Nationaler Zukunftstag: Gegen Klischees und Fachkräftemangel
Am 9. November ist es wieder so weit: Schweizweit laden Hunderte Betriebe Schülerinnen und Schüler ein, Einblicke in unterschiedlichste Berufswelten zu bekommen. Dabei sollen stereotype Geschlechterrollen herausgefordert und künftige Fachkräfte gewonnen werden.
Allen Bemühungen zum Trotz gelingt es erst langsam, klassisch tradierte Rollen in der Berufswahl aufzubrechen. Junge Frauen und Männer entscheiden sich mehrheitlich noch immer für Ausbildungen in Berufsfeldern, die geschlechtsspezifisch geprägt sind. Zudem schränken sich Jugendliche in der Schweiz bei der Wahl ihres Berufs stark ein: Aus den gut 250 Lehrberufen, die zur Auswahl stehen, wählt die Hälfte der jungen Frauen lediglich 5 Berufe, die jungen Männer 16. Nebst tief verwurzelten Geschlechternormen, spielen hierfür auch Vorurteile gegenüber den verschiedenen Berufswelten eine Rolle – oder schlicht mangelndes Wissen.
Neue Perspektiven
An diesen Punkten setzt der Nationale Zukunftstag an. Er ermöglicht Schülerinnen und Schülern der 5. bis 7. Klasse praxisnahe Einblicke in Berufe und Arbeitsbereiche, in denen Mädchen beziehungsweise Buben bislang untervertreten sind. Durch diesen Seitenwechsel sollen Jugendliche neue berufliche Perspektiven erhalten und eigene, schlummernde Talente entdecken, aber auch darin bestärkt werden, ihre spätere Berufs- oder Studienwahl jenseits stereotyper Geschlechterrollen zu treffen. Für die teilnehmenden Betriebe wiederum eröffnet sich damit die Chance, mittelfristig neue Mitarbeitende zu gewinnen und so proaktiv gegen den Fachkräftemangel anzugehen.
Engagierte Betriebe
Um die Jugendlichen am Nationalen Zukunftstag innerhalb von wenigen Stunden in ein neues Berufsfeld einzuführen, lassen sich die Unternehmen einiges einfallen. Zwei Beispiele:
Am Zukunftstag des vergangenen Jahres gewährten 18 Betriebe von labmed, dem Schweizerischen Berufsverband der biomedizinischen Analytik und Labordiagnostik, im Rahmen des Projekts Seitenwechsel über 100 Buben in der ganzen Schweiz einen Einblick in die biomedizinische Analytik – mit einem Männeranteil von 22 Prozent noch immer eine klassische Frauendomäne. So bastelten die jungen Teilnehmer etwa am Universitätsspital Zürich in der Transplantationsimmunologie eine DNA aus Süssigkeiten und schauten danach im Labor einen Antigen-Antikörperkomplex unter dem Mikroskop an. Eine weitere Gruppe tauchte in der Klinischen Chemie in die Welt der Robotik ein und beobachtete, wie das Präanalytiksystem die Röhrchen mit den Laborproben automatisch sortiert und zentrifugiert. Und in der Hämatologie wurde den Knaben mit selbst gekneteten Zellen die Funktion der weissen und roten Blutkörperchen sowie der Blutplättchen auf spielerische Art erklärt. «Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren Workshops die Neugier und den Entdeckergeist der Jungs geweckt haben», sagt Kathrin Bauer, die Verantwortliche für das Ressort Bildung im Zentralvorstand von labmed. «Die Buben waren begeistert. Einige sagten sogar, es sei der beste Tag ihres ganzen Schuljahrs gewesen.» Mit diesen Workshops, betont sie, wollten sie den jungen Männern bewusst machen, welche zentrale Rolle der Beruf des biomedizinischen Analytikers in der medizinischen Versorgung der Gesellschaft innehat – und, ganz einfach, dass es diesen Beruf überhaupt gibt.
«Mädchen-bauen-los!» – so lautete das Motto, mit dem Baukader Schweiz und der Schweizerische Baumeisterverband junge Interessentinnen in mehreren Maurerlehrhallen der Schweiz wie etwas jene in Effretikon einluden. Die jungen Frauen lernten, wie man eine Mauer baut und wie Röhren in der Kanalisation verlegt werden. Dabei durften sie auch selbst Hand anlegen und erkundeten unterschiedliche Materialien und Werkzeuge. «Die Mädchen waren begeistert, sie fanden den Job lässig, wenn auch körperlich ein bisschen anstrengend», sagt Rosario Gross, Leiter Grundbildung beim Schweizerischen Baumeisterverband. «Sie konnten die Arbeiten aber problemlos bewältigen und wissen nun: Ich schaffe das!» Zudem haben die Teilnehmerinnen erfahren, dass in handwerklichen Berufen aufgrund der Digitalisierung vermehrt auch technische und kommunikative Fähigkeiten im Zentrum stehen. «Es geht darum, immer komplexere Pläne zu lesen und zu erstellen, mit Kundschaft und Lieferbetrieben zu kommunizieren und sich in den Bereichen Umweltschutz und Arbeitssicherheit auszukennen», sagt Rosario Gross. «Und diese Kompetenzen haben kein Geschlecht.»
Beide Betriebe werden auch in diesem Jahr am Nationalen Zukunftstag wieder junge Interessentinnen und Interessenten empfangen. (Zukunftstag/mc/ps)