Schmach für McCarthy im Kongress: Republikaner verwehren Gefolgschaft
Washington – Kevin McCarthy lacht. Demonstrativ. Der 57-Jährige strahlt trotz demütigender Niederlage. Es wirkt gequält. Normalerweise ist die konstituierende Sitzung des Kongresses ein grosses Fest: Die neu gewählten Abgeordneten bringen ihre Familien mit, Kinder toben durch den Plenarsaal. Am Dienstag war nichts normal. Und für Kevin McCarthy gab es wirklich nichts zu lachen. Drei Mal war er bei der Wahl zum Vorsitz des Repräsentantenhauses durchgefallen. Drei Mal konnte er nicht auf seine Partei zählen und wurde auf offener Bühne blamiert.
McCarthy liess Trump-Anhänger gewähren
Der Abgeordnete aus Kalifornien wollte bereits 2015 Vorsitzender des Repräsentantenhauses werden – damals zog er seine Kandidatur jedoch wegen fehlender Unterstützung zurück. Seitdem hat er allerdings auf den Posten geschielt – nach den Zwischenwahlen im November war seine Chance gekommen. Denn die Republikaner eroberten die Mehrheit in der Kongresskammer zurück – die langjährige demokratische Vorsitzende Nancy Pelosi musste abtreten.
Auf diesen Moment hat sich McCarthy in den vergangenen Jahren vorbereitet. Ihm war klar, dass er alle Strömungen seiner Partei hinter sich vereinen muss, wenn er zum Vorsitzenden gewählt werden will. «McCarthy hat die letzten sieben Jahre damit verbracht, seine Unterstützung auf der rechten Seite zu festigen», schreibt das Magazin «The New Yorker» in einem Porträt. McCarthy habe seine Positionen dabei immer «flexibel» gewechselt.
Der Republikaner gehörte zu den frühen Unterstützern des ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Erst nach der Attacke auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 soll er Berichten zufolge Trump abgeschworen haben – allerdings nur sehr kurz. Schnell wurde damals deutlich, dass ein beachtlicher Teil der Partei weiter zu Trump steht. Und so stand auch McCarthy weiter hinter ihm. Er liess Trumps Gefolgsleute im Repräsentantenhaus gewähren. Als Fraktionsführer der Republikaner in der Kammer schaute er über das extreme Verhalten der glühenden Trump-Anhänger hinweg. Deren Einfluss in der Partei wuchs. In weiten Teilen sind es nun ausgerechnet diese Abgeordneten, die ihm Gefolgschaft verwehren. Wirklich verwunderlich ist das nicht.
Schaden für McCarthy
Egal, wie es am Ende ausgeht: McCarthy trägt schweren Schaden davon. Schon die öffentliche Rebellion in den Wochen vor der Wahl war eine Blossstellung. Die Stunden im Kongress am Dienstag, in denen er vor den Augen eines nationalen Fernsehpublikums eine Wahlschlappe nach der anderen über sich ergehen lassen musste, ist schliesslich eine Demütigung historischen Ausmasses. Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass bei der Wahl für das mächtige Amt überhaupt mehr als ein Wahlgang nötig ist, weil eine Fraktion ihren Kandidaten im ersten Durchgang auflaufen lässt. Auf diese Weise Geschichte zu schreiben, ist wenig schmeichelhaft. Und die öffentliche Erniedrigung ist noch lange nicht am Ende.
Selbst wenn McCarthy am Ende nach x Wahlgängen auf den Posten gewählt werden sollte, so träte er sein Amt schwer angeschlagen an. Die interne Revolte verspricht nichts als Ärger für die Zukunft: Die Republikanische Fraktion geht dysfunktional und zerrüttet in die neue Legislaturperiode. Ihre Mitglieder stehen sich teils feindselig, ja hasserfüllt gegenüber. Es ist absehbar, dass McCarthy ein ums andere Mal allergrösste Probleme haben dürfte, die eigenen Reihen bei Abstimmungen über Gesetzesvorhaben zu schliessen – falls er es überhaupt auf den Posten schaffen sollte.
Schaden für die Partei
«Würde man zulassen, dass der Prozess im Chaos versinkt, würde dies das gesamte Gremium schwächen und das Vertrauen der Amerikaner in den neuen Kongress zerstören», schrieb die «New York Times» vor der Abstimmung über die Wahl. Es wäre dann auch klar, dass man nicht auf die Partei zählen könne, wenn es um die grundlegenden Aufgaben wie etwa die Finanzierung der Regierungsgeschäfte gehe. Mit McCarthys Wahl-Debakel sind nun die schlimmsten Vorhersagen eingetreten. Dem Fraktionschef verweigerten sogar mehr Abgeordnete die Gefolgschaft als anfangs spekuliert worden war.
Eigentlich wollten die Republikaner US-Präsident Joe Biden nach den Kongresswahlen das Leben schwer machen und Stärke zeigen. Mit dem überraschenden Erfolg der Demokraten bei der Abstimmung November erhielten die Republikaner bereits einen Dämpfer. Ihnen blieb aber dennoch die – wenn auch knappe – Mehrheit im Repräsentantenhaus. Doch auch dieser Erfolg verblasst, wenn die Partei mit ihrer Mehrheit nicht in der Lage ist, ihren Kandidaten zum dritten Mann im Staat zu wählen. Denn wer den Vorsitz innehat, ist Nummer drei der staatlichen Rangfolge nach dem US-Präsidenten und dessen Vize.
Worum geht es McCarthys Gegnern eigentlich?
Die Frage ist schwer zu beantworten. Zu hören ist die Klage, er stehe für das «Establishment» und nur für ein Weiterso in einem kaputten System. Doch die Tatsache, dass McCarthy seinen Gegnern ein Zugeständnis nach dem anderen präsentierte, ohne dass diese einlenkten, spricht eher dafür, dass es um etwas anderes geht: darum, Chaos und Unruhe zu stiften und das eigene Profil zu schärfen. Auch persönliche Antipathien dürften eine Rolle spielen.
McCarthy lenkte sogar ein, die Hürden für die Abberufung eines Vorsitzenden im Repräsentantenhaus deutlich zu senken – gab seinen Gegnern also ein Druckmittel an die Hand, ihn nach Belieben wieder aus dem Amt zu jagen. Mehr Selbstaufgabe geht kaum. Doch selbst das besänftigte seine Kritiker nicht. Auch Trumps Unterstützung half nicht. All das Anbiedern an Trump und dessen Hardcore-Anhänger rechtsaussen bewahrte McCarthy nicht vor dem Feldzug gegen ihn.
Und nun?
An diesem Mittwoch kommt das Repräsentantenhaus wieder zusammen, um weiter zu wählen. Wie viele Wahlgänge es brauchen wird, bis ein Vorsitzender feststeht, ist völlig unklar. Beide Lager – die Unterstützer und die Gegner McCarthys – scheinen vorerst nicht bereit, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Es könnte am Ende darauf hinauslaufen, welche Seite zuerst zermürbt ist und womöglich im Sinne des Ansehens der Partei einlenkt. Denn vorerst verursacht das Desaster der Republikaner Chaos und Stillstand zugleich.
Denn bis ein Vorsitzender bestimmt ist, geht rein gar nichts im Repräsentantenhaus: Die Kammer kann ihre nicht Arbeit aufnehmen, nicht mal die Abgeordneten können vereidigt werden, die Gesetzgebung liegt brach. Der Blick in die Geschichte verheisst nichts Gutes: 1855/56 brauchte die Kammer zwei Monate für die Wahl – und 133 Wahlgänge. (awp/mc/ps)