Im Schlaf geschützt: Warum Antibiotika nicht alle Krankheitserreger auslöschen
Basel – «Schlafende» Bakterien sind bei Infektionen ein Problem, da sie Antibiotikatherapien überleben können. Forschende der Universität Basel haben herausgefunden, wie der Erreger gefährlicher Lungenentzündungen sich mit Hilfe einer Art Schlaftablette in den Ruhezustand versetzt. Diese Überlebensstrategie der Bakterien scheint auch bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Infektionen eine Rolle zu spielen.
In den letzten Jahren ist die Bedrohung durch antibiotikaresistente Bakterien stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Weniger bekannt als das Problem der Resistenzentwicklung sind hingegen «schlafende» Bakterien, die ebenfalls ein Problem bei der Behandlung bakterieller Infektionen darstellen. Diese sogenannten Persister sind zwar nicht resistent, befinden sich aber in einem schlafähnlichen Zustand, der sie vor Antibiotika schützt. Sie sind häufig für chronische und wiederkehrende Infektionen nach einer Antibiotikabehandlung verantwortlich.
«Die meisten Antibiotika greifen aktive, also wachsende Bakterien an», sagt Prof. Dr. Urs Jenal vom Biozentrum der Universität Basel. «Da Persister jedoch nicht wachsen, sind siegegenüber Antibiotika unempfindlich.» In ihrer Studie berichten die Forschenden um Jenal nun von einem Mechanismus, der Pseudomonas aeruginosa – einen schwer zu behandelnden Erreger – in die Lage versetzt, solche Schläfer-Zellen zu bilden. Gemeinsam mit den Strukturbiologinnen und –biologen um Prof. Dr. Sebastian Hiller gelang es Jenals Team nun, neue Einblicke in dieses System zu gewinnen. Ihre Ergebnisse erschienen kürzlich im «EMBO Journal».
Schlafende Bakterien haben Überlebensvorteil
Eine Antibiotikabehandlung überleben nur sehr wenige Bakterien, schätzungsweise eines aus einer Million. Diese Keime sind meist Persister. «Bei der Analyse von Bakterien, die wir aus Betroffenen mit chronischen Lungenentzündungen isoliert haben, fanden wir Genmutationen in einem Toxin-Antitoxin-System», sagt Jenal. «Diese führen dazu, dass die Anzahl an Persistern stark zunimmt.»
Viele Bakterien produzieren Toxine, also Giftstoffe, die auch bei ihnen selbst wirken. Unter günstigen Lebensbedingungen werden diese Toxine durch Gegengifte (Antitoxine) neutralisiert, sodass sich die Bakterien ungestört vermehren können. Bei Stress werden die Antitoxine abgebaut und die Toxine können ihre Wirkung frei entfalten. In der Folge gehen die Bakterien in den Ruhezustand über. «Die von uns gefundenen Mutationen aktivieren das Toxin bei einzelnen Bakterien», sagt Jenal. «Doch erst bei Nährstoffmangel wirkt es wie eine Schlaftablette. Warum jedoch nur ein Teil der Bakterienpopulation in den Schlafzustand wechselt, wissen wir nicht. Möglicherweise beruht dies auf zufälligen Prozessen.»
Toxin wirkt wie Schlaftablette
Die Wirkung als Schlaftablette beruht darauf, dass das Toxin zwei zentrale Stoffwechsel-Verbindungen, NAD und NADP, abbaut. Dadurch wird die Energieversorgung beeinträchtigt und die Bakterien fahren ihren Stoffwechsel auf ein Minimum herunter. «Unter günstigen Bedingungen produzieren die Bakterien die beiden Moleküle einfach nach. Bei Nährstoffmangel ist dies nicht möglich, die NAD- und NADP-Reserven erschöpfen rasch und die Bakterien gehen in den Schlafzustand über», so Jenal. «Wir glauben, dass solche Mangelbedingungen auch im Patienten während einer Infektion auftreten. Während einer Antibiotikatherapie haben Erreger mit einem aktiven Toxin dann natürlich einen Überlebensvorteil.»
Bedeutung bei Infektionen im Menschen
Gerade bei Personen mit chronischen Lungeninfektionen, welche regelmässig mit Antibiotika behandelt werden, treten vermehrt Persister auf. «Die Mutationen im Toxin-Antitoxin-System führen dazu, dass auch im Menschen mehr Erreger die Antibiotikabehandlung überleben», so Jenal. «Interessant ist, dass wir die Wirkung des Toxins mit einem Vorläufermolekül von NAD hemmen konnten. Damit liesse sich allenfalls verhindern, dass Bakterien zu Schläfern werden und sich der Antibiotikatherapie entziehen.» (Universität Basel/mc/ps)
Originalpublikationen
Isabella Santi, Raphael Dias Teixeira, Pablo Manfredi, Hector Hernandez Gonzalez, Daniel C. Spiess, Guillaume Mas, Alexander Klotz, Andreas Kaczmarczyk, Nicola Zamboni, Sebastian Hiller, and Urs Jenal.
Toxin-mediated depletion of NAD and NADP drives persister formation in a human pathogen.
EMBO Journal (2024), doi: 10.1038/s44318-024-00248-5
Forschungsgruppe Prof. Dr. Urs Jenal