtschaften werden aufgefordert, die Verantwortung für die Schäden zu übernehmen, die ihre vergangenen Emissionen in gefährdeten Ländern verursachen. Diesbezüglich lieferte der Gipfel ein historisch bedeutsames Ergebnis – die Schaffung eines Fonds zum Ausgleich von Verlusten und Schäden. Allerdings glauben wir, dass es noch umfangreicher Verhandlungen bedarf, bevor dieser aktiv werden kann. Auf kurze Sicht könnten mehr Mittel für Climate Finance von multilateralen Finanzinstitutionen bereitgestellt werden, die gemäss der Vereinbarung von Sharm el-Sheikh reformiert werden sollen.
Der zweite Fokus des Gipfels lag auf der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Hier sollten wir wohl dankbar dafür sein, dass sich aus dem Mangel an Fortschritten kein ausdrücklicher Rückschritt ergab. Das 1,5°-Ziel überlebte nur knapp die Verhandlungen. Zudem wurde keine Einigung erzielt, was den schrittweisen Ausstieg der ungebremsten Nutzung fossiler Brennstoffe betrifft. Insgesamt betrachtet ein schmerzhafter Stillstand.
Ein halbvolles Glas
Wo stehen wir nach dieser Klimakonferenz aktuell auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel bis 2050? Wir bei Robeco meinen, dass das Glas halbvoll ist. Zweifellos lieferte der Gipfel nicht viel an konkreten Lösungen, während die globalen Emissionen weiter steigen und die Klimapolitik nach wie vor unzureichend ist. Nach dem Gipfel befinden wir uns weiterhin auf dem Pfad hin zu einer globalen Erwärmung um 2,5 °C.
Vor fünf Jahren steuerten wir allerdings auf eine globale Erwärmung von 4 °C zu. Somit hat es einen Fortschritt gegeben: einen Richtungswechsel. In dieser Hinsicht erfüllt der Schaltradmechanismus des Pariser Klimaabkommens, der die Klimaziele regelmässig verschärft, seine Aufgabe. Der entscheidende Test wird auf dem Gipfel in Dubai im nächsten Jahr stattfinden, wenn die Länder neue Pläne vorlegen werden, die auf einer globalen Bestandsaufnahme der bisherigen Fortschritte basieren. Mit der Ausweitung der Klimapolitik, wie etwa in diesem Jahr in den USA, könnte es zu exponentiellen Fortschritten kommen, da die Marktkräfte und der menschliche Erfindergeist bestrebt sind, aus dem Übergang zu netto null CO2-Emissionen Kapital zu schlagen.
Nehmen wir den Übergang weg von unvermindertem Einsatz fossiler Brennstoffe. Dieser Trend machte im laufenden Jahr inmitten der Energiekrise Fortschritte. Trotz massiver Rückkehr zum Kohlestrom in Europa prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA) für dieses Jahr lediglich einen Anstieg der energiebedingten Emissionen um 1 %. Das ist weit weniger als der Anstieg im Jahr 2021. Der Grund dafür ist die weltweit starke Zunahme der Verbreitung von erneuerbaren Energien und Elektroautos. Demnach verbirgt sich hinter den üblichen Statistiken zum globalen Anstieg der Emissionen eine beschleunigte Umstellung auf saubere Energie.
Beschleunigte Nutzung fossiler Brennstoffe
In ihrem jüngsten World Energy Outlook kommt die IEA zu dem Schluss, dass der Höhepunkt des Verbrauchs fossiler Brennstoffe bereits vor 2030 erreicht ist, da die Länder nach Energiesicherheit durch Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz streben. Entsprechende Massnahmen wurden in diesem Jahr von den grössten Emittenten verabschiedet, darunter den USA, der EU, Indien, Australien, Südkorea, Japan und China. Insbesondere der Inflation Reduction Act der USA mit seinem Förderpaket von 369 Mrd. Dollar, dürfte die technologische Innovationen beschleunigen. So erleichtert er Unternehmen mit Sitz in den USA den Wettbewerb mit chinesischen Technologieanbietern im Bereich erneuerbare Energien.
Unseres Erachtens ergibt sich aus der Summe dieser Meilensteine eine Trendwende, bei welcher die Netto-Null-Umstellung so stark an Fahrt aufnimmt, dass sie sich weiter ausbreitet und an Dynamik gewinnt. Eine Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5° C wäre zweifellos ein historisch einzigartiger Erfolg. Innovationen und Marktkräfte tendieren jedoch zu exponentiellen, nicht linearen Entwicklungen, sodass der Ausgang ungewiss ist.
In die Transformation investieren
Was bedeutet das für Investoren wie Robeco? Wir halten Kurs auf Netto-Null bis 2050 und investieren weiterhin in den Übergang. Wir haben unsere Portfolios im Vergleich zum Ende des Basisjahrs 2019 um bislang 43 % dekarbonisiert. Zu Beginn des Jahres standen wir bei -35 %. Wir haben also 2022 die Dekarbonisierung fortgesetzt, obwohl es am Markt zu einer Re-Karbonisierung infolge des gestiegenen Benchmark-Anteils des Energiesektors gekommen ist.
Wir weisen allerdings darauf hin, dass solche Daten nur ein unvollständiges Bild zeichnen. Die Dekarbonisierung des Portfolios kann sich daraus ergeben, dass ein einzelner Emittent oder einige wenige in die Portfolios aufgenommen oder aus ihnen herausgenommen wurden. Genauso wichtig ist es, die Unternehmen selbst zu betrachten und zu untersuchen, wie gut sie ihren Wandel bewältigen. Gemessen wird dies mittels unserer Klima-Ampel. Sie zeigt an, wie gut sich die 250 grössten Emittenten im Anlageuniversum auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens einstellen.
Aus der diesjährigen Analyse ergab sich, dass 27 % der Firmen robuste Übergangstrategien verfolgen, während 21 % eindeutig daran arbeiten und 52 % nicht genug unternehmen. Es ist die letztgenannte Gruppe, auf die wir den Fokus unseres Engagements legen und bei der wir gegen das Management der Unternehmen stimmen.
Übergang in der Realwirtschaft
Bislang ist unser Dekarbonisierungserfolg weitgehend auf die Anlagestrategie unserer Fonds zurückzuführen. Unsere Investmentteams haben Aktien ausgewählt, die nach ihrer Einschätzung Mehrwert schaffen, und sind dabei gleichzeitig deutlich innerhalb der Grenzen ihrer CO2-Ziele geblieben. Fortsetzen kann sich dies nur, wenn die Realwirtschaft auf Netto-Null übergeht. Das erfordert aktive Klimapolitik in allen Sektoren der Wirtschaft, getrieben von ehrgeizigen politischen und regulatorischen Vorgaben.
Unsere Rolle als Investoren besteht darin, mit den Unternehmen, in die wir investieren, und den politischen Entscheidungsträgern in Kontakt zu treten und Kapital zugunsten von Unternehmen umzuleiten, die Lösungen für das Klima entwickeln, und weg von Anlagen, die Gefahr laufen, zu stranden.
Die gute Nachricht ist die, dass trotz Anstiegs der globalen Emissionen, politischer Konflikte und eines weiteren enttäuschend verlaufenen Klimagipfels deutliche Signale darauf hinweisen, dass die Transformation am Markt vorankommt. (Robeco/mc/ps)