Matthieu Ochsner, CEO und Co-Founder GoNina, im Interview
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Ochsner, Lebensmittelverschwendung und Warenüberschuss entstehen auf verschiedenen Ebenen der Lebensmittelkette. Wie hoch ist der Anteil, der durch Fehlkalkulationen bei der Bestellung oder Produktion von Lebensmitteln entsteht?
Matthieu Ochsner: In der Schweiz fallen jedes Jahr 2.7 Millionen Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle an, wovon nach Schätzungen des BAFU 210’000 Tonnen auf die Gastronomie entfallen. Mit 14% sind diese aber für einen deutlich überproportionalen Anteil an der Umweltbelastung (UBP) verantwortlich, da Lebensmittel am Ende der Lebensmittelkette am Energie-intensivsten sind.
GoNina hilft Unternehmen mithilfe von künstlicher Intelligenz, ihre tägliche Kundennachfrage besser einschätzen zu können. An welche Unternehmen richten Sie sich mit dem Angebot?
Jeder Betrieb hat überschüssige Lebensmittel, aber nicht überall ist das Problem gleich gross. Wir fokussieren uns mit unserer Lösung auf diejenigen Betriebe, bei denen Foodwaste besonders einschlägt. Dies sind im Voraus produzierende Betriebe wie Kantinen, Buffets und Takeaway-Restaurant, Anbieter verderblicher Güter wie Bäckereien, Sushi-Restaurants, Salat-Bars und Cafés, und letztlich Retailer wie Supermärkte und Convenience Stores.
Welche Faktoren bezieht die KI in die vorausgesagte Kundennachfrage ein?
Unser von Grund auf eigens entwickeltes KI-Modell berücksichtigt über 100 Faktoren, um Prognosen mit bis zu 90%iger Präzision anzubieten. Zum Einen sind diese interne Daten wie die Verkaufsdaten der Betriebe der letzten Jahre. Zum Anderen sind es externe Variablen wie das Wetter, Feiertage, Schulferien und auch nahegelegene Events. Dabei gibt es interessante Beobachtungen: wenn in der Mittagspause regnet, dann ist dies beispielsweise gut für Bertriebskantinen, aber nicht für die umliegenden Betriebe, da sich Konsumentinnen und Konsumenten sich lieber nicht aus dem Gebäude begeben.
Inwieweit erfassen Sie die Verderblichkeit und Haltbarkeit der Lebensmittel?
Wie eingangs diskutiert fällt entlang der gesamten Wertschöpfungskette Foodwaste an. Wir sind der starken Überzeugung, dass es verschiedene Lösungen braucht, um dieses riesige Problem anzugehen. Unsere Lösung setzt bewusst am Ende der Wertschöpfungskette an, da hier die Energieintensität – und damit die CO2-Emissionen – am höchsten sind. Im Vordergrund steht bei uns die Planung der Nachfrage, damit die richtige Menge produziert wird. Das Problem, das wir damit lösen, ist aber weniger die eigentliche Haltbarkeit der Lebensmittel, sondern mehr, dass wenn sie bereits einmal zubereitet sind, sie in relativ kurzer Zeit verkauft werden müssen. Wenn beispielsweise Sushi-Rollen bereits vorbereitet und beim Standort im Regal landen, dann müssen diese am gleichen Tag vertrieben werden. Die eigentlichen Zutaten – Fisch und Reis – hätten aber auch noch am nächsten Tag später verkauft werden können, wenn sie morgens nicht aus dem Kühlschrank genommen und zubereitet worden wären.
«Unsere Lösung setzt bewusst am Ende der Wertschöpfungskette an, da hier die Energieintensität – und damit die CO2-Emissionen – am höchsten sind.»
Nichtsdestotrotz können Betriebe mittelfristig auf Grundlage unserer Prognosen die Planung besser ausgestalten und damit auch sicherstellen, dass weniger Lebensmittel aufgrund der Haltbarkeit weggeworfen werden müssen.
Können Sie mit der KI-Lösung auch Daten zum Verhalten der Kunden, etwa Vorlieben oder Trends, erfassen? Und wenn ja, wie fliessen diese in die Planung ein?
Unser KI-Modell entscheidet für jeden Betrieb und jeden Standort selbst, welche Faktoren mit welchem Gewicht einen Einfluss haben. Dabei spielt die Art des Essens eine grosse Rolle. Während bei höheren Temperaturen Sushi und Salat sich gut verkaufen, läuft bei Suppen-Betriebe tendenziell weniger und umgekehrt.
