Renat Heuberger, CEO Terra Impact Ventures, im Interview

von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Heuberger, Sie sind im November 2023 als Chef der von Ihnen mitgegründeten Firma South Pole zurückgetreten. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück, in der Sie stark in der Kritik standen?
Renat Heuberger: Über 17 Jahre haben wir South Pole zu einer der erfolgreichsten und weltgrössten Klima-Plattformen aufgebaut mit über 1000 Mitarbeitenden auf sechs Kontinenten. Das Jahr 2023 war dann enorm frustrierend. Es begann damit, dass bei Verra, dem wichtigsten Standard für die CO2-Zertifkate, Mängel in den Berechnungsmethoden von Waldschutzprojekten entdeckt wurde. An sich ist es nicht ungewöhnlich, dass Standards und Methoden über die Jahre verbessert und angepasst werden müssen. Diese Mängel wurden von zahlreichen Gegnern der marktbasierten Klimaschutzmechanismen jedoch gezielt genutzt für eine beispiellose Medien-Kampagne, die weltweit praktisch alle Projekte und Akteure betraf.
South Pole war besonders in der Schusslinie, weil sie die grösste Firma im Markt war. Erschwerend kam dazu, dass zwei ehemalige Mitarbeiter die Medien bewusst fütterten mit aus dem Kontext gerissenen und teils frei erfundenen Geschichten, mit dem Ziel, die Firma zu schädigen. Es war eine regelrechte Hexenjagd, zermürbend und enttäuschend. Auch ausserhalb der CO2-Zertifkate wurden viele Bemühungen zum Klimaschutz von Interessengruppen angegriffen. Die Profiteure dieser Inszenierung über die vergangenen zwei Jahre sind, tragischerweise, die fossilen Energien.
Was haben Sie in der Zwischenzeit getan?
Nach einem Jahr der Angriffe haben praktisch das gesamte Management und fast alle Gründer beschlossen, die Firma operativ zu verlassen und diese in die Hände eines neuen, sehr guten Teams zu übergeben. Wir bleiben jedoch als Aktionäre, Verwaltungsräte und Berater nach wie vor stark involviert. In der Zwischenzeit haben wir uns viele Gedanken dazu gemacht, weshalb die CO2-Zertifkate ein derart kontroverses Thema sind, obwohl sie das bisher einzige funktionierende, skalierbare Instrument zur Klimafinanzierung darstellen. Wir sind zur Erkenntnis gelangt, dass unzählige Paradoxe der Klimafinanzierung zu Grunde liegen. Wenn wir nicht bereit sind, diese zu erkennen und akzeptieren, werden die Klima-Zertifikate ewig in den gleichen Debatten gefangen bleiben, und die Welt wird schlicht kein Instrument haben, um in ärmeren Ländern gezielt Emissionsreduktionen zu finanzieren. Wir haben die 26 Paradoxe zusammengefasst auf www.carbonparadox.org. Demnächst werden wir auch ein Buch dazu publizieren.
Zusammen mit drei anderen Mitgründern von South Pole haben Sie nun Terra Impact Ventures lanciert. Mit dem Unternehmen bleiben Sie der Nachhaltigkeit und dem Kampf gegen den Klimawandel erhalten. Schildern Sie uns doch die Ziele von Terra Impact Ventures.
Wir waren und sind der Meinung, dass das Unternehmertum unsere wichtigste Waffe gegen den Klimawandel bleibt. Genau da setzen wir an: Terra Impact Ventures arbeitet mit UnternehmerInnen im Bereich Klima, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft. Wir beteiligen uns an Startups in einer frühen Phase und helfen den GründerInnen dabei, ihr Produkt zu schärfen, Kunden und Investoren zu finden, sowie eine inspirierende Team-Kultur aufzubauen. Unternehmen aufzubauen, kreativ an Lösungen zu arbeiten macht unglaublich viel Spass, auch wenn der Alltag in einem Startup manchmal sehr hart sein kann. Unser Ziel ist es, tragfähige und profitable Lösungen für den Schutz von Klima und Natur erfolgreich zu machen – gerade in der heutigen Zeit, in welcher der Umweltschutz in der Prioritätenliste nach unten gerutscht ist.
«Wir waren und sind der Meinung, dass das Unternehmertum unsere wichtigste Waffe gegen den Klimawandel bleibt. Genau da setzen wir an: Terra Impact Ventures arbeitet mit UnternehmerInnen im Bereich Klima, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft.»
Renat Heuberger, CEO Terra Impact Ventures
Welches sind denn die grössten Herausforderungen für Jungunternehmen im Bereich Nachhaltigkeit und Klimawandel?
Die grösste Herausforderung besteht derzeit klar darin, dass die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel derzeit von anderen geopolitischen Themen überlagert werden. Dabei sehen wir sowohl beim Klimawandel als auch beim der Zustand der Biodiversität traurige Rekordstände. Im Grunde müssten beide Themen zuallererst auf der politischen Agenda stehen! Dies darf jedoch absolut kein Grund sein, die Flinte ins Korn zu werfen. Auch heute gilt: Wer ein gutes Produkt hat, das den Kunden einen Mehrwert schafft, der wird auch unter den derzeit schwierigen Bedingungen Erfolg haben. Wir glauben sogar, dass richtig gute Unternehmer*Innen gerade in komplizierten Zeiten einen Vorteil haben, denn die Investoren schauen sehr genau auf die Qualität des Teams und des Geschäftsmodells.
