Carina Popovici, CEO und Co-Founder Art Recognition, im Interview

Carina Popovici, CEO und Co-Founder Art Recognition, im Interview
Carina Popovici, CEO Art Recognition (Bild: Art Recognition, Moneycab)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Frau Popovici, Art Recognition hat einen Algorithmus programmiert, der Kunstfälschungen mithilfe von Künstlicher Intelligenz erkennt. Sie sind Quantenphysikerin und haben bei der CS als Analystin gearbeitet. Wie kam es zur Gründung von Art Recognition?

Carina Popovici: Tatsächlich habe ich meine Doktorarbeit in Teilchenphysik geschrieben und bin anschliessend in die Finanzwelt gewechselt. Vor 10 Jahren war dieser Karriereschritt nicht ungewöhnlich, da viele Physiker in die Finanzbranche gegangen sind. Ich habe aber auch eine grosse Leidenschaft für Kunst – eine Kombination, die vielleicht ein wenig unkonventionell erscheint. Ich schätze nicht nur die Schönheit der Kunst, sondern auch ihre kulturelle Bedeutung sowie die Wichtigkeit von Fairness und Transparenz im Kunsthandel. Diese Mischung aus Interessen hat mich dazu inspiriert, die Herausforderung anzugehen, Kunstauthentizität mithilfe von Technologie zu überprüfen.

Wir haben diese Reise im Jahr 2019 begonnen, als es noch keine Computerprogramme gab, die dieses Problem lösen konnten. Ich habe angefangen, selbst daran zu arbeiten, und schliesslich beschlossen, meine damalige Position bei einer Bank aufzugeben, um mein eigenes Unternehmen zu gründen. Im ersten Jahr konnten wir einen Forschungsgrant von der Europäischen Union sichern, der uns die notwendige Finanzierung bot, um die Technologie weiterzuentwickeln.

Art Recognition hat das KI-Programm, mit dem die Kunst analysiert wird, selbst entwickelt. Wie trainieren Sie das System, dass es individuell Eigenheiten eines Kunstwerks oder des Künstlers erlernt? Welche Daten benötigen Sie?

Unsere Software basiert auf einem künstlichen neuronalen Netzwerk, das darauf trainiert ist, die charakteristischen Merkmale eines Künstlers zu «lernen» und anschliessend zu erkennen. Der Algorithmus analysiert hunderte Originalwerke eines Künstlers, um die wichtigsten Merkmale zu identifizieren. Zusätzlich wird er mit negativen Beispielen trainiert, wie etwa bekannten Fälschungen, Werken von Nachfolgern, Schülern, oder Kreisen des Künstlers sowie digitaler Kunst, die von generativer KI im Stil des jeweiligen Künstlers erstellt wurde. Nach Abschluss des Trainings werden die erlernten Merkmale gespeichert.

Anschliessend kann das System prüfen, ob die Merkmale eines neuen, unbekannten Bildes mit den gelernten Merkmalen übereinstimmen. Basierend auf diesem Vergleich gibt das System eine Wahrscheinlichkeit für die Authentizität des Kunstwerks aus.

«Unsere Software basiert auf einem künstlichen neuronalen Netzwerk, das darauf trainiert ist, die charakteristischen Merkmale eines Künstlers zu «lernen» und anschliessend zu erkennen.»
Carina Popovici, CEO und Co-Founder Art Recognition

Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, wenn historische Daten oder Referenzwerke fehlen?

Bevor wir einen neuen Künstler trainieren, prüfen wir zunächst, ob ausreichend kunsthistorische Referenzliteratur – wie Werkverzeichnisse, Ausstellungskataloge usw. – verfügbar ist. Diese Literatur bildet die Grundlage für den Aufbau der Trainingsdatensätze. Die meisten Künstler, deren Werke wir zur Analyse erhalten, sind gut dokumentiert. In solchen Fällen gibt es in der Regel ausreichend Literatur, und wir haben keine Schwierigkeiten, beispielsweise die Werkverzeichnisse zu beschaffen. Es kann jedoch vorkommen, dass für einige Künstler nicht genügend Daten oder Literatur verfügbar sind. In solchen Fällen könnte ein Projekt möglicherweise nicht durchführbar sein.

