BlackRock Marktausblick: Warum wir am taktischen Übergewicht von US-Aktien festhalten
Von Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock
Zwei Impulsgeber sind derzeit für die globalen Kapitalmärkte massgeblich – der Vormarsch der Künstlichen Intelligenz (KI) und eine „Zinswende light“. In Europa sorgen zudem die französischen Neuwahlen als schwelender Unsicherheitsfaktor für Unruhe.
Künstliche Intelligenz: Konzentration auf US-Technologiewerte ein Merkmal und keine Schwäche
Stichwort „KI“: Angeführt von Technologieaktien hat der US-Aktienmarkt, gemessen am S&P 500 (1), letzte Woche neue Rekorde erreicht. Die Technologiebörse Nasdaq kletterte am Donnerstag auf ein Allzeithoch von 17.936 Punkten, bevor Gewinnmitnahmen folgten. Der Sektor hat in diesem Jahr um rund 30% zugelegt, fast viermal so kräftig wie der Rest des S&P 500. Rückblickend auf 2023 ist die Überlegenheit von Technologie noch markanter, mit einem Plus von 100%, während der Rest des Index um 24% zulegte (Quelle: LSEG, 21.06.2024). Aktienanalysten erwarten im Durchschnitt, dass Technologieunternehmen in den nächsten 12 Monaten eine Wertentwicklung von 20% verbuchen werden – deutlich mehr als die Prognosen für den Rest des Marktes (Quelle: LSEG, 21.06.2024).
Wir sind weniger besorgt als einige Marktteilnehmer über die fokussierte Gruppe von Technologieaktien, die die Gewinne antreiben, und halten am taktischen Übergewicht von US-Aktien, beflügelt durch das Investmentthema KI, fest. Die Konzentration auf US-Technologiewerte ist ein Merkmal und keine Schwäche des KI-Themas.
Denn erstens wird die Begeisterung für KI dadurch untermauert, dass Technologieunternehmen die ambitionierten Gewinnerwartungen bisher erfüllen und übertreffen. Ihre Gewinne stiegen im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 23% (Quelle: LSEG, 21.06.2024). Als Kennzahl solider Bilanzen sind die freien Cashflows – ohne Betriebskosten – als Anteil des Umsatzes für Technologie fast doppelt so hoch wie für den breiteren Markt. Die Suche nach solchen Qualitätskennziffern könnte die Anleger in den letzten Wochen dazu veranlasst haben, noch stärker in US-Aktien zu strömen. Ihre europäischen Pendants gerieten nach den Ergebnissen der Europawahlen und der Nachricht von vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich ja unter Druck.
Zweitens sind die Gewinnmargen im Technologiesektor zwar am höchsten, erholen sich aber auch in anderen Branchen. Acht von elf Sektoren des S&P 500 (1) verzeichneten im ersten Quartal höhere Margen gegenüber Vorjahr (Quelle: LSEG, 21.06.2024). Die nachlassende Inflation – wenngleich auf hartnäckig hohen Niveaus – verringert den Kostendruck auf die Gewinnmargen. Die Stimmung der US-Einkaufsmanager hellte sich im Juni auf, wohingegen die Einkaufsmanagerindizes für Deutschland, Frankreich und den Euroraum schwächer als erwartet ausfielen. Auf Sektorebene bevorzugen wir nach wie vor das Gesundheitswesen, da es durch sich erholende Erträge, Arzneimittelinnovationen und eine alternde Bevölkerung unterstützt wird. Wir mögen auch den Industriesektor, weil er dazu beitragen wird, die für KI und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft erforderliche Infrastruktur aufzubauen. Die Neuausrichtung der Lieferketten entlang geopolitischer Blöcke wird sich ebenfalls auf den Sektor auswirken, da Unternehmen und Länder die Produktion näher an die Heimat verlagern.
Was könnte den Aufschwung der Technologieaktien zum Stillstand bringen?
Was könnte den Aufschwung der Technologieaktien zum Stillstand bringen? Die Märkte könnten sich von dem Sektor abwenden, wenn die Erwartungen an KI enttäuscht werden, etwa unter dem Eindruck, dass die Investitionen der Unternehmen in KI sich nicht in höhere Erträge oder Margen übersetzen. Auch regulatorische Veränderungen, die die Anwendung einschränken, könnten das Potenzial der KI mindern, die Technologie weiterhin zu unterstützen. In einem weniger wahrscheinlichen Szenario könnten andere Branchen dem Technologiesektor den Rang ablaufen, wenn sich das Wachstum beschleunigt und die Inflation so weit sinkt, dass die US-Notenbank Fed die Leitzinsen stärker als erwartet senken kann.
Stichwort „Zinswende light“: Die Renditen in Europa und den USA traten nach dem Rückgang in der Vorwoche auf der Stelle. Wie von Ökonomen erwartet senkte die Schweizerische Notenbank (SNB) ihren Leitzins am Donnerstag um 25 Basispunkte auf 1,25% (Quelle: SNB, 20.06.2024). Ihr Ausblick bleibt weiterhin von verhaltenem Binnenwachstum geprägt, das den Inflationsdruck dämpft, und von Sorgen über einen starken Schweizer Franken, und damit verbundene Risiken einer importierten Disinflation. Wie im Falle anderer Zentralbanken, dürfte der weitere Zinssenkungsspielraum in der Schweiz begrenzt ausfallen. Zum einen liegt die Teuerung im politikrelevanten Zeithorizont im Zielbereich von 0-2%. Die SNB revidierte ihre Inflationsprognose für 2026 leicht nach unten auf 1%. Zum anderen nähert sich der Leitzins der von Notenbankpräsident Jordan in einer Rede kürzlich bei etwa 1% verorteten neutralen Rate.
Zinswende light: Zähe Dienstleistungspreise
In Grossbritannien sprach sich eine Notenbanker-Mehrheit von 7:2 für die Beibehaltung des Leitzinses bei 5,25% aus (Quelle: BoE, 20.06.2024). Wir gehen jedoch davon aus, dass die Bank of England nach den britischen Unterhauswahlen Anfang Juli im August mit Zinssenkungen beginnen wird. Da der Inflationsdruck angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage weiterhin höher bleiben wird als vor Ausbruch der Pandemie, sollten die Zinsen zwar vom aktuellen Niveau fallen, aber lange hoch bleiben.
Anders gestaltet sich die Situation in Japan, wo die Geldpolitik weiterhin locker ausgerichtet ist. Die zugrunde liegende Inflationsdynamik liess im Mai nach, der japanische Yen notierte im Wochenvergleich schwächer (Quelle: LSEG, 21.06.2024) Aber steigende Löhne und Importpreise bedeuten, dass die Teuerung in den kommenden Monaten wahrscheinlich anziehen wird, was den Weg für eine weitere schrittweise Straffung der Bank of Japan ebnet.
Apropos Geldpolitik: In dieser Woche richtet sich das Augenmerk auf das bevorzugte Inflationsmass der Fed – den Deflator der Konsumausgaben (PCE) – und ob die Dienstleistungsinflation nachlässt. Die kühler als erwartet ausgefallenen Verbraucherpreisdaten für Mai zeigten sinkende Kerngüterpreise. Aber die zähen Dienstleistungspreise bedeuten, dass die Inflation mittelfristig weiterhin das 2%-Ziel der Fed übertreffen wird.
1) Der Standard and Poor’s 500, S&P 500 – Ein Aktienindex, der 500 der grössten US-Unternehmen umfasst.