Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Das Ende der Friedensdividende

Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Das Ende der Friedensdividende
Ob einsame Inseln oder versunkene Atolle (wie hier das Scarborough-Riff): China versucht sich im südchinesischen Meer Fischgründe und Bodenschätze durch "Landnahme" zu sichern. (Foto: Hand-out Philippine Coast Guard)

Von Robert Jakob

Während des Vietnamkriegs in den Jahren 1963 bis 1975 stieg die US-Inflation wie am Schnürchen kontinuierlich von 1,3 auf 7,5 Prozent. In dieser Zeit lagen die jährlichen Militärausgaben bei knapp acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Im Krieg muss der Staat seine Wirtschaftsaktivitäten auf militärische Ziele fokussieren. Güter werden nicht mehr in erster Linie für den Konsum, sondern für die Bevorratung und die Zerstörung hergestellt. Mittlerweile toben zwei grosse Kriege, deren Auswirkungen inflationär sind. Der Zusammenhang zwischen Inflation und Krieg ist historisch. Nach Weltkriegen traten sogar Hyperinflationen auf (Ungarn 1945/1946, Deutschland 1921–1923).

Warenhortung aus Sicherheitsdenken
Das reale Bruttoinlandsprodukt BIP der Vereinigten Staaten wuchs während des Vietnamkriegs durchschnittlich um stattliche fünf Prozent jährlich. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft machte die davon profitierenden Branchen wie Rohstoff- und Stahlindustrie, Hightech und Transport reicher. Kriegswirtschaft lohnt vor allem dann, wenn der Kampf nicht im eigenen Lande tobt. Aus Sicherheitsgründen kommt es bei Kriegsparteien zum Aufbau grosser Vorräte (das Gegenteil vom Lagerabbau, der vielen westlichen Industrie-Firmen in den letzten Quartalen die Zahlen versaut hat). Lediglich zu Ende des Vietnamkriegs sank das BIP der USA aufgrund der Ölkrise (mit Höhepunkt Jom-Kippur-Krieg).

Amerika du hast es besser
Meine Grossmutter hatte zwei Weltkriege erlebt. Früh wurde sie Witwe. Während des zweiten Weltkriegs hatte sie, nachdem das Haus unserer Familie von amerikanischen Bomben in Schutt und Asche gelegt worden war, die Tochter ihres dabei ums Leben gekommenen Hausmädchens grossgezogen. Den NS-Knallchargen wie Gauleiter Josef Bürckel bot Oma Anna erfolgreich die Stirn, als dieser in unserem Lebensmittelgeschäft requirieren wollte. Der Lebensmittelladen blieb offen – basta. Für ihren Mut und für ihre Leistungen beim Wiederaufbau erhielt sie später das Bundesverdienstkreuz am Bande. Ihr ganzes Leben musste sie für sich und andere kämpfen. Darum aber hielt sie auch nach den grossen Kriegen das Schlimmste weiterhin für möglich.

Bei uns ist wegen der vielen friedlichen Jahrzehnte eher das Gegenteil der Fall. Wir gehen vom Bestmöglichen aus. Das gilt insbesondere für die Siegermächte, die eine noch längere Phase des Wohlstands und der Stabilität kennen.

Ein guter Kaufmann schafft sich Freunde
Aber der Schein des grenzenlosen Friedens für die zivilisierten Staaten der Welt gerät ins Wanken und mit ihm die «Friedensdividende». Damit ist die internationale Zusammenarbeit der Völker gemeint, die wirtschaftlichen Wohlstand für alle schafft. 1989 kam diese Nachkriegsdividende noch einmal in Schwung, weil die Staaten nach dem Fall der Berliner Mauer immer besser miteinander auszukommen schienen.

33 Jahre später beginnt die Friedensdividende rasant zu bröckeln. Davor gab es einen globalen Markt, heute überwiegt hingegen pure Einzelkämpfermentalität, frei nach dem Motto: jeder für sich und Gott gegen alle. Seit der aggressiven Expansionspolitik Russlands (in Osteuropa) und Chinas (im offenen Südchinesischen Meer mit seinen riesigen Erdöl- und Erdgaslagerstätten) ist das Vertrauen nachhaltig zerstört. Die unsichtbare Hand des freien Marktes, die den Reichtum für alle sichern sollte, bekommt das grosse Zittern. Protektionismus wie in Zeiten des Absolutismus blüht allenthalben, selbst im Land des Turbokapitalismus USA. Weg von der Globalisierung, hin zur Autarkie: Das führt zu höheren Preisen, weil man sich nicht mehr auf dem bunt gedeckten Tisch des Weltmarkts günstig bedienen kann.

Der Wehretat kostet, backt aber kein Brot.
Die Schweiz ist in den sich abzeichnenden langwierigen Verteilkämpfen um die Reichtümer der Erde wie immer keine Insel. Sie ist als reiches Powerhaus auf den Welthandel angewiesen, wie ein Fisch auf das Wasser. Die Erfolgsstory der Schweizer Aktiengesellschaften könnte Risse bekommen. Der strukturelle Gegenwind auf unseren Wohlstand und das Sozialwohl wird zunehmen.

Die von Pictet & Cie. berechnete langfristige Wertentwicklung von Schweizer Aktien ist deutlich unter die langfristige Durchschnittsmarke von nominal 8 Prozent pro Jahr abgesackt. Seit 1926 bringen Aktien gute Renditen. Aber in letzter Zeit wurde es weniger. Die nominale jährliche Durchschnittsrendite aus Aktienkurs und -Dividende dürfte der 7%-Marke zustreben. Zum Vergleich: Vermögensverwalter versprechen ihren Kunden im Schnitt 4% Rendite. Zwar wird netto immer noch ein Realwertzuwachs übrigbleiben. Aber die hartnäckige Inflation hat das Zeug, den jährlichen Vermögenszuwachs bei indirekten Anlagen wie Fonds oder Vermögensverwaltungsmandaten auf einen ganz winzigen einstelligen Realwert zu drücken. Der Grund liegt in den hohen Friktionskosten. Die Absicherung unseres Wohlstands gegenüber den kriegerischen Nationen verschlingt nämlich Unsummen. Da nützt es nichts, wenn man wie Deutschland teure Militärausgaben als Sondervermögen verbrämt. In den Lieferketten der Wirtschaft müssen Back-up-Systeme aufgebaut werden und Vorräte von Zwischenprodukten bis zu Rohstoffen. Handelswege und Patente müssen geschützt werden, wenn sich niemand mehr an die Regeln hält. Das alles bindet viel Produktivkapital. Sinkende Eigenkapitalrenditen sind die Folge. Das wird selbstredend negative Auswirkungen auf die realen Aktienrenditen haben.

Allerdings wird sich der Schaden für reine Aktienanleger in Grenzen halten. Ob eine Realrendite von 3 oder 4 statt fünf Prozent herausschaut, ist nicht ganz so dramatisch. Hauptsache die Inflation wird geschlagen. Die Brötchen sind halt etwas kleiner.


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Das Titelbild ist eine modellierte Darstellung des Kampfes unseres Immunsystems gegen ein Virus. Immunglobuline (ypsilonförmig) und Zellsysteme attackieren den Feind.

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