Welche konkreten Kriterien legen Sie bei der Bewertung von Investitionsmöglichkeiten in aufstrebende Nachhaltigkeitsunternehmen zugrunde?
Wie bereits angetönt ist es uns sehr wichtig, dass die Unternehmen ein überzeugendes Team und ein ebensolches Geschäftsmodell vorweisen können. Letztlich ist die Rechnung schnell gemacht: Wer kein Produkt hat, das auch verkauft wird, der wird auf der Strecke bleiben. Wir legen hohen Wert darauf, klar zu definieren, in welchen Märkten das Unternehmen spielen wird, und wie es dort zumindest unter den Top-3 spielen kann. Neben diesen kommerziellen Kriterien kommt natürlich ein weiteres Set von Kriterien hinzu: Glauben wir, dass das Unternehmen und seine Produkte einen signifikanten Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten kann? Wir sind überzeugt, dass die Nachhaltigkeit langfristig ein Megatrend bleiben wird – aber die Unternehmen müssen gut gerüstet sein und einen langen Atem haben, um langfristig erfolgreich zu sein.
«Letztlich ist die Rechnung schnell gemacht: Wer kein Produkt hat, das auch verkauft wird, der wird auf der Strecke bleiben. Wir legen hohen Wert darauf, klar zu definieren, in welchen Märkten das Unternehmen spielen wird, und wie es dort zumindest unter den Top-3 spielen kann.»
Wo sehen Sie die wesentlichen Risiken bei der Unterstützung von Unternehmen in der Wachstumsphase, insbesondere in Bezug auf deren nachhaltiges Geschäftsmodell?
Ein Thema, das praktisch alle Firmen im Bereich der Nachhaltigkeit immer wieder einholt: Wie geht man damit um, wenn Kompromisse getroffen werden müssen zwischen schnellem Geschäftswachstum und vollem Fokus auf Nachhaltigkeit? Bei Firmen, welche sich die Nachhaltigkeit als Ziel gesetzt haben, wird generell extrem genau darauf geschaut, ob sie selbst auch wirklich alle Nachhaltigkeitskriterien 100% einhalten. Ein aktuelles Beispiel hierzu ist Apple: Die Firma wird derzeit wegen Greenwashing verklagt, obwohl sie einen sehr ambitionierten Plan zur Emissionsreduktion verfolgt. Andere Firmen, die gar keinen solchen Plan haben, kommen ungeschoren davon. In solchen Situationen ist es sehr wichtig, dass man genau, ehrlich und transparent kommuniziert. Lösungen im Bereich der Nachhaltigkeit sind nie perfekt. Es passieren Fehler, es treten unvorhergesehene Ereignisse auf. Daher ist in unserem Bereich eine gewisse Bescheidenheit in der Aussenwahrnehmung sehr zentral – eigentlich ja sehr untypisch für ein Unternehmen in der Wachstumsphase.
Das aktuelle Portfolio umfasst sieben Startups. Wie stellt sich die Zusammenarbeit und Unterstützung über Investitionen hinaus dar?
Bei Terra Impact Ventures verstehen wir uns weniger als klassische Venture Capitalists, sondern eher als Inkubator oder Company Builders. Das bedeutet, dass wir oft sehr nahe mit den Unternehmen zusammenarbeiten und Rollen wie Verwaltungsratspräsidien oder sogar operative Rollen einnehmen. Bei South Pole, sowie auch den vielen Firmen, in die wir unter South Pole investiert haben, durften wir viel lernen zum Thema Wachstum, Product-Market-Fit, Investorensuche. Dieses Wissen und Erfahrung möchten wir nun gerne weitergeben an Leute, die mit ihren Ideen und ihrer Leidenschaft die Welt ein kleines Stück besser machen wollen.
Sie haben Ihr Projekt zuletzt am WEF in Davos vorgestellt. Wie war das Feedback?
Als Social Entrepreneur der Schwab Foundation bin ich dem WEF seit vielen Jahren sehr verbunden. Daher war es für uns wunderschön, Terra Impact Ventures in Davos zu lancieren. Das Feedback war fast beängstigend positiv – es scheint so, als ob sich gerade in der heutigen Zeit viele Leute nach hoffnungsvollen und optimistischen Zeichen sehen. Und die gibt es tatsächlich! Auf unserem Panel hatten wir vier UnternehmerInnen, die alle in den vergangenen Monaten neues Geld für nachhaltige Startups finden konnten. Sie alle konnten neue Arbeitsplätze schaffen und mit ihren nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen unser Thema Schritt für Schritt voranbringen. Genau das ist eine der schönen Seiten des WEF: Unzählige KämpferInnen für die Nachhaltigkeit treffen sich, tauschen sich aus, inspirieren sich gegenseitig. Nun ja, zugegebenermassen nutzt die Gegenseite das WEF natürlich für denselben Zweck…
«Das Feedback war fast beängstigend positiv – es scheint so, als ob sich gerade in der heutigen Zeit viele Leute nach hoffnungsvollen und optimistischen Zeichen sehen. Und die gibt es tatsächlich!»
