Meret Schneider: Scholz, Lindner, Habeck und die Sitcomifizierung der Politik
Ich interessiere mich für Politik. National, international; ich verfolge Entwicklungen, lese Interviews, setze mich mit den führenden Persönlichkeiten auseinander und versuche, daraus Schlüsse für mein eigenes Politisieren oder Zustände in der Schweiz zu ziehen. Wenig überraschend rückte in Anbetracht der Ereignisse in letzter Zeit vor allem die Politik – oder eher gesagt, die Personalien – Deutschlands in meinen Fokus und liess mich gleichermassen amüsiert und konsterniert zurück.
Nicht, dass es sich nicht angebahnt hätte. Seit längerem drang aus der Regierung Deutschlands, der Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen, primär Streit und gegenseitige Blockade an die Bevölkerung und es blieb in Anbetracht der immer wieder persönlichen Angriffe und Fehlleistungen nur zu fragen, ob es diesen Persönlichkeiten an Professionalität oder an kommunikativem Geschick mangelte, dass sie ihre legitimen Wortgefechte derart öffentlich austrugen. Die Schuld an Folgen gemeinsam gefällter Entscheidungen, aber auch der Weltlage wurde sich gegenseitig zugeschoben: an der Energiekrise, der Inflation, der desaströsen Infrastruktur, der Krise der Industrie – zu wenig investiert, zu viel Geld ausgegeben, zu überstürzt Massnahmen ergriffen, zu lange zugewartet; auf der Wunschliste der Vorwürfe war alles zu finden.
Statt Verantwortung zu übernehmen, wurde sie weggeschoben und den jeweiligen Koalitionspartnern oder eher Koalitionskontrahenten zugeschoben, die Tonalität wurde giftiger und persönlicher und eigentlich konnte sich niemand vorstellen, wie diese Koalition Deutschland in eine Situation der Stabilität und Prosperität zurückbringen sollte. Dabei war der Start der Koalition mehr als vielversprechend und – meiner wohl eher unpopulären Meinung nach – die Performance der Ampelkoalition mitnichten so schlecht, wie sie medial nun gemacht wird.
So formulierte die nun auseinandergebrochene Bundesregierung zu Beginn hohe Ansprüche und es herrschte weitläufig Aufbruchstimmung – nicht nur bei mir. Den Koalitionsvertrag überschrieben SPD, FDP und Grüne noch 2021 mit dem Titel «Mehr Fortschritt wagen«. In der Präambel hiess es, die Koalition wolle die «notwendige Modernisierung vorantreiben» und «eine neue Dynamik auslösen», wie es in einem Artikel des MDR hiess. Nach der Ära Merkel, die von Konstanz, aber nicht eben von Fortschritt und Aufbruch geprägt war, verhiess die neue Koalition frischen Wind und einen positiven Umgang mit Veränderungen und Herausforderungen. Rückblickend kaum mehr vorstellbar, aber zu Beginn genoss die Ampel grosse Zustimmung und Olaf Scholz erreichte in Umfragen gute Beliebtheitswerte.
Es folgten Krisen, die Nachwirkungen von Corona, der Angriffskrieg Putins, die Inflation und die noch junge Regierung hatte in einer brutalen Gleichzeitigkeit so viele Brände zu löschen, wie sie vermutlich in den gesamten 16 Jahren Merkel (und ich habe grössten Respekt vor Frau Merkel und ihrer Lebensleistung) nicht loderten. Die drei sehr gegensätzlichen Politiker Scholz, Lindner und Habeck steuerten das Schiff Deutschland mit erstaunlichem Erfolg und im internationalen Vergleich wenig beschadet durch die Krisen – nur bekam die Bevölkerung hinter den Querelen um unterschiedliche Vorstellungen und Politikstile kaum etwas davon mit.
Deutschland aus einer Situation der kompletten Gasabhängigkeit von Putin zu befreien und ohne Energiekrise durch den Winter zu manövrieren, verdient Respekt. Doch an die Bevölkerung gelangte primär das vorab veröffentlichte und zudem falsch kommunizierte Heizungsgesetz, das Robert Habeck in einem unverdient schlechten Licht dastehen liess. Auch der Ausbau der Erneuerbaren nahm Fahrt auf – eines der gesetzten Ziele der Ampel, die sie erreichten. Aber statt geschlossen dazustehen und eigene Erfolge auch im sozialen Bereich zu benennen, verstrickten sich die drei Politgrössen in gegenseitigen Vorwürfen und Habeck, der in seinem permanenten Entschuldigungsmodus (und ich halte Habeck für einen hervorragenden Politiker und ansonsten auch virtuosen Kommunikator) zwar immer ehrlich und volksnah wirkte, war zwar immer sympathisch, aber ähnlich wenig führungsstark wie Scholz, der sich durch seine Art der Ansprache primär auf Nichtkommunikation verstand. Lindner hingegen goss wo immer möglich kommunikativ Öl ins Feuer, erklärte Entscheide der Ampel, deren Teil er immerhin war, für verantwortungslos und wirtschaftsschädigend und zeichnete öffentlich alles, aber nicht das Bild einer fähigen Regierung.
Dabei hätte es einiges Positives zu verkünden gegeben: Trotz schlechter Haushaltslage setzte die Ampel besonders viele Vorhaben im Sozialbereich um. Die SPD löste zentrale Wahlkampfversprechen ein, wie beispielsweise, dass der Mindestlohn per Gesetz auf 12 Euro stieg, das Bürgergeld das Hartz-System ersetzte und auch für Familien Leistungen ausgebaut wurden. Bei der Bevölkerung schien davon jedoch kaum etwas anzukommen: Die Beliebtheit des Kanzlers und der Ampel befand sich in einem steilen Sinkflug, während die Politikverdrossenheit stieg. Die Kumulation nun mit dem Auseinanderbrechen der Ampel verstärkte zudem den Eindruck einer Regierung, die sich mehr aufs Streiten als aufs Politisieren verstand und es bleibt spannend, wie sich dies nun auf die kommenden Wahlen auswirken wird.
Warum ich das so im Detail mitverfolge? Weil wir in der Schweiz gerade ähnliches beobachten, wenngleich nicht in so zugespitzter Form. Auch hier ist aus dem Parlament und in der öffentlichen Diskussion – befeuert auch durch Medien, die sich dem Klickbait-Imperativ unterworfen haben, mehr Streit und Personalquerelen als Inhalt zu vernehmen und dies, obwohl währenddessen wichtige inhaltliche Geschäfte verhandelt werden. Verständlich, dass da auch bei uns die Politikverdrossenheit ein zunehmendes Problem wird und der Eindruck entsteht, «die da in Bern” hätten nichts Sinnvolleres zu tun, als sich gegenseitig medial anzuklagen. Doch was können wir dagegen unternehmen? Meines Erachtens ist es zum einen an uns Politikerinnen und Politiker, uns um eine konstruktive Tonalität zu bemühen. Zum anderen aber wäre es auch an der Zeit, dass einige Medien ihre Verantwortung als vierte Säule der Demokratie wahrnehmen und inhaltlich Bericht erstatten, statt über jedes Stöckchen der Provokation zu springen und daraus die grosse Geschichte zu konstruieren. Politikverdrossenheit ist schliesslich nicht nur die Folge schlechter Politik, sondern auch und vor allem schlechter Kommunikation.
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