Sie verfolgen einen doppelten Ansatz, indem Sie eine Vertriebsplattform für überschüssige Lebensmittel anbieten. Wie läuft das ab?
Unser Ziel ist es, Betrieben eine holistische Lösung gegen Foodwaste zu bieten, indem wir durch unsere KI-Prognosen die Lebensmittelverschwendung an der Wurzel bekämpfen und für restlich anfallende Überschüsse auch eine Lösung bieten. Durch eine präzise Vorhersage sollen Überschüsse durch starke Nachfrageschwankungen – z.B. aufgrund eines Taylor Swift-Konzerts oder wenn das Wetter im Herbst kippt – antizipiert sowie der Sicherheitspuffer minimiert werden, mit welchem die meisten Betriebe in unserer Zielgruppe arbeiten. Damit werden Überschüsse signifikant reduziert. Realistischerweise wird es aber immer wieder Tage geben, an denen 1-2 Portionen übrig bleiben. Für diesen Fall bieten wir mit unserem Überschuss-Market eine pragmatische Lösung, um auch dort ein Maximum vom Mülleimer zu retten.
«Unser Ziel ist es, Betrieben eine holistische Lösung gegen Foodwaste zu bieten, indem wir durch unsere KI-Prognosen die Lebensmittelverschwendung an der Wurzel bekämpfen und für restlich anfallende Überschüsse auch eine Lösung bieten.»
Das Angebot von GoNina gibt es seit Februar. In welchem geografischen Bereich besteht es bereits?
Wir zählen aktuell um die 50 Standorte in sieben Kantonen, allerdings fokussieren wir uns heute aktiv auf den Grossraum Zürich. Uns ist es wichtig, dass wir die Qualität unserer Plattform für Betriebe und Konsumenten gewährleisten. Deshalb gehen wir mit unserer Expansion schrittweise vor.
Wie viele Unternehmen greifen auf Ihr Angebot zurück – und wie viele Nutzerinnen und Nutzer verzeichnen Sie zum jetzigen Zeitpunkt?
Zum aktuellen Zeitpunkt zählen wir über die Schweiz hinweg ca. 10’000 Nutzerinnen und Nutzer. Jede Woche kommen neue hinzu. Wir versuchen dabei auf unsere Zielgruppen wie Studentinnen und Studenten sowie junge Arbeitstätige zu fokussieren, die besonders von unserer Lösung profitieren können – sei es aus ökologischen Gründen oder weil sie leckere Nahrungsmittel zu zugänglichen Preisen erwerben können.
Welche Expansionspläne verfolgen Sie?
Wie haben die Ambition, mit GoNina schweizweit die Nummer 1 im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung zu werden. Realistischerweise wird dies uns die nächsten 12+ Monate beschäftigen. Natürlich haben wir uns auch bereits Gedanken gemacht, wohin die Reise danach weitergehen könnte, allerdings haben wir noch einiges in der Schweiz zu beweisen, bevor wir eine Expansion ins Ausland in Frage kommt. Unsere primäre Motivation hinter GoNina ist, durch die Reduktion von Foodwaste eine positive Wirkung auf unsere Umwelt zu haben, indem mit den endlichen Ressourcen unseres Planeten schonungsloser umgegangen wird.
Letzte Frage: Sie haben viele Jahre in beratender Funktion für eine Bank und später für das Startup «Smallpdf» gearbeitet. Wie kam es zum Schritt, GoNina zu gründen?
Meine Zeit in der Unternehmensberatung bei Oliver Wyman war sehr spannend und ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt. Gleichzeitig hatte ich zunehmend das Gefühl, dass ich meine (Lebens-)Zeit und Energie in Probleme investiere, die im Hinblick auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit nicht wichtig sind. Ich entschied mich deshalb 2020 aus der Beratung austreten und bin dem schnell wachsenden Startup Smallpdf beigetreten, welches in den zwei Jahren, in denen ich Teil der Reise sein durfte, von circa 50 auf zeitweise 170 Mitarbeitende gewachsen ist. Dabei war meine Motivation von Anfang an, möglichst viel aus den verschiedenen Bereichen zu lernen, in der Hoffnung etwas schlauer zu sein, wenn ich mein eigenes Startup gründe sowie ein Netzwerk mit Expertinnen und Experten aufzubauen. Im Frühling letzten Jahres war es schliesslich soweit und ich habe mich entschieden, den Schritt zu wagen und meine Ambition im Unternehmertum mit meiner Passion in der Nachhaltigkeit zu verbinden.