Wie hat sich die Investitionslandschaft für Startups im Bereich Nachhaltigkeit und Klimawandel in den letzten Jahren verändert?
Hier müssen wir der Realität in die Augen schauen, denn dazu gibt es nackte Zahlen: Zwischen 2018 und 2021 sind die Investitionen in Startups beispielsweise im Bereich Climate Tech exponentiell gewachsen. Im 2021 erreichte die investierte Summe fast 150 Milliarden. Seither ging es wieder deutlich bergab – mit einer Ausnahme: Startups, deren Produkte massgeblich von künstlicher Intelligenz oder anderen neuen digitalen Technologien getrieben werden, stehen nach wie vor hoch in der Gunst der Investoren. Die plötzliche und unerwartete Krise im Bereich Nachhaltigkeit hat nicht nur die CO2-Zertifikate erwischt: Der ganze Bereich ESG wurde regelrecht abgestraft in den vergangenen Jahren. Dabei zeigt sich eines der wichtigsten Paradoxe, welches wir auch in unserm Buch beschreiben, nämlich das Ideologie-Paradox: Pragmatische Schritte im Umweltbereich werden sowohl von «links-grün» als auch von «rechts» kritisiert. «Zu wenig!», sagen die einen. «Zu viel!» sagen die andern. So entsteht eine unheilige Allianz, welche den pragmatischen Umweltschutz verlangsamt. Beobachten konnte man diese Allianz beispielsweise in der verlorenen Abstimmung zum CO2-Gesetz in der Schweiz.
«Pragmatische Schritte im Umweltbereich werden sowohl von «links-grün» als auch von «rechts» kritisiert. «Zu wenig!», sagen die einen. «Zu viel!» sagen die andern. So entsteht eine unheilige Allianz, welche den pragmatischen Umweltschutz verlangsamt.»
Die Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Baku (COP29) haben weltweit Enttäuschung ausgelöst. Haben Sie trotzdem einen wichtigen Beitrag zum internationalen Klimaschutzprozess geleistet?
Diese Konferenz war ein weiteres Beispiel für das oben beschriebene Paradox: Alle waren wütend, aber aus entgegengesetzten Gründen. Den einen gingen die Beschlüsse viel zu wenig weit. Den anderen gingen sie viel zu weit. Zusammenfassend muss man festhalten: Die Resultate aus Baku waren gar nicht so schlecht, gemessen an der derzeitigen geopolitischen Weltlage. Immerhin haben 194 Länder plus die EU gemeinsam signifikante finanzielle Mittel für die Bekämpfung des Klimawandels beschlossen, sowie den Weg geebnet für internationale Zusammenarbeit. Wo sonst finden Sie noch solch eine globale Einigkeit? In diesem Sinn ist es eine Katastrophe, dass die USA als führende Wirtschaftsmacht nun aus dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder austreten wollen. Dies sendet ein verheerendes Zeichen an viele andere Länder.
Sie haben die Überlagerung der Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel durch die Geopolitik angesprochen. US-Präsident Trump hat den Klimawandel wiederholt als Schwindel bezeichnet. Die USA treten aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aus, die Regierung behindert wichtige Arbeiten in der internationalen Klimaforschung. Vor lauter Getöse, Kriegen, Aufrüstung und Chaos rückt das sich verändernde Klima immer mehr in den Hintergrund der Politik und auch der Bevölkerung. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Es gibt Tage, an denen es tatsächlich schwer fällt, optimistisch zu bleiben. Immer stärker zeigt sich eine dunkle Wahrheit, welche vom israelischen Historiker Yuval Noah Harari bereits vor Jahren beschrieben worden ist: Wer über genügend Geld und Macht verfügt, der wird unter den Konsequenzen von globalen Krisen wie des Klimawandels viel weniger zu leiden haben als die grosse Masse der Armen und Machtlosen. Entsprechend wenig Interesse besteht in einigen dieser Kreise, das Thema wirklich ernst zu nehmen. Ganz anders war dies noch beim Thema Covid-19, wo das Virus jeden betroffen hat, egal ob reich oder arm. Doch dies führt uns zurück zu Terra Impact Ventures: Aufgeben und Klagen ist schlicht keine Option. Denn immer wieder ergeben sich Möglichkeiten, überall stehen schlaue Gründer*Innen in den Startlöchern, die ihre Chance packen. Ich arbeite als Innovation Council bei InnoSuisse für die Schweizer Regierung. Ich bin ständig von Neuem überrascht und erfreut, welche hohe Innovationskraft wir gerade in der Schweiz nach wie vor haben. Von Rorschach bis Genf arbeiten KMUs, Startups, Universitäten jeden Tag an nachhaltigen Lösungen. Wenn man kurz vor dem Verzweifeln steht, lohnt sich ein Blick auf die InnoSuisse Website!