Schweiz und EU sind sich materiell über künftige Beziehungen einig

Schweiz und EU sind sich materiell über künftige Beziehungen einig
Bundespräsidentin Viola Amherd (r.) bei der gemeinsamen Medienkonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Screenshot)

Bern – Nach 197 Sitzungen haben die Schweiz und die EU die materiellen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen abgeschlossen. Die im Verhandlungsmandat definierten Ziele seien «in allen betroffenen Bereichen erreicht» worden, teilte der Bundesrat am Freitag mit.

Die institutionellen Fragen werden laut der Landesregierung direkt in die einzelnen Binnenmarktabkommen integriert, und die Regeln über die staatlichen Beihilfen gelten nur für drei spezifische Bereiche: Luftverkehr, Landverkehr und Strom. Der Service public sei «nicht betroffen».

Bei der Personenfreizügigkeit wird im Bedarfsfall eine Schutzklausel zur Anwendung kommen. Noch im Oktober hatten die EU-Mitgliedsstaaten eine unilaterale Schweizer Schutzklausel im Bereich der Personenzügigkeit abgelehnt.

Nun schreibt der Bundesrat, dass die «neu konzipierte Schutzklausel von der Schweiz eigenständig aktiviert werden» könne. Damit erhalte das Schweizer Schutzdispositiv «ein zusätzliches Instrument für den Fall, dass die Zuwanderung zu schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen führt».

Lohnschutz langfristig gesichert
In der für die Gewerkschaften zentralen Frage des Lohnschutzes konnte laut dem Bundesrat ebenfalls eine Lösung gefunden werden. Die Schweiz könne die Lohn- und Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmende «unter dauerhaftem Erhalt des derzeitigen Schutzniveaus gewährleisten», hiess es.

Bei Entsendungen aus der EU in die Schweiz bedeutet dies, dass Entsendebetriebe ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die in der Schweiz geltenden Löhne zahlen müssen. Das bisherige Meldeverfahren in der Schweiz für Stellenantretende im Kurzaufenthalt wird laut dem Bundesrat beibehalten, was Arbeitsmarktkontrollen ermöglicht. Die Meldepflicht wird auf selbstständig Erwerbstätige ausgedehnt. Damit wird verhindert, dass die auf neunzig Tage beschränkte Dienstleistungsfreiheit umgangen werden kann.

Die Voranmeldefrist für ausländische Firmen, die in der Schweiz Dienstleistungen erbringen wollen, wird von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage verkürzt und gelangt in Risikobranchen zur Anwendung. Die Kontrolldichte bestimmt die Schweiz auch künftig autonom. Eine Kaution ist künftig im Wiederholungsfall zu leisten.

Schliesslich sichert eine sogenannte Non-Regression-Klausel das Schweizer Lohnschutzniveau gegen allfällige Rückschritte ab. Künftige Anpassungen oder neue Entwicklungen des EU-Entsenderechts, die das Schweizer Schutzniveau verschlechtern würden, muss die Schweiz nicht übernehmen.

Kohäsionsbeitrag definiert
Nach dem erfolgreichen Abschluss der materiellen Verhandlungen erhält die Schweiz ab 1. Januar 2025 wieder vollen Zugang zu EU-Forschungsförderprogrammen wie Horizon Europe, wie es weiter hiess. Zudem werden die Schweiz und die EU bereits vor dem Inkrafttreten des Pakets für einen sicheren und reibungslosen Betrieb der Stromnetze zusammenarbeiten.

Die Schweiz wird für ihre Teilnahme am europäischen Binnenmarkt bezahlen müssen. In einer Übergangsphase soll die Schweiz zwischen 2025 und 2029 jährlich einen Kohäsionsbeitrag von 130 Millionen Franken leisten. Für den Zeitraum 2030 bis 2036 haben der Bundesrat und die EU einen jährlichen Betrag von 350 Millionen Franken vereinbart.

Art des Referendums offen
Im Frühling sollen die endgültigen Abkommenstexte paraphiert werden. Parallel dazu werden laut dem Bundesrat die Gespräche mit den Kantonen sowie den Sozial- und Wirtschaftspartnern auf innenpolitischer Ebene zu Ende geführt. Bisher habe es 150 Konsultationen gegeben.

Vor der Sommerpause 2025 will der Bundesrat das Abkommenspaket, die Anpassung der Schweizer Gesetzgebung sowie die flankierenden Massnahmen in eine ordentliche Vernehmlassung schicken. Ab 2026 wird dann das Parlament am Zug sein.

Die Abkommen zur Stabilisierung des bilateralen Wegs – also die Anpassung bestehender Abkommen, staatliche Beihilferegeln, Teilnahme an EU-Programmen und Schweizer Beitrag – sollen in einem Bundesbeschluss zusammengefasst werden, wie der Bundesrat schreibt. Die drei neuen Abkommen sollen in separaten Bundesbeschlüssen präsentiert werden. Damit könnte es bis zu vier Referenden und vier separaten Volksentscheiden kommen.

«Einen definitiven Entscheid zur Struktur des Pakets und zur Art des Referendums wird der Bundesrat bei der Eröffnung der Vernehmlassung fällen», schrieb er in einer Mitteilung. Der endgültige Entscheid bleibe jedoch bei den eidgenössischen Räten. (awp/mc/pg)

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