Ökonomen-Stimmen zum Sieg der Union bei der Bundestagswahl
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Frankfurt – In Deutschland bahnt sich ein Machtwechsel an: Die Union hat die Bundestagswahl klar gewonnen und dürfte mit Friedrich Merz den nächsten Kanzler stellen. Nach dem vorläufigen Ergebnis kommt die rechte AfD auf Platz zwei. Dahinter folgen die SPD, die auf ein historisches Tief abstürzt, sowie die Grünen. Die Linke ist überraschend stark im Bundestag vertreten. BSW und FDP scheitern dagegen an der Fünf-Prozent-Hürde und verpassen den Einzug ins Parlament. Nun läuft alles auf ein Bündnis aus Union und SPD hinaus, denn eine schwarz-grüne Koalition hat keine Mehrheit.
Einschätzungen von Ökonomen zu den Folgen der Bundestagswahl im Überblick:
Holger Schmieding, Chefvolkswirt Berenberg Bank
«Merz könnte ein Kanzler mit wenig fiskalischem Spielraum sein. Populistische Parteien vom politischen Rand haben zusammen mehr als ein Drittel der Sitze im Deutschen Bundestag gewonnen. Gemeinsam können sie jede Änderung des deutschen Grundgesetzes blockieren, das nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden kann. Die Populisten können somit jede Lockerung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse blockieren, einschliesslich der Aufstockung des bestehenden Sonderfonds für die Verteidigung oder der Schaffung eines neuen Sonderfonds. In einer Zeit, in der es von entscheidender Bedeutung ist, die Ausgaben für das Militär und die Ukraine zu erhöhen und die Steuerlast für Arbeitnehmer und Unternehmen zu senken, könnte Deutschland Schwierigkeiten haben, den fiskalischen Spielraum dafür zu finden.»
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank
«Die neue Bundesregierung wird in den kommenden vier Jahren die Versäumnisse der jahrzehntelangen Investitionsversäumnisse nicht korrigieren können. Entscheidend ist deshalb, dass nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern unter allen demokratischen Parteien ein Konsens über die Notwendigkeit von grossangelegten Infrastrukturinvestitionen besteht. Für den Bildungssektor, die Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und die Verteidigung muss ein langfristiger Finanzierungsrahmen in Form von Sondervermögen geschaffen werden, der weit über die Legislaturperiode hinausreicht. In diesem Falle könnten Unternehmen ebenfalls beginnen, verlässlich zu investieren. Damit würden die Weichen für einen nachhaltigen Aufschwung gestellt werden.»
Robin Winkler, Chefvolkswirt Deutschland der Deutschen Bank
«Trotz der Aussicht auf eine effektivere Regierungskoalition in den nächsten vier Jahren besteht die Sorge, dass eine Grosse Koalition selbst neben den Grünen keine Mehrheit für Änderungen der Verfassung haben wird, da die drei Parteien zusammen knapp 66 Prozent der Sitze halten. Dies bedeutet, dass alle Verfassungsänderungen, einschliesslich der Schuldenbremse, auf die Unterstützung der Linken oder der AfD angewiesen wären. Wir glauben, dass die Märkte dies als negativ betrachten könnten, da es die Wahrscheinlichkeit eines entscheidenden finanzpolitischen Wechsels in Deutschland verringert.»
Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust
«Nach Lage der Dinge wird die CDU/CSU mit der SPD (…) eine Wirtschaftswende verhandeln müssen. Hohe Steuern, steigende Energiekosten, hohe Lohnnebenkosten, übermässige Bürokratie und infrastrukturelle Defizite müssen gezielt abgebaut werden. Die Verhandlungen werden schwierig werden. Auch die geschwächte SPD wird sich den Notwendigkeiten einer Wirtschaftswende angesichts des wirtschaftlichen Abstiegs jedoch nicht völlig verschliessen können. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen ist unerlässlich, um Deutschland, das unter der Ampelregierung wieder zum kranken Mann Europas geworden ist, auf den Erfolgskurs zurückzuführen.»
Greg Fuzesi, Analyst bei JPMorgan
«Wir stellen fest, dass die Linke die Schuldenbremse ganz abschaffen will. (…) Eine Einigung könnte daher möglich sein, auch wenn sie unsicher wäre und Zeit in Anspruch nehmen würde. Wenn aber eine Reform der Schuldenbremse von der Linken abhängt, muss die Regierungskoalition den Koalitionsvertrag möglicherweise auf der Grundlage der aktuellen Schuldenbremse verfassen.»
Analysten der Dekabank
«Äusserungen von Friedrich Merz, dass es unter anderem zu einer Neuausrichtung bei der Sicherheitspolitik in Europa kommen muss, mit einer verringerten Abhängigkeit von den USA, stützen die Erwartungen auf deutlich höhere Haushaltsdefizite in Deutschland und Europa in den kommenden Jahren. Der Zollstreit mit den USA, der über Sorgen vor einem schwächeren Wirtschaftswachstum eher für bullische Impulse bei Euro-Anleihen gesorgt hat, dürfte aus Marktsicht damit eher im Hintergrund stehen. Da die Zeitachse bei der Umsetzung der Wende in der Sicherheitspolitik aber ungewiss ist, wird der Anstieg der Realrenditen trotz der im Raum stehenden astronomischen Zahlen zunächst zögerlich erfolgen. Dass er stattfinden wird, ist aus unserer Sicht aber sehr wahrscheinlich.»
Matthias Hoppe, Portfoliomanager bei Franklin Templeton
«Die Bildung einer neuen Regierung bietet die Gelegenheit für Strukturreformen, um die angeschlagene Wirtschaft zu stützen. Die von den Finanzmärkten, insbesondere von internationalen Anlegern, am sehnlichsten erwartete Reform ist die verfassungsmässige Schuldenbremse (…). Wir bleiben zwar skeptisch, ob die nächste Regierung dazu in der Lage sein wird, aber die aktuelle geopolitische Lage und ein möglicher Handelskonflikt mit den USA könnten genügend Druck auf die Politiker sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union ausüben, um Reformen anzustossen. Wir würden jedoch davor warnen, kurz- und mittelfristig zu optimistisch zu sein.» (awp/mc/ps)