Urteil gegen früheren Eternit-Unternehmer Schmidheiny bestätigt
Neapel / Bern – Das Appellationsgericht in Neapel, Italien, hat ein Urteil gegen den früheren Eternit-Unternehmer Stephan Schmidheiny bestätigt. Die Richter anerkannten wie bereits die erste Instanz auf fahrlässige Tötung. Schmidheiny kündigte Berufung an.
Bei einem der laufenden Eternit-Verfahren ging es um den asbestbedingten Todesfall eines ehemaligen Arbeiters in der Fabrik in Napoli Bagnoli. Schmidheiny wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, wie dessen Sprecherin am Mittwoch mitteilte.
Die Verteidigung von Schmidheiny werde gegen «diese ungerechtfertigte Verurteilung» Rekurs beim obersten italienischen Gericht einlegen, hiess es weiter. Denn das neapolitanische Gericht habe sich über die etablierte italienische Rechtsprechung in Asbestfällen hinweggesetzt.
«Vorwürfe frei erfunden»
Stephan Schmidheiny sei nicht für die Asbest-Tragödie in Italien verantwortlich, betonte dessen Sprecherin Lisa Meyerhans. Bereits im November 2014 habe das oberste italienische Gericht Schmidheiny im ersten Eternit-Verfahren von den Vorwürfen freigesprochen. Die Verteidigung habe in allen laufenden Verfahren «bewiesen, dass die immer gleichen Vorwürfe gegen Stephan Schmidheiny frei erfunden» seien.
Die Untersuchung zu Asbest-Opfern in Schweizer Eternit-Werken war von der Turiner Staatsanwaltschaft zunächst im Jahr 2007 abgeschlossen worden. Dabei handelte es sich um 2969 Fälle überwiegend tödlicher Asbest-Vergiftung am Arbeitsplatz. Diese ereigneten sich in den Eternit-Fabriken von Casale Monferrato (Alessandria), Cavagnolo (Turin), Bagnoli (Neapel) und Rubiera (Reggio Emilia).
Opferseite freut sich
Erfreut vom Entscheid in Neapel zeigte sich am Mittwoch die Opferseite. «Das Urteil tröstet uns ein wenig nach der Enttäuschung in der ersten Instanz; dort wurden die Forderungen der Staatsanwälte weitgehend ignoriert», sagte Ezio Bonanni, Anwalt und Vorsitzender der Nationalen Asbestbeobachtungsstelle, auf Anfrage der italienischen Nachrichtenagentur Ansa.
Der Prozess bestätigte demnach auch die Berechtigung der Schadenersatzforderung der Beobachtungsstelle, die über ihre Anwältin Flora Abate als Nebenklägerin auftrat.
«Einer nach dem anderen starben die Arbeiter und auch ihre Familien, weil diese deren Arbeitskleidung gewaschen oder den Staub von deren Haaren und Haut eingeatmet haben», fügte die Beobachtungsstelle hinzu.
Schuld schwer nachweisbar
Die Ursache von asbestbedingten Krebserkrankungen könne weder hinsichtlich der Asbest-Quelle noch hinsichtlich des Zeitpunkts des Krankheitsbeginns zweifelsfrei bewiesen werden, sagte die Schmidheiny-Sprecherin weiter. Damit könne auch keine strafrechtliche Schuld bewiesen werden.
Zwischen 1976 und 1986, im Zeitraum, auf welchen sich die Klagen gegen Stephan Schmidheiny beziehen, sei die Asbestverarbeitung in Italien ausserdem weit verbreitet und legal gewesen. Verboten hat Italien die Asbestverarbeitung erst 1992. Tatsächlich machen sich die Folgen des Kontakts mit Asbest oft erst Jahrzehnte später bemerkbar.
Asbest-Gefahr schon früh bekannt
Der Baustoff Asbest, der für Faserzementteile mit dem Markennamen Eternit verwendet wurde, war jahrzehntelang beliebt, denn er war praktisch, günstig und feuerfest. Dass Asbest gefährlich für die Gesundheit ist, war aber schon früh kein Geheimnis mehr. Asbestose als Krankheit wurde nämlich schon um 1900 entdeckt.
Wer Asbestfasern einatmet, muss Lungenkrebs und Mesotheliom – einen Krebs des Brust- und Bauchfells – fürchten. Dies bewiesen Wissenschaftler in den 1960er-Jahren. Seither starben zehntausende Menschen an diesen Krankheiten.
Die von Stephan Schmidheiny geführte Schweizer Eternit-Gruppe SEG war von 1973 bis zum Konkurs 1986 zunächst grösster und später Hauptaktionär der Eternit Italia SpA. Allerdings war der Industrielle nie Verwaltungsrat oder Manager des italienischen Unternehmens, wie seine Verteidiger betonen. Stephan ist der jüngere Bruder von Thomas Schmidheiny, des Grossaktionärs des Schweizer Zementherstellers Lafarge-Holcim.
Die Ursprünge des Familiengeschäfts gehen bis in die 1860er-Jahre zurück, als der Grossvater von Stephan Schmidheiny eine Ziegelei gründete. Ab dem frühen 20. Jahrhundert kam die Asbestverarbeitung hinzu. In Holderbank im Aargau baute die Familie zudem ein weltweit tätiges Zementwerk auf, aus dem später die Firma Holcim wurde. (awp/mc/ps)