Wo liegen denn die Vorteile der Prüfung eines Werks mit KI gegenüber herkömmlichen Verfahren der Begutachtung durch Experten?

Traditionell beruht die Kunstauthentifizierung auf dem Fachwissen von Kunstexperten. Dieser Ansatz ist jedoch von individuellen Interpretationen abhängig und birgt das Risiko menschlicher Fehler. Es stellt sich zudem als problematisch heraus, sich in manchen Fällen ausschliesslich auf das Fachwissen einer einzigen Person zu verlassen. Ich bin überzeugt, dass die Einführung von KI-Technologien eine Lösung für dieses Problem bietet. Der Übergang von subjektiven Meinungen zu objektiven, datengestützten Bewertungen steigert meiner Ansicht nach die Gesamtzuverlässigkeit des Authentifizierungsprozesses. Darüber hinaus bietet die Prüfung eines Kunstwerks mit KI auch praktische Vorteile: Sie ist schnell, kostengünstiger und spart den Aufwand für Transport und Versicherung, da das Kunstwerk nicht physisch vorgelegt werden muss.

«Der Übergang von subjektiven Meinungen zu objektiven, datengestützten Bewertungen steigert meiner Ansicht nach die Gesamtzuverlässigkeit des Authentifizierungsprozesses.»

Verlassen sich Ihre Kunden ganz auf das Resultat Ihrer Prüfung oder sehen sie es als Ergänzung zu Expertenmeinungen?

Unsere KI ist nicht dafür gedacht, die Experten zu ersetzen. Im Gegenteil, wir suchen aktiv die Zusammenarbeit mit Kunstexperten, deren umfangreiches Wissen und Expertise wir sehr schätzen. Anstatt uns als Wettbewerber zu sehen, betrachten wir unsere Technologie als eine Ergänzung zu ihrem Fachwissen.

Wir waren oder sind die Reaktionen auf Ihre Arbeit seitens Kunsthistoriker und Experten? Sehen sie Art Recognition als Konkurrenz?

Nach unserer bisherigen Erfahrung ist es manchmal schwierig, den Kunstmarkt von einer neuen technologischen Lösung zu überzeugen. Einige Kunstexperten akzeptieren nur widerwillig das Eindringen von KI und Datenanalysemethoden in den Kunstmarkt und ziehen es vor, sich auf traditionelle Analysemethoden zu verlassen. Viele Experten sind aber der Meinung, dass unser Service in Zukunft zur Standardmethode wird und es nur eine Frage der Zeit ist, bis dies geschieht. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit Prof. Nils Büttner, Vorsitzender des Rubenianums, der uns zunächst sehr kritisch gegenüberstand. Nachdem wir jedoch den Dialog gesucht haben, haben wir ein gemeinsames Projekt durchgeführt, das in einer kunsthistorischen Zeitschrift veröffentlicht wurde.

Sie hatten bisher über 100 Auftraggeber und haben über 500 Kunstwerke analysiert. Wer sind Ihre typischen Kunden?

Die Kundenkategorien sind sehr unterschiedlich: Privatsammler, Kunstexperten, Galerien, Auktionshäuser aber auch Vermögensverwaltern, Wealth Managers oder sogar Immobilienmakler.

Vor zwei Jahren machte ein von Ihnen als wahrscheinlich nicht echter Tizian Schlagzeilen, ein Jahr zuvor war es ein Rubens-Gemälde. Prüfen Sie hauptsächlich Kunstwerke der Alten Meister? Oder anders gefragt, welches Spektrum decken Sie ab?

