VP Bank Spotanalyse: EZB senkt Zinsen zum dritten Mal seit Juni

VP Bank Spotanalyse: EZB senkt Zinsen zum dritten Mal seit Juni
Thomas Gitzel, Chief Economist VP Bank. (Foto: VP Bank)

Von Thomas Gitzel, Chief Economist VP Bank

Konjunkturnot dominiert Inflationsrisiko.

Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt ihre Leitzinsen erneut um 25 Basispunkte. Der Einlagensatz liegt neu bei 3.25 % und der Hauptrefinanzierungssatz beträgt neu 3.40 %.

Der EZB sitzt die Angst vor der wirtschaftlichen Entwicklung im Nacken. Ursprünglich war aufgrund der Wortwahl der Zentralbank-Vertreter von quartalweisen Zinssenkungen auszugehen. Doch mit der letzten Runde an schwachen Konjunkturmeldungen warfen die europäischen Währungshüter ihren Plan über den Haufen.

So signalisierten die Einkaufsmanagerindizes von September eine weitere wirtschaftliche Schwäche, die vor allem auf Nöte im verarbeitenden Gewerbe zurückzuführen sind. Zu befürchten ist, dass nun auch der bislang noch gutlaufende Arbeitsmarkt Schaden nimmt. Wie die Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde während der Pressekonferenz ausführte, rechnet die EZB aber weiterhin mit einem Softlanding der Wirtschaft und nicht etwa mit einer Rezession.

In Anbetracht eines überraschend starken Rückgangs der Gesamtinflation im September hatte die EZB freie Fahrt. Die aktuellen Daten zur Inflation würden zeigen, dass der Disinflationsprozess gut voranschreite, sagte Lagarde. Die Inflationsaussichten würden zudem durch aktuelle Konjunkturindikatoren beeinflusst, die schwächer ausgefallen seien als erwartet.

Der wunde Punkt bleibt jedoch der lediglich zähe Rückgang der Kerninflationsrate. Dahinter verbirgt sich ein noch immer starker Preisanstieg im Dienstleistungssektor, der von hohen Lohnabschlüssen gespeist wird. Und die Lohnforderungen der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor bleiben hoch.

In Deutschland etwa starteten jüngst die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der deutsche Beamtenbund mit einer sportlichen Forderung in die neue Tarifrunde: 8 % mehr Lohn bzw. mindestens 350 Euro möchten die Gewerkschaften für die Bediensteten bei Bund und Kommunen sehen. Die Forderungen haben Signalwirkung für anderen Branchen.

Lagarde betonte, dass das Vorgehen der Notenbank datenabhängig bleibe. Die geldpolitischen Entscheidungen würden weiterhin von Sitzung zu Sitzung getroffen. Eine Vorfestlegung gibt es also nicht. Die EZB dürfte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit an ihrer nächsten Sitzung im Dezember nochmals mit einer Zinssenkung im Umfang von 25 Basispunkten aufwarten. Alles andere wäre in Anbetracht der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung eine Überraschung.

Im kommenden Jahr dürften weitere Zinssenkungen folgen. Wie stark der Leitzins zurückgeht, wird von der Lohnentwicklung abhängen. Die Arbeitnehmerforderungen lassen darauf schliessen, dass die Leitzinsen im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie auf erhöhtem Niveau zu liegen kommen werden.

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