Unser System ist in der Lage, Bilder aus allen Epochen zu analysieren, von den Alten Meistern bis hin zur modernen Kunst. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass ausreichend Bilder aus verlässlichen Quellen verfügbar sind, um einen Trainingsdatensatz zu erstellen.

Zusätzlich ist es wichtig, dass das Kunstwerk von Hand geschaffen wurde. Werke, die nicht von Hand gefertigt wurden, wie beispielsweise durch dripping, können von unserem System nicht analysiert werden.

Im Oktober haben Sie eine Zusammenarbeit mit dem Zürcher Auktionshaus Germann bekanntgegeben. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Die Zusammenarbeit zwischen Germann Auktionen und Art Recognition markiert einen revolutionären Schritt: Germann ist das weltweit erste Auktionshaus, das sich öffentlich für den Einsatz von KI-Technologie zur Kunstauthentifizierung positioniert hat. Zuletzt wurden erstmals in der Geschichte Kunstwerke bei Germann zur Auktion angeboten, deren Authentizität von unserer KI überprüft wurde. Eines dieser Kunstwerke verfügt ausschliesslich über unser KI-Zertifikat und keine weiteren Nachweise zur Authentizität. Alle drei Werke, die wir für Germann mit unserer KI analysiert haben, wurden bereits verkauft. Besonders bemerkenswert ist, dass das Kunstwerk, das ausschliesslich ein KI-Zertifikat von uns und keine weiteren Authentifizierungsnachweise hatte, zu Wochenbeginn für das Dreifache der Schätzung verkauft wurde!

Beide Parteien streben eine langfristige Fortsetzung ihrer Partnerschaft an, damit Art Recognition das Auktionshaus auch bei zukünftigen Auktionen unterstützen und die Authentizität weiterer Kunstwerke prüfen kann. Die Anzahl der geprüften Werke kann von Auktion zu Auktion unterschiedlich sein. Beide Partner verfolgen jedoch das gemeinsame Ziel, diese bahnbrechende Veränderung im Kunstmarkt voranzutreiben und ihre führende Rolle in diesem Bereich zu stärken.

«Germann ist das weltweit erste Auktionshaus, das sich öffentlich für den Einsatz von KI-Technologie zur Kunstauthentifizierung positioniert hat.»

Wie sehen Sie die Weiterentwicklung der KI im Bereich der Kunstanalyse in den nächsten Jahren?

Art Recognition wurde lange vor der heutigen KI-Revolution gegründet. In den ersten drei Jahren waren wir das einzige Unternehmen, das diesen Service kommerziell angeboten hat. Obwohl mittlerweile weitere Wettbewerber auf den Markt drängen, sind wir weiterhin führend in diesem Bereich und arbeiten daran, diese Position zu halten. Wir sind besonders stolz darauf, dass es uns gelungen ist, diese Methode als eines der Standardverfahren zur Authentifizierung von Kunstwerken zu etablieren. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft jedes Kunstwerk, das auf den Markt kommt, zuerst von einer KI authentifiziert wird.

Eine letzte Frage: Künstliche Intelligenz bietet viele Chancen und Möglichkeiten, sie bringt aber auch Risiken mit sich. Wie sehen Sie das in Ihrem Fachgebiet? Könnte Ihre oder eine ähnliche Technologie auch für die Erstellung von besseren Fälschungen missbraucht werden?

Künstliche Intelligenz bietet zweifellos immense Chancen, birgt aber auch Risiken, wie etwa die Erstellung von Deepfakes. Solche Technologien könnten theoretisch dazu genutzt werden, noch bessere Fälschungen herzustellen. Um dem entgegenzuwirken, integrieren wir KI-generierte digitale Fälschungen als negative Beispiele in unsere Datensätze. Diese Strategie stärkt die Fähigkeit unserer KI, echte Kunstwerke von raffinierten digitalen Fälschungen zu unterscheiden. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass die Vorteile der KI im Kunstmarkt überwiegen und potenzielle Risiken aktiv kontrolliert werden.

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